In der Neuen Osnabrücker Zeitung wurde in der vergangenen Woche ein Leserbrief veröffentlicht, in dem ein nachdrückliches Einschreiten „gegen diese Dreistigkeit der Radfahrer“ gefordert wird, weil sonst „die Bekämpfung immer erfolgloser werden“ würde. Mit Bekämpfung ist in erster Linie das Gehwegradeln zwischen Berliner Platz und Neumarkt gemeint. Ausgangspunkt für den Leserbrief war ein Artikel zu Radfahrern, die in einer Baustelle an der Johannisstraße nicht absteigen und so Fußgänger gefährden. Das bedarf keiner weiteren Kommentierung. Hier müssen Radfahrer absteigen. Da gibt es keine zwei Meinungen.

Besonders schlimm ist es zwischen Berliner Platz und Neumarkt. Dort nutzen viele Radfahrer die Bürgersteige ganz ungeniert, und zwar egal in welche Richtung. (…) Es sollte daher auch in diesem Bereich öfters eine Kontrolle erfolgen. Diese sollte auch ruhig einhergehen mit der Verhängung von Geldbußen, damit dann auch über solche Maßnahmen den Radfahrern Ernsthaftigkeit der Beseitigung dieses rücksichtlosen Übels vor Augen geführt wird. – Leserbrief

Interessanter ist aber das Gehwegradeln auf dem anderen genannten Abschnitt. Dafür gibt es aus Sicht der Radfahrer nämlich gute Gründe. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, diesen Abschnitt und auch den weiteren Verlauf auf der anderen Seite des Neumarktes zu dokumentieren. (Wohlgemerkt am extrem verkehrsarmen Tag der Deutschen Einheit. Man muss sich hier jetzt noch Autokolonnen, Falschparker und Busse dazu denken.) Man muss diese Wege selbst gefahren sein, um den Kern des Problems zu erkennen. Dieser liegt nämlich nicht bei den Radfahrern an sich, sondern in der Infrastruktur, die man ihnen zumutet.

Aus Richtung Berliner Platz kommend (das ist gleich die angesprochende Stelle vor der Sparkasse) wird man auf einen sehr kurzen Hochbordradweg geführt und wenige Meter später wieder runter auf einen Radfahrstreifen, der dann in eine Bushaltestelle mündet. Dass sich das viele Radfahrer nicht trauen, sollte nachvollziehbar sein. Insofern wählen sie den für sie sicheren Gehweg. Was nicht richtig ist, aber eben verständlich.

Hinter der Bushaltestelle geht es weiter zwischen Geradeaus- und Abbiegespur. Dieselbe Situation gleich hinter der Ampel. Was dann kommt kann man gar nicht so recht kategorisieren, weil es sich ständig ändert. Die Baustelle am Neumarkt wird immer wieder verlegt, anders gestaltet – so auch die Radverkehrsführung. Mal ist ein Radfahrstreifen da (wie aktuell mit dem Hinweis, dass er verengt ist), mal gibt es keinen. Dazu noch die Busse, die ständig in die Haltestellen ein- und ausfahren.

Hinter der nächsten Kreuzung geht es für Radfahrer rauf auf einen gemeinsamen Geh- und Radweg, den sie sich eben mit Fußgängern teilen MÜSSEN. Als weiterer Konfliktpunkt liegt der Wartebereich einer Bushaltestelle auf dem Weg. Dieser endet dann an der Ecke Am Struckmannshof, wo Radfahrer per Schild gebeten werden, rechts abzubiegen, weil man ihnen geradeaus keinen eigenen Weg geben mag. So sieht die eine Richtung aus.

Auf dem Rückweg auf der anderen Seite wird man aus der Martinistraße kommend von einem Radfahrstreifen in die offene Kreuzung entlassen. Auch dahinter gibt es keine Radweg oder Schutzstreifen. Traut man sich auf der rechten Fahrspur zu bleiben? Oder weicht man auf die kurze Busspur aus, von der man sich dann entweder in den fließenden Verkehr einfädeln muss oder wieder zum Gehwegradler wird? Erst vor dem Schloss beginnt seit Kurzem ein Schutzstreifen, der Radfahrer geradeaus Richtung Neumarkt leitet. Auch hier ist es verständlich, dass Radfahrer auf den Gehweg vorm Schloss ausweichen.

Am Neumarkt selbst gibt es wieder temporär einen Radfahrstreifen (der oft zugeparkt ist). Aktuell führt der Radfahrstreifen sogar ziemlich durchgehend weiter bis zum Berliner Platz. Aber zum Teil auch wieder zwischen Geradeaus- und Abbiegespuren sowie Bushaltebuchten. So auch vor dem Gericht, wo Radfahrer anscheind öfter auf dem Gehweg anzutreffen sind. Vor der Post an der Wittekindstraße liegt der Radfahrstreifen dann in der Dooringzone. Dass das eine verordnete Gefahr ist, habe ich kürzlich hier aufgedröselt.

Es ist also immer leicht gesagt, dass Radfahrer machen, was sie wollen und ständig auf Gehwegen fahren. Wenn es aber an bestimmten Stellen tatsächlich so viele Radfahrer sind, dass es einem regelmäßig auffällt, sollte man die Schuld vielleicht nicht nur bei den Radfahrern suchen. Es scheint offensichtlich Gründe dafür zu geben, auf den Gehweg auszuweichen. Ein kurzes Beispiel dafür aus einem anderen Leserbrief in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 28. September 2018. Die Schreiberin fordert abschließend im Übrigen nicht die Legalisierung des Gehwegradelns, sondern einen sicheren Radweg.

Bei der Lektüre des Artikels lernte ich den für mich neuen Ausdruck ,Schutzstreifen‘. (…) Eine unpassendere Bezeichnung kann es dafür nicht geben. Schutz bieten diese Streifen nämlich so gut wie gar nicht. (…) Wir fahren mit unserer Tochter generell nicht auf diesem ,Schutz‘-Streifen mit dem Fahrrad. Auch wenn der dortige Bürgersteig von Schlaglöchern durchsetzt und total buckelig ist, fühlen wir uns darauf wohler.

Um das Problem zu lösen, muss man sich diese Gründe – alle Gründe – ansehen. Und ich denke, dass diese nur 950 Meter lange Strecke zeigt, wo das Problem liegt. Nichts ist einheitlich, kaum etwas ist mal aus Sicht des Radverkehrs gedacht. Überall wurde Autoplanung betrieben und nachträglich ein bisschen Fahrrad hineingedrückt. Wer sich in diesem ungenügenden Zustand nicht sicher fühlt, der fährt dort nicht – und sucht sich andere Wege. Das muss man verstehen, wenn man an einer ehrlichen Lösung interessiert ist.