Ich hatte am vergangenen Freitag bereits die Maßnahmen aufgelistet, mit denen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer für attraktiveren und sicheren Radverkehr sorgen will. Mein erstes Fazit war, dass viele Dinge dabei sind , die erst mal keinem weh tun und die schon lange hätten umgesetzt werden können. Nun gibt es auch die ersten Reaktionen von Verkehrsverbänden dazu. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) e.V. geht nicht auf die Details ein, sondern fordert Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, um nicht nur den Radverkehr, sondern den Verkehr für alle Verkehrsteilnehmer in den Städten sicherer, leiser und übersichtlicher zu machen.
Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) bleibt auch sehr vage und teilt via Twitter mit, dass die StVO-Reformvorschläge des Bundesverkehrsministeriums zwar ein guter Anfang seien, aber noch Luft nach oben bleibe.
Die StVO-Reformvorschläge des @BMVI sind ein guter Anfang, aber da ist noch Luft nach oben. https://t.co/HNyMvpilt8
— ZIV (@profahrrad) June 11, 2019
Konkreter wird der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC), der den Entwurf von Bundesverkehrsminister Scheuer für eine fahrradfreundliche Novelle der Straßenverkehrs-Ordnung „verhalten positiv“ sieht. Er lobt zwar die große Bandbreite an Reformvorschlägen und die Ankündigung, vermisst allerdings größere Handlungsmöglichkeiten für Kommunen, dem Radverkehr mehr Platz im Straßenraum einzuräumen.
ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork sagt: „Die Vorschläge des Ministers für eine fahrradfreundliche StVO sind ein guter Anfang. Auch, dass er an den dicken Brocken des Straßenverkehrsgesetzes ran will, ist gut. Denn noch fehlt der große Wurf, der es Städten ermöglicht, den Platz zugunsten des Fahrrads neu aufzuteilen. Es gibt immer noch zu viele Hürden für die Einrichtung von geschützten Radwegen und Fahrradstraßen.“
Die ADFC-Bewertung der Vorschläge im Einzelnen:
- Generelles Halteverbot auf Schutzstreifen und Erhöhung der Bußgelder: Überfälliger Schritt. Höhere Bußgelder müssen aber auch für Radfahrstreifen und bauliche Radwege gelten, nicht nur auf Schutzstreifen.
- Mindestüberholabstand für Kfz: Überfälliger Schritt. Das gemeinsame Fahren von Auto- und Radverkehr auf der Fahrbahn sollte allerdings die Ausnahme sein. Ziel müssen durchgängige Netze aus vom Autoverkehr getrennten Radwegen sein.
- Schrittgeschwindigkeit für rechtsabbiegende LKW: Zu zaghafter Schritt. Echte Schrittgeschwindigkeit – zwischen 4 und 7 km/h – hilft, einen sicherheitsfördernden Geschwindigkeitsunterschied zwischen Lkw und Radfahrenden herzustellen. 11 km/h sind immer noch zu schnell.
- Grüner Pfeil für Radfahrer: Überfälliger Schritt. Freies Rechtsabbiegen für Radfahrende ist in den Niederlanden, Dänemark und Frankreich bereits erfolgreich erprobt.
- Einrichtung von Fahrradzonen: Guter Schritt, funktioniert aber nur, wenn gleichzeitig die Einrichtung von Fahrradstraßen erleichtert wird. Das ist bisher nicht vorgesehen.
- Nebeneinanderfahren erleichtern: Guter Schritt. Wichtig ist, dass motorisierte Verkehrsteilnehmer diese Regeln auch kennen. Bisher werden Radfahrende auf der Fahrbahn oft angehupt und abgedrängt.
- Parkverbot an Kreuzungen: Zu zaghafter Schritt. Kreuzungen sollten mit einem Abstand von 10 Metern (statt 5 Metern) von parkenden Fahrzeugen frei gehalten werden, um freie Sicht zwischen Rad- und Autoverkehr zu ermöglichen. So ist es auch in den Niederlanden.
- Piktogramm Lastenräder: Guter Schritt. Auch für die zunehmende Zahl von Spezialrädern braucht es genügend große, sichere Abstellplätze.
- Verkehrszeichen für Radschnellwege: Überfälliger Schritt. Radschnellwege müssen durchgängig gut ausgeschildert sein, damit sie als attraktive Schnellverbindung z.B. für Pendler funktionieren.
- Überholverbot an Engstellen: Guter Schritt, muss aber mit deutlicher Sensibilisierung der motorisierten Verkehrsteilnehmer einhergehen, von denen Radfahrende häufig als Störfaktor und nicht als gleichberechtigt wahrgenommen werden.
- Innovationsklausel: Sehr guter Schritt, der es Kommunen ermöglicht, beispielsweise flächendeckend Tempo 30 oder ein Einfahrverbot für schwere LKW in Pilotprojekten zu erproben
- Vereinfachte Öffnung von Einbahnstraßen: Kleiner, aber richtiger Schritt, der aber erst 2020 mit der neuen Verwaltungsvorschrift zur StVO kommen soll.
Es fehlt nach Auffassung des ADFC nach wie vor:
- Abschaffung des Begründungszwangs für manche Typen von Radverkehrsanlagen
- Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts
- Leichtere Einrichtung von Fahrradstraßen
- Verpflichtung zur Einrichtung von Radverkehrsanlagen an allen Straßen über Tempo 30
- Vorrang für die Einrichtung von Radverkehrsanlagen vor Kfz-Parkplätzen
Hierfür hatte der ADFC Anfang Mai einen eigenen Vorschlag für ein „Gute-Straßen-für-alle-Gesetz“ vorgelegt und Minister Scheuer beim Nationalen Radverkehrskongress in Dresden überreicht.
Scheuer muss an einigen Stellen nochmal nachlegen.
Stork: „Minister Scheuer muss an einigen Stellen nochmal nachlegen – und schnell an das übergeordnete Straßenverkehrsgesetz ran. Dort muss er festschreiben, dass nicht mehr die Flüssigkeit des Autoverkehrs alleinige Priorität hat, sondern die Gleichstellung aller Verkehrsarten und das Ziel „Vision Zero“, also null Tote im Straßenverkehr. Es ist nicht mehr zeitgemäß, Klima, Umwelt und Gesundheit dem Primat des motorisierten Verkehrs unterzuordnen. Städte müssen die Möglichkeit haben, das freie Parken einzuschränken, um Platz für den Radverkehr zu gewinnen, das Verkehrstempo zu reduzieren und Beschränkungen für den Autoverkehr einzurichten, wo es zur Förderung von Auto-Alternativen sinnvoll ist.“
6 Antworten auf „Fahrradfreundliche StVO: Guter Anfang, aber…“
Tempo 30 innerorts (und ein Verbot von Kraftfahrstraßen) wären in der Tat ein wichtigerer Schritt als alle Scheuer-Maßnahmen zusammen. Dennoch: Ich bin positiv überrascht, daß trotz Scheuer einige gute Änderungen dabei sind.
@Martin: Ich finde einzig den grünen Pfeil für Radfahrer nützlich (wenn er denn auch mal aufgehängt wird), der Rest ist mir ziemlich egal und wird meinen Alltag nicht ändern. Das erweiterte Parkverbot vor Kreuzungen ist potentiell interessant, aber da schon die bisherige Regel nicht eingehalten und nicht kontrolliert wird, wird alles bleiben, wie es ist.
Ich wünsche mir
1. eine Aufhebung der zahlreichen Fahrbahnverbote, also daß man Radfahrer als vollwertige und gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer ansieht.
2. Aufklärung und Verkehrserziehung, zum Beispiel Erinnerung an §1. Und daß man insbesondere den Kraftfahrern bewußt macht, daß sie eine gefährliche Maschine im öffentlichen Raum bewegen und welche Verantwortung das mitsichbringt.
*Das* wäre doch mal innovativ! Stattdessen kommt so ein Schlabberkram, der kaum Verbesserungen bringt und niemandem wehtut. Damit kann man dann die kommenden zehn Jahre alle Forderungen nach Verbesserungen abbügeln, weil die Radfahrer ja gerade eine weitere tolle Fahrradnovelle bekommen haben.
@Thomas
Dein beiden Punkte unterstütze ich selbstredend, auch wenn mir persönlich, gerade als Fußgänger, Tempo 30 innerorts die wichtigste verkehrspolitische Einzelforderung überhaupt ist. Die Anordnung von Radwegebenutzungspflichten kann man schon jetzt meistens wegklagen, aber gerade Kraftfahrstraßen sind die letzten Bollwerke der Segregation. Bei Tempo 30 wäre damit schnell Schluß.
Welchen Begründungszwang meint der ADFC?
@ Sven: An anderer Stelle wurde das meines Wissens für Fahrradstraßen genannt. Eine Fahrradstraße braucht (jetzt oder in absehbare Zukunft) mehr Radfahrer als KFZ-Fahrer, um eine Begründung für die Fahrradstraßen-Beschilderung zu haben.
Alles andere kann ich nur Raten, was mit dem Satz gemeint ist. Vielleicht Fördergelder für Radwegbau, nur wenn dieser benutzungspflichtig ist. Oder die Bedarfsanalysen für Radschnellwege wegfallen lassen.
OK, das Problem Fahrradstraßen kenne ich. Allerdings sollte es bei entsprechendem politischem Willen nicht schwer sein, damit so ähnlich umzugehen wie mit Rdwegbenutzungspflichten: erst einmal anordnen und abwarten, ob jemand dagegen klagt.
Die problematischen Förderbedingungen sprechen eigentlich für Radwege ohne besondere Begründung. Mist wird daraus erst, wenn jemand sein Bauprojekt auf formale Förderfähigkeit trimmt, ohne wirklich über den Radverkehr nachzudenken.