Aus 8.000 Kilometern Entfernung betrachtet waren die letzten zwei Wochen sehr interessant. Vier Themen haben mir deutlich gemacht, dass das mit der Verkehrswende in Deutschland nicht wirklich was wird, weil es nichts werden soll.

Helme verhindern keine Unfälle!

Das Bundesverkehrsministerium steckt viel öffentliche Energie in eine Aufmerksamkeit heischende, weil sexistische Kampagne für Fahrradhelme und feiert jede der wenigen positiven Reaktionen dazu ab. Die kommen denn auch fast ausschließlich von PR-Leuten und fachfremden Journalisten. Ich werde den Eindruck nicht los, dass es einzelnen Personen aus dem Ministerium bei der ganzen Kampagne eher ums eigene Ego geht als darum, Radfahrerinnen und Radfahrer zu schützen. (Dafür spricht auch, dass die Kampagne nicht mal wissenschaftlich ausgewertet wird.)

Und ich glaube kaum, dass auch nur ein Fahrradhelm mehr verkauft wird. Leben wird diese Kampagne vermutlich nicht retten. Und Fahrradhelme erhöhen auch NICHT die Verkehrssicherheit, wie Verkehrsminister Andreas Scheuer gerade bei der Vorstellung des ADFC-Fahrradklima-Tests wieder mal behauptet hat. Ich kann es auch an dieser Stelle nur wiederholen: Helme verhindern keine Unfälle! Das aber wäre die Aufgabe des Verkehrsministeriums: Den Verkehr so neu zu ordnen, dass Unfälle nicht mehr vorkommen. Sicher ein ambitioniertes Ziel. Aber man müsste wenigstens daran arbeiten. Während unsere Nachbarn in den Niederlanden sich vermutlich an den Kopf fassen – niemand trägt dort einen Fahrradhelm, weil er aus verschiedenen und vor allem infrastrukturellen Gründen nicht nötig ist -, hört man bei uns schon wieder vereinzelte Rufe nach einer Helmpflicht. Vermutlich ohne zu wissen, dass sie eher das Gegenteil von Sicherheit bringen würde. Zwei weiterführende Lesetipps gibt es bei der taz und bei icebike. Und auch diese Studie aus Tschechien ist sehr interessant.

15 Alibis für den Radverkehr

Nächstes Thema: Die Verkehrsminister der Bundesländer haben 15 Vorschläge zur Radverkehrsförderung gemacht, die von der Unionsfraktion im Bundestag und einigen Landespolitikern gleich wieder kassiert wurden. Das ist eigentlich das beste Beispiel dafür, dass für den Radverkehr nicht wirklich was gemacht werden soll. Denn was CDU und CSU hier strikt ablehnen, sind lediglich Symptomfrickeleien, die an der Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs gar nichts ändern würden.

  • Das Nebeneinanderfahren von Radfahrern soll öfter erlaubt werden? Traut sich doch sowieso niemand in einer Welt, in der man durch viel zu knappes Überholen und Schneiden des nächsten SUV gemaßregelt wird. Darum wollen Radfahrer auch gar nicht nebeneinander auf der Straße fahren. Sie wollen eigene breite Wege, wo das geht.
  • An Kreuzungen und Einmündungsbereichen soll das Parken im Abstand von fünf Metern vom Beginn der Einmündung verboten werden? Das gilt doch schon lange. § 12 Abs. 3 Ziff. 1 StVO: „Das Parken ist unzulässig vor und hinter Kreuzungen und Einmündungen bis zu je 5 m von den Schnittpunkten der Fahrbahnkanten.“
  • Schrittgeschwindigkeit für rechtsabbiegende LKW? Die gehören raus aus unseren Innenstädten oder sollten zumindest einen Abbiegeassistenten haben. Wirklich gut wäre aber die Trennung der Verkehre durch eigene Wege und Ampelschaltungen.
  • Halteverbot an Schutzstreifen und mehr Tempo 30? Das wird doch heute schon kaum bis gar nicht kontrolliert und sanktioniert. Eine reine „Verbesserung“ auf dem Papier.
  • Mindestens 1,5 Meter Abstand beim Überholen von Radfahrern? Sehr wichtiger Vorschlag, der allerdings auch heute durch verschiedene Gerichtsurteile de facto schon gilt, nur eben massenhaft ignoriert wird. Auch hier: Wer soll oder will das kontrollieren?
  • Bessere Markierung von Radwegen an Kreuzungen? Wir brauchen keine besseren Markierungen, wir brauchen bessere Radwege! Und dafür braucht es Platz, Platz, Platz und noch mal Platz. Und keine Farbe!
  • Bundesländer sollen innovative Projekte auch ohne Gefahrenlage genehmigen können? „Innovative Projekte“ steht hier natürlich wieder für kreative Maßnahmen, die etwas ändern sollen, ohne wirklich etwas an der Problemlage zu ändern. Es braucht keine Raketenwissenschaft, um die Situation von Radfahrerinnen und Radfahrern zu verbessern. Es braucht Infrastruktur, gleichberechtigte Planung und Flächengerechtigkeit!

Gerät nun aber etwas in Verdacht, positiv für den Radverkehr zu sein, schrillen bei CDU und CSU sofort die Ideologieglocken und Ablehnung muss demonstriert werden. „Die Vorschläge sind dazu geeignet, auf lange Sicht dem Fahrrad eine einzigartige Privilegierung gegenüber den anderen Verkehrsmitteln zu verschaffen“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ulrich Lange, gegenüber dem SPIEGEL. Dass muss man ob der minimalinvasiven Vorschläge schon fast als Schwachsinn abtun. Denn wenn überhaupt sollen hier kleine Alibimaßnahmen in die einzigartige Privilegierung des Autos gegenüber allen anderen eingeflochten werden, die insgesamt aber gerade NICHTS am bestehenden System ändern würden. „Ich sehe schon die Radrowdys in den Startlöchern, das kann nicht gut gehen“, sagt Lange dann noch in Bezug auf den Vorschlag, den Radverkehr auch in engen Einbahnstraßen in Gegenrichtung freizugeben. Ganz so, als seien Radfahrer lebensmüde oder wüssten nicht, wer den Kürzeren zieht bei Fahrrad gegen immer größer und schwerer werdenden Autos.

Die FDP ist hier auch oft zur Stelle (wobei es hoffnungsvolle Ausnahmen wie den Osnabrücker Stadtverband gibt). In diesem Fall Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Buchholz, der zwar sagt, dass unsere Straßen nicht NUR für Radfahrer da seien, damit aber eigentlich sagen will, dass unsere Straßen GAR NICHT für Radfahrer da sind. Denn für wen unsere Straßen de facto da sind, können wir jeden Tag aufs Neue sehen. Und es liegt mit Sicherheit nicht am Radverkehr, dass Autos heute kaum noch vorankommen.

Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) sagte der dpa, er begrüße, was das Radfahren sicherer und leichter mache. „Allerdings muss man dabei auch bedenken, dass unsere Straßen nicht nur für Radfahrer da sind, sondern auch eine Abwägung stattfinden muss, damit nicht etwa der motorisierte Verkehr überhaupt nicht mehr voran­kommt.“ (taz.de)

Noch mehr los auf den schmalen Geh- und Radwegen

Dann hat das Bundeskabinett noch eine Verordnung für E-Scooter beschlossen. Elektrische Kleinstfahrzeuge sollen bald legal durch unsere Städte sausen können – vornehmlich auf Rad- und Gehwegen. Was uns der große Begeisterer (alles soll ja nun aufregend werden) aus dem Bundesverkehrsministerium als Baustein der Mobilität der Zukunft verkauft, ist in Wahrheit wohl eher eine Spielerei und ein weiterer Konkurrent für die begrenzte Fläche neben der Fahrbahn. Kritik an der Verordnung gibt es genug. Und kein Mensch steigt um von Auto auf E-Scooter. Hier wird höchstens die Radfahrt zur U-Bahn oder der Fußmarsch zum Bus ersetzt. Aber auch das ist natürlich so gewollt – von der Autoindustrie und damit auch von CDU und CSU. Niemand soll das Auto stehen lassen. Und schon gar niemand soll einen E-Scooter und ein ÖPNV-Jahresticket anstelle eines Autos kaufen. Hier ermöglicht das Bundesverkehrsministerium wieder etwas, das man als Fortschritt zu verkaufen versucht, das letztlich aber keine Auswirkungen auf die grundsätzliche Bevorzugung des Autos hat.




Das Fahrradklima wird rauer

Und schließlich noch der ADFC Fahrradklima-Test, dessen Gewinner immerhin – das muss man ihm lassen – von Minister Scheuer gekürt wurden. Das hat noch kein Bundesverkehrsminister gemacht. Leider gibt es insgesamt aber wieder mehr Verlierer als Gewinner. Und so zeigt der Klima-Test, wo es wirklich hakt und dass so ziemlich alle Maßnahmen der Bundesregierung nur Makulatur sind, solange Radfahrer nicht mehr Platz auf unseren Straßen bekommen, dieser Platz auch nachhaltig überwacht wird und die entsprechenden Bußgelder endlich über Portokassenniveau gehoben werden, Stichwort Falschparker. Radfahrer fühlen sich der deutschlandweiten Umfrage zufolge 2018 nämlich noch mal unsicherer als 2016. Die Bewertung des eigenen Sicherheitsgefühls rutschte ab von Schulnote 3,9 auf 4,2. Es geht also in die genau falsche Richtung.

Solange wir einen Bundesverkehrsminister von der CSU haben, sehe ich keine Chance, eine Verkehrswende auch nur im Ansatz loszutreten. Andreas Scheuer macht daraus ja auch keinen Hehl, gefällt ihm doch nicht mal das Wort Verkehrswende. Für ihn soll die Mobilität der Zukunft Spaß machen, auch „Radfahren muss Spaß machen“. Egal wo Andreas Scheuer auftritt, er redet von Spaß. Ist er inzwischen sogar der deutsche Spaßminister? Bei dem ganzen Spaß bekomme ich das Gefühl, dass er Mobilität nur noch als Selbstzweck sieht. Sollen wir in Zukunft alle nur noch rumfahren, weil es Spaß macht? Mobilität – und gerade das Radfahren – soll in erster Linie mal zuverlässig funktionieren, sicher und komfortabel sein.

Man muss es aber auch nicht nur an Scheuers Person festmachen. Vor allem CDU und CSU sind mit der Autoindustrie so sehr verwoben, dass der Mittelpunkt der Mobilität der Zukunft das Auto bleiben wird. Ob das dann elektrisch, mit Biokraftstoffen oder auch mal 200 Meter autonom fährt, ist insgesamt genauso Kosmetik wie das, was momentan aus dem Bundesverkehrsministerium in Sachen Radverkehr kommt. Daher verspreche ich mir auch nicht viel von dieser Ankündigung:

Im Kleinen kann was gehen

Hoffnung macht dann eher Mut zur Veränderung auf lokaler oder regionaler Ebene. Wenn zum Beispiel eine Koalition aus SPD, Grünen, FDP, Linke und Piraten in Osnabrück einen wirklich guten Radweg bauen lässt, der zwar kurz ist, aber immerhin einen Anfang darstellt – der nach Willen der oben Genannten nun auch zügig weitergebaut werden soll. Oder wenn sich die Stadt Berlin ein Mobilitätsgesetz verpasst, das endlich einen rechtlichen Rahmen vorgibt und schon mal zu den ersten geschützten Radwegen geführt hat. Oder wenn eine ganze Region den „Radschnellweg Ruhr“ plant und einen ersten Teil schon gebaut hat. Ähnliches gilt für die Nordbahntrasse in Wuppertal. Oder wenn die Stadt Karlsruhe so aktiv wird, dass sie Münster als fahrradfreundlichste Stadt Deutschland ablösen kann. Das sind Dinge, die den Radfahrerinnen und Radfahrern vor Ort wirklich helfen und schließlich der Verkehrswende auf die Sprünge helfen können. Wünschen wir unseren Städten also Mut. Mut zur Veränderung, Mut zu mehr Radverkehr, Mut zu lebenswerten Städten.