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Allgemein Radverkehr

Verkehrswende – looks like shit…

Aus 8.000 Kilometern Entfernung betrachtet waren die letzten zwei Wochen sehr interessant. Vier Themen haben mir deutlich gemacht, dass das mit der Verkehrswende in Deutschland nicht wirklich was wird, weil es nichts werden soll.

Helme verhindern keine Unfälle!

Das Bundesverkehrsministerium steckt viel öffentliche Energie in eine Aufmerksamkeit heischende, weil sexistische Kampagne für Fahrradhelme und feiert jede der wenigen positiven Reaktionen dazu ab. Die kommen denn auch fast ausschließlich von PR-Leuten und fachfremden Journalisten. Ich werde den Eindruck nicht los, dass es einzelnen Personen aus dem Ministerium bei der ganzen Kampagne eher ums eigene Ego geht als darum, Radfahrerinnen und Radfahrer zu schützen. (Dafür spricht auch, dass die Kampagne nicht mal wissenschaftlich ausgewertet wird.)

Und ich glaube kaum, dass auch nur ein Fahrradhelm mehr verkauft wird. Leben wird diese Kampagne vermutlich nicht retten. Und Fahrradhelme erhöhen auch NICHT die Verkehrssicherheit, wie Verkehrsminister Andreas Scheuer gerade bei der Vorstellung des ADFC-Fahrradklima-Tests wieder mal behauptet hat. Ich kann es auch an dieser Stelle nur wiederholen: Helme verhindern keine Unfälle! Das aber wäre die Aufgabe des Verkehrsministeriums: Den Verkehr so neu zu ordnen, dass Unfälle nicht mehr vorkommen. Sicher ein ambitioniertes Ziel. Aber man müsste wenigstens daran arbeiten. Während unsere Nachbarn in den Niederlanden sich vermutlich an den Kopf fassen – niemand trägt dort einen Fahrradhelm, weil er aus verschiedenen und vor allem infrastrukturellen Gründen nicht nötig ist -, hört man bei uns schon wieder vereinzelte Rufe nach einer Helmpflicht. Vermutlich ohne zu wissen, dass sie eher das Gegenteil von Sicherheit bringen würde. Zwei weiterführende Lesetipps gibt es bei der taz und bei icebike. Und auch diese Studie aus Tschechien ist sehr interessant.

15 Alibis für den Radverkehr

Nächstes Thema: Die Verkehrsminister der Bundesländer haben 15 Vorschläge zur Radverkehrsförderung gemacht, die von der Unionsfraktion im Bundestag und einigen Landespolitikern gleich wieder kassiert wurden. Das ist eigentlich das beste Beispiel dafür, dass für den Radverkehr nicht wirklich was gemacht werden soll. Denn was CDU und CSU hier strikt ablehnen, sind lediglich Symptomfrickeleien, die an der Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs gar nichts ändern würden.

  • Das Nebeneinanderfahren von Radfahrern soll öfter erlaubt werden? Traut sich doch sowieso niemand in einer Welt, in der man durch viel zu knappes Überholen und Schneiden des nächsten SUV gemaßregelt wird. Darum wollen Radfahrer auch gar nicht nebeneinander auf der Straße fahren. Sie wollen eigene breite Wege, wo das geht.
  • An Kreuzungen und Einmündungsbereichen soll das Parken im Abstand von fünf Metern vom Beginn der Einmündung verboten werden? Das gilt doch schon lange. § 12 Abs. 3 Ziff. 1 StVO: „Das Parken ist unzulässig vor und hinter Kreuzungen und Einmündungen bis zu je 5 m von den Schnittpunkten der Fahrbahnkanten.“
  • Schrittgeschwindigkeit für rechtsabbiegende LKW? Die gehören raus aus unseren Innenstädten oder sollten zumindest einen Abbiegeassistenten haben. Wirklich gut wäre aber die Trennung der Verkehre durch eigene Wege und Ampelschaltungen.
  • Halteverbot an Schutzstreifen und mehr Tempo 30? Das wird doch heute schon kaum bis gar nicht kontrolliert und sanktioniert. Eine reine „Verbesserung“ auf dem Papier.
  • Mindestens 1,5 Meter Abstand beim Überholen von Radfahrern? Sehr wichtiger Vorschlag, der allerdings auch heute durch verschiedene Gerichtsurteile de facto schon gilt, nur eben massenhaft ignoriert wird. Auch hier: Wer soll oder will das kontrollieren?
  • Bessere Markierung von Radwegen an Kreuzungen? Wir brauchen keine besseren Markierungen, wir brauchen bessere Radwege! Und dafür braucht es Platz, Platz, Platz und noch mal Platz. Und keine Farbe!
  • Bundesländer sollen innovative Projekte auch ohne Gefahrenlage genehmigen können? „Innovative Projekte“ steht hier natürlich wieder für kreative Maßnahmen, die etwas ändern sollen, ohne wirklich etwas an der Problemlage zu ändern. Es braucht keine Raketenwissenschaft, um die Situation von Radfahrerinnen und Radfahrern zu verbessern. Es braucht Infrastruktur, gleichberechtigte Planung und Flächengerechtigkeit!

Gerät nun aber etwas in Verdacht, positiv für den Radverkehr zu sein, schrillen bei CDU und CSU sofort die Ideologieglocken und Ablehnung muss demonstriert werden. „Die Vorschläge sind dazu geeignet, auf lange Sicht dem Fahrrad eine einzigartige Privilegierung gegenüber den anderen Verkehrsmitteln zu verschaffen“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ulrich Lange, gegenüber dem SPIEGEL. Dass muss man ob der minimalinvasiven Vorschläge schon fast als Schwachsinn abtun. Denn wenn überhaupt sollen hier kleine Alibimaßnahmen in die einzigartige Privilegierung des Autos gegenüber allen anderen eingeflochten werden, die insgesamt aber gerade NICHTS am bestehenden System ändern würden. „Ich sehe schon die Radrowdys in den Startlöchern, das kann nicht gut gehen“, sagt Lange dann noch in Bezug auf den Vorschlag, den Radverkehr auch in engen Einbahnstraßen in Gegenrichtung freizugeben. Ganz so, als seien Radfahrer lebensmüde oder wüssten nicht, wer den Kürzeren zieht bei Fahrrad gegen immer größer und schwerer werdenden Autos.

Die FDP ist hier auch oft zur Stelle (wobei es hoffnungsvolle Ausnahmen wie den Osnabrücker Stadtverband gibt). In diesem Fall Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Buchholz, der zwar sagt, dass unsere Straßen nicht NUR für Radfahrer da seien, damit aber eigentlich sagen will, dass unsere Straßen GAR NICHT für Radfahrer da sind. Denn für wen unsere Straßen de facto da sind, können wir jeden Tag aufs Neue sehen. Und es liegt mit Sicherheit nicht am Radverkehr, dass Autos heute kaum noch vorankommen.

Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) sagte der dpa, er begrüße, was das Radfahren sicherer und leichter mache. „Allerdings muss man dabei auch bedenken, dass unsere Straßen nicht nur für Radfahrer da sind, sondern auch eine Abwägung stattfinden muss, damit nicht etwa der motorisierte Verkehr überhaupt nicht mehr voran­kommt.“ (taz.de)

Noch mehr los auf den schmalen Geh- und Radwegen

Dann hat das Bundeskabinett noch eine Verordnung für E-Scooter beschlossen. Elektrische Kleinstfahrzeuge sollen bald legal durch unsere Städte sausen können – vornehmlich auf Rad- und Gehwegen. Was uns der große Begeisterer (alles soll ja nun aufregend werden) aus dem Bundesverkehrsministerium als Baustein der Mobilität der Zukunft verkauft, ist in Wahrheit wohl eher eine Spielerei und ein weiterer Konkurrent für die begrenzte Fläche neben der Fahrbahn. Kritik an der Verordnung gibt es genug. Und kein Mensch steigt um von Auto auf E-Scooter. Hier wird höchstens die Radfahrt zur U-Bahn oder der Fußmarsch zum Bus ersetzt. Aber auch das ist natürlich so gewollt – von der Autoindustrie und damit auch von CDU und CSU. Niemand soll das Auto stehen lassen. Und schon gar niemand soll einen E-Scooter und ein ÖPNV-Jahresticket anstelle eines Autos kaufen. Hier ermöglicht das Bundesverkehrsministerium wieder etwas, das man als Fortschritt zu verkaufen versucht, das letztlich aber keine Auswirkungen auf die grundsätzliche Bevorzugung des Autos hat.




Das Fahrradklima wird rauer

Und schließlich noch der ADFC Fahrradklima-Test, dessen Gewinner immerhin – das muss man ihm lassen – von Minister Scheuer gekürt wurden. Das hat noch kein Bundesverkehrsminister gemacht. Leider gibt es insgesamt aber wieder mehr Verlierer als Gewinner. Und so zeigt der Klima-Test, wo es wirklich hakt und dass so ziemlich alle Maßnahmen der Bundesregierung nur Makulatur sind, solange Radfahrer nicht mehr Platz auf unseren Straßen bekommen, dieser Platz auch nachhaltig überwacht wird und die entsprechenden Bußgelder endlich über Portokassenniveau gehoben werden, Stichwort Falschparker. Radfahrer fühlen sich der deutschlandweiten Umfrage zufolge 2018 nämlich noch mal unsicherer als 2016. Die Bewertung des eigenen Sicherheitsgefühls rutschte ab von Schulnote 3,9 auf 4,2. Es geht also in die genau falsche Richtung.

Solange wir einen Bundesverkehrsminister von der CSU haben, sehe ich keine Chance, eine Verkehrswende auch nur im Ansatz loszutreten. Andreas Scheuer macht daraus ja auch keinen Hehl, gefällt ihm doch nicht mal das Wort Verkehrswende. Für ihn soll die Mobilität der Zukunft Spaß machen, auch „Radfahren muss Spaß machen“. Egal wo Andreas Scheuer auftritt, er redet von Spaß. Ist er inzwischen sogar der deutsche Spaßminister? Bei dem ganzen Spaß bekomme ich das Gefühl, dass er Mobilität nur noch als Selbstzweck sieht. Sollen wir in Zukunft alle nur noch rumfahren, weil es Spaß macht? Mobilität – und gerade das Radfahren – soll in erster Linie mal zuverlässig funktionieren, sicher und komfortabel sein.

Man muss es aber auch nicht nur an Scheuers Person festmachen. Vor allem CDU und CSU sind mit der Autoindustrie so sehr verwoben, dass der Mittelpunkt der Mobilität der Zukunft das Auto bleiben wird. Ob das dann elektrisch, mit Biokraftstoffen oder auch mal 200 Meter autonom fährt, ist insgesamt genauso Kosmetik wie das, was momentan aus dem Bundesverkehrsministerium in Sachen Radverkehr kommt. Daher verspreche ich mir auch nicht viel von dieser Ankündigung:

Im Kleinen kann was gehen

Hoffnung macht dann eher Mut zur Veränderung auf lokaler oder regionaler Ebene. Wenn zum Beispiel eine Koalition aus SPD, Grünen, FDP, Linke und Piraten in Osnabrück einen wirklich guten Radweg bauen lässt, der zwar kurz ist, aber immerhin einen Anfang darstellt – der nach Willen der oben Genannten nun auch zügig weitergebaut werden soll. Oder wenn sich die Stadt Berlin ein Mobilitätsgesetz verpasst, das endlich einen rechtlichen Rahmen vorgibt und schon mal zu den ersten geschützten Radwegen geführt hat. Oder wenn eine ganze Region den „Radschnellweg Ruhr“ plant und einen ersten Teil schon gebaut hat. Ähnliches gilt für die Nordbahntrasse in Wuppertal. Oder wenn die Stadt Karlsruhe so aktiv wird, dass sie Münster als fahrradfreundlichste Stadt Deutschland ablösen kann. Das sind Dinge, die den Radfahrerinnen und Radfahrern vor Ort wirklich helfen und schließlich der Verkehrswende auf die Sprünge helfen können. Wünschen wir unseren Städten also Mut. Mut zur Veränderung, Mut zu mehr Radverkehr, Mut zu lebenswerten Städten.

25 Antworten auf „Verkehrswende – looks like shit…“

Egal wie man zu der Helmkampagne steht :
Helme verhindern keine Unfälle – das ist richtig! Aber sie retten Leben ! Und da ich 50 Jahre Rad fahre , bin ich aus Er-FAHR-ung für die Helmpflicht für Radfahrer, Rollerfahrer und Skater .

Ja das ist leider total falsch. Eine Helmpflicht führt erst mal dazu, dass weniger Menschen Rad fahren. Und umso weniger auf den Straßen unterwegs sind, umso gefährdeter sind sie dann. Jeder der will, soll gerne einen Helm tragen. Aber bitte keine Pflicht.

Liefern Sie einen empirisch sattelfesten Beleg dafür, daß Fahrradhelme nachweislich Leben retten, also statistisch meßbar den Anteil schwerer Kopfverletzungen unter den Radfahrern senken. Dann reden wir weiter. Bisher gibt es hierfür weltweit keinen Nachweis. Wohlgemerkt: Keinen.

Ich hätte gern einen. Auch Ihre „anekdotische Evidenz“ ist hierfür leider ungeeignet.

Uwe Trettin, ich kenne keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, daß Alltagsradfahrer signifikant häufiger von durch Fahrradhelme vermeidbaren, schweren Kopfverletzungen betroffen wären als Autoinsassen, Fußgänger oder Menschen bei der Hausarbeit oder unter der Dusche. Einen Fahrradhelm zu tragen ist vermutlich genauso sinnvoll wie einen beim Staubsaugen oder unter der Dusche zu tragen. Wenn Sie einen Fahrradhelm beim Radfahren tragen wollen oder auch unter der Dusche, so sei Ihnen das unbenommen.

In Houten, einer Stadt mit sehr vielen Radfahrern, soll es seit 40 Jahren keinen tödlichen Fahrradunfall gegeben haben. Behelmte Radler sind dort fast so exotisch wie ein Alien vom Mars. Auch Kinder lernen von klein auf, daß Radfahren ganz normal ist und man nicht wie im Schützengraben einen Helm braucht.

Also ich find Elektroroller gut, von mir aus auch auf den Radwegen. Ich denke schon, dass es Leute gibt, die vom Auto auf den Zug+Roller umsteigen. Ein Fahrrad im Zug zur Rushhour mitzunehmen macht nämlich gar keinen Spaß (da ist das Wort wieder!), und das letzte Stück vom Bahnhof zum Büro oder zur Wohnung ist mit dem Roller schon bequemer als zu Fuß oder mit dem Bus. Ich kenne persönlich ein, zwei, die das zumindest für schönes Wetter in Betracht ziehen, wenn die Roller legal sind.

Adrian, ich habe ein Klapprad. Ein Klapprad ist zwar deutlich größer als ein Roller, aber in Zug, Bus usw. gratis als Gepäckstück mitzunehmen. Man kann damit bei jedem Wetter (außer Sturm) locker 10 km schaffen. Bei schönem Wetter auch 20, 30 km und mehr. Da es keinen Motor hat, tut man auch etwas für die Fitness. Und es hat keine umweltschädliche Batterie. Nur mal so als Anregung! :-)

Schöner Artikel. Leider wahr. Warum tut die Regierung so wenig.

Besonders auf den Absatz „15 Alibis für den Radverkehr“ möchte ich noch eingehen. Die meisten Forderungen sind in der Tat nur Kleinigkeiten oder schreiben fest, was sowieso gilt. Das jetzt die Union, diese Kleinstschritte als „Privilegien“ bezeichnet ist der größte Skandal an dem Artikel.

– Nebeneinanderfahren: Wieder ein Wortlaut, der eigentlich nur leicht optimiert wird. Schon jetzt ist das Nebeneinanderfahren erlaubt, wenn niemand behindert wird. Dies wird auch auf vielen ruhigen Straßen so praktiziert. Und wenn die Autofahrer das Privileg haben, grundsätzlich über 2 Meter breite für 1,2 Personen einzunehmen, sollten die Radfahrer dies bei Bedarf auch dürfen.

– Bei Abstand zu Kreuzungen, muss man genau auf den Wortlaut achten. Schnittpunkte und Eckausrundung ist der Unterschied. Schnittpunkt ist, wenn vom Bordstein ein gerade Linie gezeichnet werden würde. Die leichte Kurve wird ignoriert, während der neue Wortlaut, ab dieser schon misst Damit sind 2 Meter oder mehr freie Sicht drin. Auch wieder nur eine Kleinigkeit.

– Wenn ein LKW eventuell einen Radfahrer übersehen kann, halte ich 5 oder 6 km/h für ein angemessenes Tempo. Sollte schon heute gelten. Sinnvoller als Abbiegeassistenten, die auch nicht jeden Unfall verhindern können. (Technisch wie Menschlich reicht dies nicht immer) Getrennte Ampelschaltungen sind dagegen eine noch bessere Alternative für die Sicherheit.

Also schön und gut, wenn Wortlaute auf dem Papier optimiert werden. Ohne Kontrollen, Aufklärung und angemessene Strafen wird sich aber bei nur wenigen KFZ-Fahrern etwas ändern.

@ Daniel: …ich bin sooo alt , das ich noch die Diskussion um Helmpflicht auf Motorrädern , Mofas etc und die Gurtpflicht im Auto kenne …..
Sicherlich haben erstmal viele gemeckert und sich gesträubt—- aber im Nachgang betrachtet haben Helmpflicht und Gurtpflicht unzählige Leben gerettet.

@ Uwe: Wie ist den die Zahl der Mofafahrer? Haben Sie gemerkt, dass die Zahl der Mofafahrer deutlich zurückging? Dies ist nämlich das Problem.

Ein Helm ist insbesondere bei einem Zweirad meist ein Komfortverlust, weil der Helm mitgetragen werden muss. Selbst die Zahl der Roller scheint die Helmpflicht einen großen Unterschied zu machen, obwohl diese oft ein Fach unter dem Sitz für den Helm haben. (In Niederlanden ohne Rollerhelmpflicht fahren noch deutlich mehr Leute mit dem Roller)

Allein die Bewegung die eine Radfahrt bietet, gleicht die geringe Unfallgefahr aus. Die Lebensverlängerung durch Bewegung ist größer, als die durchschnittliche Lebensverkürzung durch Unfälle. Daher ist jede Fahrt, die wegen einem Helms nicht gemacht wird, ein Verlust.

Uwe Trettin, ich kenne nur die Situation in meinem Heimatdorf. Hier sind im letzten Jahr elf Radfahrer ums Leben gekommen. Leider ist mir nicht bekannt, ob einer von den elf einen Helm trug und bei wie vielen Kopfverletzungen todesursächlich waren. Aber bei acht oder neun hätte ein Helm sowieso nicht geholfen: Die Radfahrer wurden von LKWs überrollt bzw. in zwei Fällen von der Straßenbahn. D.h. in Berlin hätte ein Helm zwischen 77 % und 100 % der Todesfälle nicht verhindert.

Daß also die 50 % der Todesfälle durch Helm verhindert werden halte ich für ein Marketing-Märchen von „Vista Outdoor“.

Baden-Württemberg hat kürzlich die Verkehrsunfallbilanz 2018 veröffentlicht. 68 Radfahrer sind demnach im Bundesland im vergangenen Jahr im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Die Polizei hat dabei auch registriert, ob das Opfer einen Helm trug und vermeldet: „Zwei Drittel der tödlich verletzten Radnutzer trugen keinen Fahrradhelm.“

Die Helmtragequote betrug 2017 19 % (
https://www.bast.de/BASt_2017/DE/Publikationen/DaFa/2018-2017/2018-01.html). Wie groß der Anteil der getöteten Helmträger unter den 68 ist, lasse ich als Hausaufgabe.

https://gib-acht-im-verkehr.de/0005_service/0005d_presseberichte/download/2019/pm-im_verkehrsunfaelle-2018.pdf

Die Logik von gib-acht-im-verkehr.de muß man erstmal verstehen:

„““Zwei Drittel der tödlich verletzten Radnutzer trugen keinen Fahrradhelm. „Diese traurige Bilanz muss uns wachrütteln. Unsere Präventionskampagnen „Helm tragen. Vorbild sein.“ und „Schütze Dein BESTES.“ weisen ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines Fahrradhelmes hin““““ (Abschiebeminister Thomas Strobl, natürlich CDU, berüchtigt für seinen Dienstwagen¹, Bollwerk gegen Fahrverbote² und selbst sinnvollerweie ohne Helm mit dem Fahrrad unterwegs³)

Die Frage ist doch, ob auch nur einer der tödlich verletzten Radfahrer durch einen Fahrradhelm gerettet worden wäre. Das bezweifele ich. Wer Leben retten will, soll Tempo 30 in Ortschaften wieder einführen, Autos aus den Städten verdrängen, Fahrverbote verhängen usw. Strobl geht es aber nur um victim blaming.

¹ https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/Dienstwagencheck-der-Deutschen-Umwelthilfe,bildergalerie-dienstwagen-check-umwelthilfe-100.html

² https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/Luftverbesserung-in-Stuttgart-Strobl-Fahrverbote-fuer-Euro-5-wird-es-mit-uns-nicht-geben,regierung-diesel-fahrverbote-100.html

³ https://www.thomas-strobl.de/index.php?ka=3&ska=7&step=1&bnr=&ids=147

@Martin:
> Die Logik von gib-acht-im-verkehr.de muß man
> erstmal verstehen:

Das ist keine Logik, sondern ein Dogma: der Helm rettet Leben. Aber sie sind lernfähig. Früher haben sie die Helmtragequote noch selbst angegeben. Irgendwann hat dann jemand gemerkt, daß das die eigene Predigt konterkariert, und man läßt sie jetzt weg.
https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/weniger-verkehrstote-und-verletzte/

@Thomas Bliesinger,
die Statistiken sagen nicht aus, woran die Radfahrer gestorben sind, also die Verletzungen, wenn ein LKW über die Brust fährt kann genausogut Exitus sein, als wenn der Kopf gegen die Windschutzscheibe oder auf die Fahrbahn geschleudert wird. Außerdem spielt die Unfallursache eine entscheidende Rolle für mich, wenn Autofahrer sich vermehrt rücksichtslos und ignorant verhalten, verhindert das keine Unfälle oder Todesfälle.

Einer Bekannten wurde ein Bein abgefahren, sie trug nen Helm, der war aber im Prinzip nutzlos.
Brauchen wir also nen Vollschutz, der auch den Verlust von Gliedmaßen und das Zerdrücken des Körpers verhindert?

Bei Veranstaltungen zur Verkehrssicherheit sieht man hier immer die gleichen Leute, die das Helmtragen propagierten und mit der Schüssel in die Kamera grinsen, trifft man genau diese Leute unterwegs ganz normal, tragen die meist keinen Helm.

Ich krieg hier ständig ne Fehlermeldung, Sorry wenn das mehrfach im Fach landet.

@CMBS: Sicher gibt es auch andere Toderursachen als Schädel-Hirn-Traumata, und einige Helmträger mögen daran verstorben sein, aber das stützt dann noch weniger die Helmempfehlung.

Es ist aber durchaus so, daß Kopfverletzungen unter Unfallopfern sehr häufig sind.
Aus https://bast.opus.hbz-nrw.de/opus45-bast/files/277/medizinische_folgen_von_unfaellen.pdf, Seite 10 entnehme ich, daß über 70 % aller schwerstverletzten Radfahrer auch Kopfverletzungen erleiden. Das haben sie allerdings gemein mit schwerstverletzten Autoinsassen, LKW-Fahrern und Fußgängern. Die Tatsache, daß diesen Gruppen niemand Helme empfiehlt zeigt auch, wie verlogen die Helmpropanganda ist.

@Uwe: Können Sie bitte meine Frage beantworten? Konnten Sie einen Rückgang der Kleinkrafträder (Roller, Mofa) seit der Einführung der Helmpflicht feststellen? Nach meiner Schätzung ist diese Zahl nämlich seit den 90ern die Zahl weiter zurückgegangen.

Wenn Sie nach Australien schauen, sehen Sie, dass dies das eindeutigste Problem an einer Helmpflicht ist. Nach der Einführung der Fahrrad-Helmpflicht ging die Zahl der Radfahrer und gefahrenen Kilometer zurück. Die Zahl der Kopfverletzung ging auch zurück. Aber nicht in dem gleichen Maße. Pro gefahrenen Radkilometer, ist die Gefahr der Kopfverletzung gestiegen. Wegen der Helmpflicht.

Man kann natürlich Radunfälle verhindern, indem man die Zahl der Fahrten reduziert oder Radfahren komplett verbietet. Da dies aber zu mehr Autofahrten und weniger Bewegung führt, haben wir dann noch mehr Tote und noch mehr Kranke durch Bewegungsmangel und Abgase. Die derzeitige Zahl der nur durch Bewegungsmangel gestorbene liegt bei 5.300.000 weltweit. Jeder vernünftige Arzt wird Ihnen bestätigen, dass Radfahrern das Leben statsistisch verlängert, sowohl mit als auch ohne ohne Helm. Das wichtigste ist also, dass die Leute Radfahren, egal was sie auf dem Kopf tragen.

Der Unterschied zwischen motorisierten Fahrzeugen und Fahrrädern liegt darin, dass man sich körperlich betätigt und mehr oder weniger schwitzt. Unter dem Helm wird es unerträglich warm, wenn man im Sommer damit radelt.

Eine Helmfplicht wäre deshalb kontraproduktiv, weil die die viel, gerne und sicher radeln sowieso weniger Unfälle haben.

Wir müssen bei den Unfallursachen ansetzen, zum Einen Radfahrer, die sich falsch verhalten, zum Anderen der tote Winkel bei LKWs, an dritter Stelle rücksichtslose und unaufmerksame Autofahrer.

Hallo,
ich finde es bestürzend, dass sich die ehrenwerten Debattierenden hier so derartig „zerfleischen“!
Eigentlich wollt Ihr doch alle nur Rad fahren, und zwar sicher, oder?
Keep calm and ride on!

Ich habe drei Sachen festgestellt, zum Einen, dass viele Fahrradhändler die Kunden garnicht beraten können und einen Helm nicht einstellen können. Demensprechend sieht man halt auch Radfahrer mit Helm, deren Kinnriemen aber fast schon auf Brusthöhe lose baumelt, beim Sturz fliegt auch der Helm weg.

Die Styroporschale und Anbauteile sind sehr empfindlich, brechen schnell ab. Demensprechend sieht man hier bei einem städtisch geförderten Helm mit Stadtwappen schon bei vielen Helmträgern die Fehlteile. Damit ist klar, dass der Helm wohl schon mal runter gefallen ist, dementsprechend ist die Schutzwirkung vermindert. Die Kunden müssten besser informiert werden.

Im Winter ists kalt, und was machen viel Helmträger, sie ziehen ne dicke Mütze auf den Kopf, machen den Kinnriemen lang und setzen die Schale viel zu weit oben auf die Rummsmurmel. Das vermindert den Schutz ebenfalls, der Helm kann auch wegfliegen, wenn Er nicht richtig sitzt. Hier besteht dringender Informations- und Schulungsbedarf.

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