Ich hatte kürzlich über die immer wieder verzerrend wiedergegebene Unfallstatistik der Polizei geschrieben, wonach Radfahrende bei rund jedem zweiten Unfall Hauptverursachende seien und dabei kritisiert, dass man bei der Interpretation der Zahlen stärker differenzieren müsste. Mehr dazu lest ihr hier.

Anlässlich des Verkehrssicherheitstags am 19. Juni richtet nun auch der ADFC einen „eindringlichen Appell an die Pressestellen der Polizei“. Der Fahrradclub fordert eine objektive journalistische Perspektive auf Kollisionen zwischen Auto- und Radfahrenden. Unfallberichterstatter würden Kollisionen häufig schildern, als ob die Person auf dem Rad einen Fehler gemacht habe. Die Person im Auto oder Lastwagen bleibt oft schemenhaft oder unsichtbar. Dieser Blickwinkel verzerre fast immer die Unfallrealität und vergifte die öffentliche Wahrnehmung des Radverkehrs, so der ADFC.

Unfallberichte der Polizei lesen sich häufig so, als ob auf den Straßen lauter unbemannte Kraftfahrzeuge unterwegs seien, die schicksalhaft Menschen auf Rädern gefährden.

ADFC-Pressesprecherin Stephanie Krone sagt: „Unfallberichte der Polizei lesen sich häufig so, als ob auf den Straßen lauter unbemannte Kraftfahrzeuge unterwegs seien, die schicksalhaft Menschen auf Rädern gefährden. In Blaulicht-Meldungen heißt es dann, ein Auto habe eine Radfahrerin ‚erfasst‘. Ein Junge ‚geriet‘ unter einen Lkw. Oder: Ein Radfahrer wurde von einem Auto ‚aufgeladen‘ und zu Boden geschleudert. Dabei sitzt am Steuer eine Person, die laut Straßenverkehrsordnung ihr Fahrzeug so führen muss, dass niemand anderes gefährdet wird. Wer so schreibt, als wäre das Kraftfahrzeug das handelnde Subjekt, verschont die Person im Auto vor dem Blick des Lesers – und damit vor der Schuldfrage. Unser Appell: Benennen Sie nicht nur, was die Person auf dem Rad tut oder erleidet, sondern benennen Sie die Autofahrerin oder den Lastwagenfahrer – und beschreiben Sie in Aktivsätzen ihr Verhalten vor und während der Kollision!“

Eine westfälische Tageszeitung hatte einen Unfallbericht kürzlich mit der Schlagzeile „Radfahrerin kracht ohne Helm gegen Auto“ übertitelt. In Wirklichkeit aber hatte der Autofahrer der Radfahrerin an einer Einmündung die Vorfahrt genommen und sie angefahren. Der ADFC hatte das auf Twitter als einen besonders krassen Fall der Schuldumkehr und Verschleierung der handelnden Person im Auto kritisiert. Die Redaktion hat die Überschrift daraufhin geändert und sich für den sprachlichen Fehlgriff entschuldigt.

Der Artikel ist aber kein Einzelfall, sondern ein besonders augenfälliges Beispiel eines Massenphänomens. Krone: „Das Nicht-Tragen eines Helmes ist laut einem BGH-Urteil für die Schuldfrage irrelevant. Deshalb hat der Helm in der Headline nichts zu suchen. Falsch ist auch, die Radfahrerin als handelndes Subjekt darzustellen – wenn sie in Wirklichkeit das Opfer des Unfalls ist. Polizeiberichterstatter müssen klären, wer eigentlich Vorrang hatte. Häufiger, als viele denken, ist es der Radverkehr. ‚Autofahrer nimmt Radfahrerin die Vorfahrt und verletzt sie schwer‘ – das wäre der korrekte Blickwinkel auf diesen Fall. Wenn die Person im Auto oder Lastwagen eindeutig den Unfall verursacht hat, muss diese Information auch in der Überschrift und im Zentrum der Meldung stehen.“





Viele Polizeireporter*innen bei Tageszeitungen übernehmen solche Formulierungen aus den Polizeimeldungen. So verbreitet sich die verharmlosende und oft gefühlskalte Darstellungsform der Unfallberichte in der Öffentlichkeit. Positiv hebt der ADFC den Tagesspiegel hervor. Dessen ehemaliger Herausgeber Gerd Appenzeller veröffentlichte im letzten Jahr den Meinungsbeitrag „Das Auto ist kein wildes Tier, das Menschen erfasst“ und appellierte selbstkritisch an das eigene Haus, die Unfallberichterstattung mit mehr Feingefühl anzugehen. Auch in der taz wurde das Thema bereits kritisch besprochen.

Etwa zwei Drittel aller Fahrradunfälle sind Kollisionen mit Autos. Hauptschuld trägt in den allermeisten Fällen (75 Prozent) der Autofahrer beziehungsweise die Autofahrerin. Die meisten und schwersten Rad-Unfälle passieren an Kreuzungen und Einmündungen. Am häufigsten wird Radfahrenden hier bei Kollisionen die Vorfahrt genommen.

Letzte Spuren eines Dooring-Unfalls. Und auch hier gilt: Der Radfahrer ist nicht in eine Autotür gefahren. Der Autofahrer hat die Tür geöffnet, ohne auf den Radverkehr zu achten und dabei einen Radfahrer schwer verletzt.

Foto: dd