Am 14. Februar 2020 verabschiedete der Bundesrat die Novelle zur Straßenverkehrsordnung. Speziell die Förderung des Radverkehrs stand dabei im Mittelpunkt. Endlich alles gut für Radfahrer in Deutschland? Nein, es geht jetzt erst los, findet Thomas Geisler vom pressedienst-fahrrad.

Am 14. Februar war „Winter Bike to Work Day“. Der weltweite Aktionstag ruft dazu auf, Kälte, Schnee und Eis zu trotzen und auch bei winterlichen Bedingungen mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Doch das Hauptproblem für viele Radfahrer ist nicht das kalte Wetter (gegen das es bekanntlich die passende Kleidung gibt), sondern dass sie sich subjektiv im Straßenverkehr nicht sicher fühlen – und es objektiv auch nicht sind. Deshalb richtete sich der Blick der Radfahrer nach Berlin. Denn dort verabschiedete der Bundesrat die lange angekündigte Novelle zur Straßenverkehrsordnung.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ist nach eigener Aussage angetreten, eine fahrrad- und fußgängerfreundlichere Infrastruktur zu schaffen. Dadurch unterscheidet er sich schon deutlich von seinen Vorgängern. Radfahrer seien keine Fremdkörper im Straßenverkehr, betonte auch der parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann, der als Sprecher des Bundesverkehrsministeriums im Bundesrat für die Novelle warb. Er betonte zusätzlich, dass dieser Entschluss erst der Anfang sei. Und das ist auch gut so. Die Umsetzung des Vorhabens ist nämlich nur in manchen Punkten gelungen. Das zeigen die knapp 80 Änderungsanträge zur Novelle, über die der Bundesrat entschied. Wichtige Punkte wie der Mindestabstand beim Überholen von Radfahrern oder die Schaffung von Fahrradzonen mussten überarbeitet werden. Durch die vielen Änderungen wird der Ball nun wieder zur Bundesregierung zurückgespielt. Diese kündigte jedoch an, die Änderungswünsche schnellstmöglich umzusetzen, damit die Gesetze in Kraft treten können.




Diese Diskussionen beweisen, dass die Thematik extrem polarisiert. Die wohl wichtigste Möglichkeit, die diese Novelle gehabt hätte, um die Sicherheit auf den Straßen messbar zu erhöhen, wurde allerdings auf die nächste Anpassung 2020 vertagt: die flächendeckende Einführung von Tempo 30 innerorts. Städte wie Oslo oder Helsinki gehen dieser Tage an die Presse mit der Mitteilung, dass es 2019 keine toten Radfahrer oder Fußgänger gab. Der Grund: Mehr Tempo 30 für den Schutz der schwächsten Verkehrsteilnehmer. Und in Deutschland? Hier sagen die Ausschüsse, dass aufgrund ihrer Geschwindigkeitsdifferenz bereits einzelne Radfahrende in der Regel zu einer Behinderung im Verkehrsfluss führen! So gravierend wirkt das alte Paradigma weiter, Verkehr ausschließlich im Interesse von Autofahrenden zu begreifen. Statt einer Anpassung an die Geschwindigkeit der schwächeren Verkehrsteilnehmer und eine Verringerung der Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Auto und Rad für mehr Verkehrsfluss anzustreben, spricht der Ausschuss Radfahrern die „geistige Reife“ ab, ihre Position als Verkehrsbehinderung zu bewerten. Vielleicht sollte man doch den Schritt wagen, Autofahrende durch künstliche Intelligenz zu ersetzen? Ein autonomes Fahrzeug bringt immerhin die „geistige Reife“ mit, sich an die Geschwindigkeit des langsamen Verkehrsteilnehmers anzupassen. Das gefällt zwar nicht dem Insassen, aber dafür können sich Radfahrer und Fußgänger sicherer fortbewegen – wenn sie sich an die Regeln halten.

Radverkehr ist für alle gedacht

Das ist noch reine Zukunftsmusik. Kurz- und mittelfristig gilt es, die neu geschaffenen Verordnungen auch in die Tat umzusetzen, um den Radverkehr sicherer zu machen und mehr Menschen aufs Rad zu bekommen. Und mehr Sicherheit bedeutet: Pluralismus. Das Fahrrad ist nicht nur das Verkehrsmittel für Männer zwischen 35 und 50, die sich ihren Platz im Straßenverkehr selbstbewusst nehmen. Es ist auch das Verkehrsmittel für Kinder, Familien und ältere Menschen. Alle diese Gruppen müssen sich auf dem Rad und im Verkehr sicher fühlen. Die E‑Mobilität war ein wichtiger Schritt, um Ältere wieder aufs Rad zu bekommen. Jetzt gilt es, infrastrukturelle Grundlagen zu schaffen, die diese Verkehrsteilnehmer niedrigschwellig einlädt, das Angebot nutzen. Das betrifft viel mehr den Alltag als Ausflüge in touristischen Regionen. Doch hier sind nicht nur die Bundes‑, sondern genauso Lokalpolitiker in der Pflicht, Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Kommunen erhalten deshalb mehr Spielraum, um auf die lokalen Bedürfnisse reagieren zu können.

So sieht Infrastruktur aus, die alle Menschen einlädt, Rad zu fahren.

Der rollende Verkehr ist die eine Seite, der stehende die andere. Sichere Abstellanlagen sind noch Mangelware. Zu lange stand die Schaffung von Autoparkplätzen im Focus. Dabei nehmen Fahrradparkanlagen deutlich weniger Platz weg – und prägen so das Stadtbild auf eine grünere, lebenswertere Art. Wo bislang Betonwüste ist, kann bald eine neue Parkanlage entstehen. Ein weiterer Punkt ist eine einheitliche Kombinierbarkeit von Rad und ÖPNV. Da die Mieten in den Städten aktuell auf einem hohen Niveau stagnieren oder weiter steigen, treibt es gerade Familien in den Speckgürtel. Die Strecken zum Pendeln nehmen stetig zu. Und auch mit E‑Unterstützung fährt sich ein Arbeitsweg von 20 Kilometern und mehr mit dem Auto in der Regel immer noch schneller. Kostenlose Mitnahmemöglichkeiten von Fahrrädern in öffentlichen Verkehrsmitteln und bundesweit einheitliche Beförderungsbedingungen wären wichtige Maßnahmen, damit das Fahrrad in Zukunft einen wichtigeren Platz in der Mobilitätskette einnimmt und auf der letzten Meile seine Stärken ausspielt. Denn parallel wurde ebenfalls ein Gesetz verabschiedet, das den ÖPNV und den Schienenverkehr fördern und verbessern soll. In der Realität herrscht hingegen ein Tarifdschungel verschiedener Bahnverbände mit unterschiedlichen Angeboten, Bedingungen und Kartenverkaufsstellen – oder gar Mitnahmeverboten in den wichtigen Stunden morgens und abends.

Durch diese StVO-Novelle ist der Anfang gemacht, den Straßenverkehr sicherer zu machen. Aber es bedarf noch viel Arbeit in unterschiedlichen Gremien, damit es flächendeckend zu einer Verkehrswende kommt. Die aktuellen milden Winter sprechen eigentlich dafür, sich ganzjährig auf das Rad zu schwingen und das Auto lieber stehen zu lassen – ganz im Sinne des „Winter Bike to Work Day.“