Als Radfahrer hat man es wirklich nicht leicht in deutschen Städten. Auch in Osnabrück nicht. Seit einem halben Jahr gibt es allerdings einen kleinen Lichtblick, der überregionale Strahlkraft hat (zum Beispiel im Leitfaden „Parkraummanagement lohnt sich!“) und der ein positives Licht auf Osnabrück wirft: ein geschützter Radweg am Heger-Tor-Wall, über den ich bereits mehrfach geschrieben habe. Lob gibt es in der Stadt vor allem von Radfahrerinnen und Radfahrern (leider viel zu leise im Gegensatz zu den Gegnern), aber auch von der Fahrradwirtschaft.
Und wo Radfahrer Lob aussprechen, kann die Kritik in einer selbsternannten autofreundlichen Stadt nicht fehlen. Die kommt vor allem aus dem rechten politischen Spektrum – von rechts der Mitte und von noch etwas weiter rechts. Der Radweg sei viel zu kurz, habe Parkplätze vernichtet und das Geld wäre an anderer Stelle besser investiert. Zu all diesen Argumenten habe ich schon geschrieben.
Nun kam aber vom Finanzvorstand (SPD) der Stadt die überraschende Nachricht, dass der Radweg nicht wie zunächst angegeben 275.000 Euro gekostet habe, sondern 712.000 Euro. Begründen oder aufschlüsseln konnte der Stadtkämmerer die Summe dabei erst mal nicht. Trotzdem oder gerade deshalb war das ein gefundenes Fressen für die Gegner des Radverkehrs. Sowohl einzelne Ratsfraktionen als auch die Medien und der Bund der Steuerzahler stürzten sich auf die Zahl und konnte sich gar nicht einkriegen. Einzufangen war die Zahl damit natürlich nicht mehr. Ich habe mich bewusst zurückgehalten bis Details vorliegen.
Heute lud die Stadt dann zu einem Pressegespräch. Und dabei wurde es peinlich für den Finanzvorstand. (Leider konnte ich nicht selbst teilnehmen und ziehe meine Infos daher aus diesem NOZ-Artikel.) Die von ihm genannte Summe schließt alle durchgeführten Baumaßnahmen mit ein: Fahrbahnsanierung von zwei Fahrstreifen (was der eigentliche Grund für die Bauarbeiten war), Leitungsumlegungen durch die Stadtwerke, eine Ampelumstellung und eben der neue Radweg.
Für diesen waren ursprünglich 275.000 Euro veranschlagt. Klingt viel und ist auch viel im Vergleich zu billigen Straßenmalereien. Aber hier wurde eben auch das gesamte Profil der Straße verändert. Tatsächlich liegen die Kosten nun am Ende bei 430.000 Euro. Das liegt u.a. am Personalmangel in der Verwaltung, weshalb externe Planer engagiert werden mussten und an Nachtarbeit, auf die vor allem die Gegner des Radweges immer so viel Wert legen, damit der Autoverkehr möglichst wenig beeinträchtigt wird. Alles in allem also nachvollziehbare Kostensteigerungen, die kaum zu skandalisieren sind. Zumal ähnliches bei vielen anderen Bauprojekten passiert. Die NOZ nennt hier die Kostensteigerung beim Bau einer Turnhalle. Dazu habe ich nichts, aber auch gar nichts vom Bund der Steuerzahler und Co gehört. Der Finanzvorstand hat hier mit einem unüberlegten Schnellschuss also unnötig eine Debatte angeheizt, die es so nicht geben muss.
Etwas schizophren geht nun die CDU an die Sache. Im Kern eigentlich immer gegen Verbesserungen für den Radverkehr, die nicht zum Nulltarif zu haben sind und die den Autoverkehr auch nur im Geringsten beeinträchtigen, fordert sie nun, den neuen Radweg nicht mit dem neuen Standard von 3,25 Meter auszubauen. Obwohl auch der CDU-Vertreter am Runden Tisch Radverkehr ausdrücklich für diese Variante gestimmt hatte. Jetzt heißt es von einem anderen CDU-Ratsmitglied: „Wir sprechen uns dafür aus, dass der weitere Ausbau am Wallring im sogenannten ERA+ Standard, also zwei Meter breiter Radweg und zusätzlich ein halber Meter Schutzstreifen, erfolgt. Diese Variante ist für Fahrradfahrer sicher, man kann sogar überholen und wir bekommen selbst auf Basis der Planzahlen 50 Prozent mehr Radweg für das gleiche Geld.“
Das ist spannend. Und eigentlich hoch erfreulich. Bedeutet es doch, dass die CDU sehr wohl für einen breiten Radweg am gesamten Wallring ist. Und sie müsste folglich auch dafür sein, Parkstreifen konsequent zu entfernen. Anders ist auch ein ERA+ Radweg nicht zu realisieren. Es bleibt allerdings die Frage, ob der mit 2,75 Meter Breite dann so viel billiger wäre als der neue Standard mit 3,25 Meter. Ursprünglich standen hier Kostenprognosen von 180.000 Euro (ERA+) und 275.000 Euro (PBL) gegenüber. Die oben erwähnte Kostensteigerung hätte es auch bei ERA+ gegeben.
Hinter der ganzen Aufregung der vergangenen zwei Tage steckt aber wohl erstens eine Kampagne gegen einen fahrradfreundlichen Stadtbaurat und zweitens die innere Überzeugung einiger, dass Radverkehrsinfrastruktur nichts kosten darf. Weil sie in der Vergangenheit auch nicht viel gekostet hat. Das sieht man heute an den handtuchschmalen, buckeligen Radwegen, die hingequetscht wurden, wo es noch gerade passte. Natürlich waren die billig im Vergleich zu dieser modernen Variante. Die Zeiten haben sich aber geändert. Immer mehr Menschen fahren Rad. Und es könnten noch viel mehr sein, wenn man ihnen gute und sichere Wege bieten würde. Autobahnen werden auch immer weiter ausgebaut und bekommen neue Spuren. An Osnabrücks Stadtgrenze soll ein neues, neun Kilometer langes Stück der A33 sage und schreibe 145 Millionen Euro kosten. Hallo Bund der Steuerzahler? Da fragt auch niemand nach den Kosten. Das ist dann einfach so.
Wenn wir den Radverkehr in Osnabrück nicht spürbar stärken, dann bewegt sich bald nichts mehr auf den Straßen. Die Stadt verfügt über eine gewisse Kapazität an Autos, die sie aufnehmen kann. Wenn die überschritten ist, dann geht nichts mehr. Da hilft dann auch die intelligenteste Ampelschaltung nichts. In einige Betonköpfe will das einfach nicht hineingehen. Radverkehrsförderung ist Mobilitätsförderung. Jeder zusätzliche Radfahrer entlastet den Autoverkehr. In einer Stadt, in der man täglich hört, dass die Radwege viel zu gefährlich seien, kommen wir also nicht umhin, gute Radwege zu bauen. Und die brauchen Platz und kosten eben auch Geld. Es gibt keine Alternative dazu. Außer Stau.
17 Antworten auf „Der Skandal, der keiner wurde…“
Dieser Radweg wird von der radfahrenden Bevölkerung so gut wie nicht genutzt. Wer mit dem Rad in der Innenstadt unterwegs ist, kennt deutlich attraktivere Streckenführungen. Dementsprechend ist der tolle Radweg in der Realität und auf fast allen Fotos LEER!
Dieser Radweg ist ein wichtiger Teil des Schulweges für viele Kinder von Carolinum, Ursulaschule und Domschule in die Weststadt. Er wird gut frequentiert.
Ich nutze ihn jeden Tag (zu Schulzeiten auch schon täglich in der alten Ausgabe) und würde mir wünschen, die Radwege wären vor allem an viel befahrenen Straßen überall so :-)
Das ist auch meine Beobachtung. Selbst habe ich den Radweg noch nie benutzt, biege jeden Tag direkt davor ab. Aber Schüler/Studenten nutzen den Weg zumindest in den Morgenstunden rege. Für mich persönlich hätte es Strecken gegeben, auf denen mir ein sicherer Radweg mehr nutzen würde.
Was mich an den Zahlen interessieren würde: Ist die Kostensteigerung (Planung, Verkehrssicherung, etc.) nur für den Radweg angefallen. Oder müsste man die Mehrkosten eigentlich auf die gesamte Maßnahme aufteilen? Dass der Radweg für 4/7 der Gesamtkosten steht, finde ich etwas seltsam. Die restliche Maßnahme wird doch nicht die geplanten Kosten 1:1 getroffen haben, oder?
Vermutlich nicht. In diesem Fall muss man natürlich auch sagen, dass die Fahrbahnerneuerung verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen ist. Einfach eine neue Asphaltschicht drauf und fertig. Für den Radweg musste der Bordstein versetzt werden, was einen ungleich größeren Aufwand darstellt. Hier wurde also etwas wirklich Neues gebaut und nicht saniert.
Der Radweg sieht deshalb so leer aus, weil der Radverkehr sich nicht zurückstaut sonder fließt! Einfach eine ‚Radzählanlage“ aufstellen und schon werden die Zahlen plastisch sichtbar.
Ich nutze den Weg auch fast täglich und bin da drauf selten allein. Blöd ist nur, das er so kurz ist.
Kann mir mal jemand erklären, wieso dieser Radweg in den Medien (und hier als Tag) als „protected bike lane“ bezeichnet wird?
Für mich ist das ein klassischer Hochbordradweg in (zugegeben) außergewöhlich hoher Qualität.
Was diesen jetzt als „geschützten Radweg“ auzeichnet, erschließt sich mir nicht so recht.
Es sollte ursprünglich eine protected bike lane werden. Dann hat man sich aber dazu entschieden, die protection erst mal wegzulassen und zu schauen, ob es auch so funktioniert. Das tut es bisher sehr gut. Also spart man sich das jetzt. Der Begriff hat sich aber festgesetzt.
Daniel, Danke für diese Informartion.
tja, Zeitgeist eben.
„Protecktitt beik lähn“ ist Neusprech für Hochbordradweg und supertoll.
Der ADFC-BV hat die „(noch) Nicht-Radfahrer“ als Zielgruppe für sich entdeckt, während er Vielfahrer als „strong and fearless“ diskreditiert.
Hi Chrsitoph,
ich (jung, männlich, „strong und fearless“, mit Führerschein aber ohne Auto, MGdADFC) find die neue Fahr-Richtung des ADFC-Bundesverbands (insb. Burkard Storck) für richtig. Die Entwicklung in DE ((scheiß) Hochbord-Radwege > (scheiß) Radfahr/Stutzstreifen (oft weil zu schmal und ständig blockiert) > nur Fahrbahn) lief bisher genau umgekehrt zu anderen aufstrebenden Fahrradstädten (New York, London) und den NL wo man (auf Youtube gut zu verfolgen)zunächst (schlechte) Radfahr/Stutzstreifen aufgemalt (weil billg und schnell umsetzbar) und dann nach und nach Radwege (protected-bike-lanes) gebaut hat.
Radweg: 168 m Länge x 3,25 m Breite > 788 €/m^2
A33 Nord: 9200 m Länge x 24 m breite befestigte Fläche > 493 €/m^2 (wenn ich mal großzügig geschätzte 75% der aktuell ausgerufenen Gesamtkosten von 145 Mill. € für die reine Fahrbahnfläche ansetze)
Was soll ich daraus schließen? Hat sich die Stadt etwa abzocken lassen, pardon, hat sie Wirtschaftsförderung betrieben? Oder gab sie auch am Tag 2 des „Superradweg-Skandals“ noch übertriebene Beträge an die interessierte Öffentlichkeit? Werden sich die Kosten für den Autobahnbau noch mehrfach vervielfachen? Letzteres nur rethorisch gefragt …
Dennoch erscheint mir der Preis für den Radweg verglichen mit dem Endpreis der Autobahn unangemessen hoch, denn für Radwege ist kein Unterbau wie für schwere Lkw erforderlich und es ist kein totaler Neubau mit Grunderwerb etc. erforderlich gewesen.
Die einzelnen Kostensteigerungen sind dem NOZ-Artikel zu entnehmen. Die haben wenig mit der Eigenschaft eines Radweges zu tun. Die Auftragslage ist momentan so groß, dass einfach externe Planer hinzugezogen werden mussten. Und noch mal: Auch Radwege kosten Geld. Wir müssen uns davon verabschieden, dass der Radverkehr zum Nulltarif zu haben ist. Das war er viele Jahre lang, konnte aber damit auch nur ein sehr begrenztes Potenzial an Menschen „hinterm Ofen vorlocken“. Um den Radverkehrsanteil jetzt weiter auszubauen, bedarf es guter und sicherer Radwege. Die eben Geld kosten.
Es is etwas anderes, wenn man gar nicht will, dass mehr Menschen aufs Rad umsteigen. Dann muss man sich aber ach bewusst sein, dass bald Stillstand auf den Straßen herrscht.
Ein erheblicher Teil der Kostentsteigerungen dürfte auf den Bauboom zurückgehen, der derzeit überall in Deutschland zu horrenden Kosten bei Baumaßnahmen führt, insofern bezweifel ich, dass bei der Autobahn bei heutigem Baubeginn die kalkulierten Kosten eingehalten würden.
Außerdem, glaube ich, unterliegst du einem Denkfehler: Neubauten „auf der grünen Wiese“ sind i.d.R. im Grundsatz günstiger als Umbauten in der Stadt. Bis man mit dem „eigentlichen“ Bau der Verkehrsfläche beginnen kann, muss man die alte Oberfläche abtragen (incl. deren Entsorgung – und das Zeug willst du nicht auf einer normalen Mülldeponie haben), den Untergrund sanieren, Leitungen an andere Stelle verlegen usw., auch ist z.B. die Entwässerung deutlich komplexer als bei einem kompletten Neubau im Niemandsland. Auch die Baumaßnahme an sich ist in freier Landschaft deutlich einfacher als in der Stadt, wo man nicht nur den Verkehrsfluss während der Bauphase aufrechterhalten muss, sondern auch die Strom- und Wasserversorgung der Anlieger sowie die Erreichbarkeit der Grundstücke z.B. durch die Feuerwehr gewährleisten muss.
Bitte nicht dem sogenannten Bund der Steuerzahler auf den Leim gehen. Das ist nichts als ein neoliberaler Thinktank und eine Lobbygruppe. Mit dem Ziel, staatliche Ausgaben und generell Steuern zu diskreditieren. Von denen kam nie etwas konstruktives und es ist mehr als fraglich, warum ausgerechnet diese Leute den Sinn einer Maßnahme bewerten können sollten. In Hamburg wurde z. B. der Bau der einzigen Radverkehrszählsäule massiv kritisiert. Die gabs aber schon für überschaubare 35.000 Euro. Wenn hingegen eine Straße ausgebaut oder Autoparkplätze gebau werden, hört man von denen nie was. Seltsam.
Es ist immer nur der Weg in die eine Richtung auf den Bildern. In die Gegenrichtung hat man nichts gebaut?
Wenn man die wenigen Urteile im Zusammenhang mit Längsunfällen auf Radwegen betrachtet, solltem an mindestens 1 bis 1,50 Meter Abstand halten. Das geht auf ERA-Wegen nicht.
@ Sebastian: Storck fehlt eine planerische Ausbildung. Das merkt man leider immer wieder. Und bitte nicht vergessen, dass die PR-Videos zu den NL etc. immer nur ein Teil der Realität wiederspiegeln, wie auch die deutschen Videos nur ein Teil der Realität abbilden, wenn diese eine Sammlung an Worst-Case-Fällen sind. Einfach mal bei den NL-Filmchen auf den Gehwehbreiten achten.
@Daniel: Man könnte einfach mehr Planer einstellen. Aber der neoliberale Zeitgeist (zu dessen Kindern der Bund der Steuerzahler gehört) will ja lieber eine schlanke Verwaltung. Dann kommen zu dem Gehalt des Planers noch die Risikoaufschläge und Gewinne des Büros und der nie ausgewiesene zusätzliche Aufwand für die Ausschreibung und Überwachung der Auftragnehmer.