Erich-Maria-Remarque-Ring (3)In Osnabrück gibt es mal wieder eine große Debatte um die Schuldfrage bei einem Fahrradunfall. Ein Radfahrer war auf einem Radfahrstreifen gestürzt und in der Folge von einem LKW angefahren worden. Zeugen berichteten, dass sich der Radfahrer zuvor provokant verhalten habe – indem er sich an einer Ampel nicht neben, sondern vor den LKW gestellt hatte und ein Stück auf der Fahrbahn gefahren war, bevor er auf den Radfahrstreifen wechselte.

Die Neue Osnabrücker Zeitung erklärt heute online die rechtliche Frage zu Sicherheitsabstand und Nutzung des Radwegs. Die Informationen sind soweit auch alle richtig, greifen am Ende aber entscheidend zu kurz, wenn es um die Mithaftung des Radfahrers geht, der eine Benutzungspflicht ignoriert. Ja, bei einer Radwegebenutzungspflicht muss man auf dem Radfahrstreifen fahren. Es gibt aber auch Ausnahmen (baulicher Zustand etc.).

Interessant ist bei diesem konkreten Fall aber, ob diese Benutzungspflicht überhaupt zulässig ist. Der Radfahrstreifen befindet sich nämlich in großen Teilen in der Dooring Zone, also direkt neben einem Parkstreifen. Nun müssen Radfahrer aber einen Abstand von mindestens 80 Zentimetern zu parkenden Autos einhalten: „Beim Vorbeifahren an parkenden Fahrzeugen gehen Gerichte von einer Türbreite Abstand aus, die der Radfahrer einhalten muss (LG Berlin, Az. 24 O 466/95, OLG Karlsruhe, Az. 10 U 283/77). Der Öffnungsbereich von Autotüren erstreckt sich von etwa 80 cm bei schmalen Türen von viertürigen Kleinwagen bis etwa 1,5 m bei zweitürigen Coupés oder bei LKW.“ (ADFC) Tun sie dies nicht, können sie auch hier haftbar gemacht werden, wenn sie von einer Autotür getroffen und verletzt werden. „Ist der Abstand zu gering, kann dem Radfahrer bei einem Unfall ein leichtes Mitverschulden eingeräumt werden.“ (ZEIT Online)

Dooring Zone auf einem benutzungspflichtigen Radweg: Verlierer ist immer der Radfahrer…

Ist es nun provokantes Verhalten des Radfahrers, dass er trotz Radwegebenutzungspflicht auf der Fahrbahn fährt? Persönlich würde ich sagen, auf keinen Fall. Er hat die Gefahr der Dooring Zone erkannt und will nicht in die Gasse zwischen parkenden Autos und fahrendem LKW geraten. Wird er nun aber trotzdem haftbar gemacht, wäre eine Klage interessant. Zum einen gegen die Anordnung der Benutzungspflicht. Und zum anderen gegen die generelle Anlage eines Radfahrstreifens in der Dooring Zone. Hier könnte man gleich noch überlegen, ob die Stadt als planende Behörde nicht auch haftbar gemacht werden kann. Schließlich schickt sie ihre Bürgerinnen und Bürger auf Radfahrstreifen, die praktisch zu schmal sind, um sie zu nutzen.

Sebastian Hennecke, Osnabrücker Fachanwalt für Verkehrsrecht, sagt dazu auf Nachfrage: „Dieses Thema ist im Prinzip schon fast politisch. Der VGH München (VGH München, Urteil vom 6. 4. 2011 – 11 B 08.1892), ihm folgend das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 16.4.2012 (3 B 62/11) hat zu dem Thema z.B. folgendes geurteilt:

Die Radwegbenutzungspflicht für einen nicht den Mindestanforderungen der Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) entsprechenden Radweg darf jedenfalls dann angeordnet werden, wenn die Mitbenutzung der Fahrbahn durch Radfahrer zu einer im Verhältnis zu der auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruhenden Gefahr i.S. von § STVO § 45 STVO § 45 Absatz IX 2 StVO nochmals deutlich gesteigerten Gefährdung der Radfahrer selbst führen würde.

Zivilrechtlich ist diese Entscheidung vor dem Hintergrund des Mitverschuldens gem. § 254 BGB interessant. Kommt es in einem Bereich, in dem auf Grund von besonderen örtlichen Verhältnissen die Radwegbenutzung vorgeschrieben ist, zu einem Unfall mit einem die Fahrbahn benutzenden Radfahrer, wird wohl ein Mitverschulden des Radfahrers in der Regel zu bejahen sein.“

Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (§1, StVO)

Letztendlich bleibt trotz aller juristischer Spitzfindigkeiten eine Regel aktuell: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“ (§1, StVO) Und das gilt im Übrigen auch, wenn man sich provoziert fühlt – zu Recht oder zu Unrecht.

Politisch wird es hingegen Zeit, dass solche Radfahrstreifen einfach nicht mehr angelegt werden. Radfahrer wollen sicher und komfortabel ans Ziel kommen. Dass es in Berlin dafür jetzt sogar schon einen Volksentscheid gibt, zeigt, wie dringend das Problem ist.

Wer fährt hier schon gerne auf dem Radfahrstreifen?

Wer fährt hier schon gerne auf dem Radfahrstreifen?

Fotos: dd