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Mit zweierlei Maß gemessen…

Ich habe es an der einen oder anderen Stelle schon mal geschrieben und es bleibt leider aktuell. Wenn es um die Berichterstattung von Unfällen mit RadfahrerInnen geht, wollen mir zwei Sachen nicht in den Kopf.

Erstens: Fährt ein Radfahrer über eine rote Ampel oder achtet nicht auf „rechts vor links“ und verursacht dadurch einen Unfall, heißt es in der Regel, er habe das Rotlicht, bzw. die Vorfahrt missachtet.

Polizeipresse Osnabrück: Die Frau war gegen 14.30 Uhr mit ihrem Fahrrad auf dem Kirchweg unterwegs und wollte den Grüner Weg in Richtung Oststraße überqueren. Dabei missachtete sie die Vorfahrt eines von links kommenden Lkw, dessen Fahrer abbremsen musste und durch Hupen auf sich aufmerksam machte. Die Radfahrerin erschrak dadurch, stürzte zu Boden und zog sich schwere Verletzungen zu. (11. September 2014)

Wird ein Radfahrer aber von einem Auto angefahren, heißt es immer wieder, der Autofahrer habe den Radfahrer übersehen. Bei einer roten Ampel gerne mit dem Hinweis auf die tiefstehende Sonne. Von Missachtung der Vorfahrt ist da eher selten die Rede.

Polizeipresse Osnabrück: Die junge Frau war mit ihrem Rad in Richtung Neumarkt unterwegs, als sie an der Kreuzung Süsterstraße von einem Opel Meriva erfasst wurde. Die Fahrerin des Opel (49 J.) wollte nach links in die Süsterstraße abbiegen und hatte die bevorrechtigte Radfahrerin übersehen. Die 29-Jährige wurde bei dem Unfall schwer verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. (7. Oktober 2014)

Und zweitens: Verschuldet ein Radfahrer einen Unfall, bei dem er selbst verletzt wird, kommt als Reaktion fast ausschließlich „selbst schuld“. Mitunter sogar mit dem Zusatz „hoffentlich kommt der Autofahrer mit dem Geschehenen klar“.

Kommentare auf noz.de:

Wie dumm muß man eigentlich sein?

Osnabrück sollte sich ein Beispeil an anderen Städten nehmen und eine Polizei auf Rädern einführen, die sofort eingreift und auf der Stelle abkassiert, wenn ein Radfahrer meint, er könne fahren wie er will.

Dem oder die Autofahrer/rin wünsche ich, dass er/sie mit dem Geschehenen fertig wird.

Als Autofahrer musst du heute nicht nur Reaktion haben sondern auch ein gut funktionierendes Herz.

„Übersieht“ aber ein Autofahrer einen Radfahrer und tötet oder verletzt diesen schwer, kommt es fast immer zu victim blaming wie „kein Helm getragen“, „Radfahrer halten sich an keine Regeln“ etc. Und erstaunlicherweise dann auch immer mit dem Zusatz „hoffentlich kommt der Autofahrer mit dem Geschehenen klar“.

Kommentare auf noz.de:

Wenn ich als Radfahrer unterwegs bin, dann achte ich immer darauf, ob ein Fahrzeug vor oder neben mir abbiegen will. Das sagt mein gesunder Menschenverstand und mein Überlebenswille.

Und noch etwas, liebe Radler, wie schauts denn aus mit einem Fahrradhelm und einer Warnweste? Sieht zwar nicht so cool aus, aber hat eine enorme Wirkung!

Meine Gedanken sind bei dem Unfall Opfer, aber auch dem Fahrer wird es nicht gut gehen.

Ganz sicher ist die Schuld aber nicht allein beim LKW-Fahrer zu suchen, der ein ziemliches Ungetüm um die Kurven zu bringen und gleichzeitig alle Spiegel zu beobachten hat.

Wieso wird Fehlverhalten von Autofahrern (fast) immer mit irgendwelchen Umständen entschuldigt, Radfahrer aber sofort verallgemeinernd als Rüpel oder Rowdies hingestellt, die sich an keine Regeln halten? Wie absurd ist der Hinweis auf einen Fahrradhelm, wenn ein Mensch von einem LKW überrollt wird? Was bringt mir eine Warnweste, wenn der LKW-Fahrer mich doch gar nicht sieht? Und wieso bricht in den Kommentaren immer gleich die blanke Verachtung RadfahrerInnen gegenüber los?

14 Antworten auf „Mit zweierlei Maß gemessen…“

Das kennt man ja von Polizeimeldungen und auch Zeitungsartikeln. Entweder machen die Verfasser der Texte das ausversehen und denken einfach nicht darüber nach, oder sie manipulieren absichtlich.
Was dann dabei herauskommt, sieht man an den Kommentaren.

Es sind eben auch die Kleinigkeiten in den Artikeln, die man ohne genaues hinschauen nicht erkennt.
Z. B.: Wenn ein Radfahrer von einem Auto angefahren wird, heißt es oft: „Er verletzte sich dabei.“ Hier wird dem Radfahrer ein Aktivpart zugewiesen.
Niemand würde auf die Idee kommen, falls ein Radfahrer durch einen Autofahrer stirbt, zu schreiben: „Er tötete sich dabei.“
Genauso müsste es heißen: „Er wurde verletzt.“

Dabei geht es nicht nur um die Wortwahl, sondern auch darum, ob man aktiv oder passiv formuliert. In einer passiven Formulierung ist das Opfer das Subjekt des Satzes, und nicht der Täter (z. B. „der Radfahrer wurde angefahren“ statt „Autofahrer hat Radfahrer angefahren“).
Hier ist ein passender Beitrag aus einem Blog, das ich empfehlenswert finde (englisch):
http://cycle-space.com/passive-voice-pussyfooting/
Das ist nicht mein Blog, aber wenn ich hier ein bisschen Werbung machen darf: Der Autor ist Dozent für Architektur an der Uni Tasmanien und Rennradfahrer und schreibt sehr engagiert über Radverkehr, eben auch aus Sicht der Architektur. Er hat auch ein Buch veröffentlicht (Cycle Space: Architecture and Urban Design in the Age of the Bicycle), das ich sehr empfehlen kann.

Das scheint typisch für Osnabrück zu sein. Ich wohne jetzt hier seit einigen Jahren und komme aus Münster. Ohne jetzt Belege zu liefern ist es dort geführt genau umgekehrt.

Bei dir auch ein kleines bisschen: „Was bringt mir eine Warnweste, wenn der LKW-Fahrer mich doch gar nicht sieht?“
Eher: „… wenn der LKW-Fahrer doch gar nicht schaut?“

Warum: wenn man etwas nicht sieht, hat man nicht auch nicht geschaut und geht eben das Risiko ein etwas nicht zu sehen. Und wer tote Winkel an seinem Fahrzeug mitfuehrt ist davon nicht freigestellt.

In Leipzig wuerde ich sagen, sind die Pressemeldungen so Mittelfeld, also etwa gleich viele neutrale wie KFZ-seitige. Das Unterscheiden von aktivem/passivem Verletzen ist noch nicht angekommen, wobei ich das vorerst eher als normalen Sprachgebrauch sehe.

Du hast es oben drüber ja auch geschrieben. Mir war (ohne Anführungszeichen o.ä.) nicht bewusst, dass das Thema so aufgegriffen wird. Wie auch immer, man kann ja diese Floskeln mit denen vermeintliche Opfer deklariert werden ja gar nicht oft genug klarstellen. Danke.

Als autofreier Mensch, möchte ich dennoch mal die Autofahrer in Schutz nehmen, da sie auch nur Menschen sind. Wir Menschen können Dinge „übersehen“ auch wenn wir hinschauen. Dazu wurden genug Studien gemacht, hier nur zwei (sehr allgemeine) Beispiele:
a)

und
b)

Wenn dann noch andere ablenkende Faktoren ins Spiel kommen, Handy, Radio, Gedanken woanders, Stress, Zeitdruck etc. wird die Wahrscheinlichkeit etwas zu „übersehen“ noch viel größer.

Als Liegeradfahrer (mit neongelber Mütze) habe ich sehr oft die Diskussion über „man kann Sie da unten doch gar nicht sehen“.
Mein Kontenargument ist i.A., dass ich gleich hoch bin wie ein Kind auf dem Rad und wenn besagter Autofahrer, die auch nicht sehen kann … Regt zum Nachdenken an, und die meisten sind dann still.

Der Punkt zu Berichterstattung in den Medien bekommt von mir volle Zustimmung. Danke an BENEDIKT und PRESSERAD für die Links!

Ja sicher gibt es Situationen, wo man einen Radfahrer übersehen kann. Zum Beispiel wenn er im Dunkeln ohne Licht fährt. Aber deinen Zusatz mit den ablenkenden Faktoren wie einem Handy oder dem Radio lasse ich absolut nicht gelten. Das ist keine Ausrede dafür, dass man jemanden übersieht!

Und irgendwie hinkt auch der Vergleich mit dem ersten Video. Da tänzelt der Bär ja im Hintergrund rum, während man sich auf die Spieler in weiß konzentrieren soll. Und das ist genau das Problem. Radfahrer scheinen immer noch ein „Hintergrundphänomen“ im Verkehr zu sein. Sind sie aber nicht. Sie sind Teil des Verkehrs, auf den man genauso aktiv achten muss, wie auf die vielleicht ach so tollen Autos, die man auch gerne hätte!

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