Heute findet in Dortmund der Deutsche Straßen- und Verkehrskongress statt. Auf der Agenda steht das wichtige Thema klimafreundliche Mobilität. Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) erarbeitet Strategien, wie sich die notwendige Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr auch in den Regelwerken für den Straßenbau wiederspiegeln muss. Der Fahrradclub ADFC hatte die FGSV lange für ihre Kfz-Freundlichkeit kritisiert und eine schnelle Modernisierung der Planungsstandards gefordert. Das heute diskutierte Reformpapier bewertet der ADFC als Fortschritt, mahnt aber Eile und Konsequenz bei der aktuellen Überarbeitung der ‚Empfehlungen für Radverkehrsanlagen‘ (ERA) an.
Jetzt muss die FGSV es schaffen, die technischen Regelwerke von der jahrzehntealten Privilegierung des Autoverkehrs zu befreien. Das Auto kann nicht mehr die erste Geige spielen.
ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider sagt: „Der angekündigte Paradigmenwechsel beim Straßenbau zugunsten der klaren Förderung von Fuß-, Rad- und Nahverkehr macht Hoffnung. Der ADFC hat das schon lange gefordert. Jetzt muss die FGSV es schaffen, die technischen Regelwerke von der jahrzehntealten Privilegierung des Autoverkehrs zu befreien. Bei der aktuell stattfindenden Reform der ‚Empfehlungen für Radverkehrsanlagen‘ muss der erste große Wurf gelingen. Das Auto kann nicht mehr die erste Geige spielen. Der Radverkehr braucht breite, attraktive Wege in zusammenhängenden Netzen und sichere Kreuzungen – das muss sich schnellstens auch in den deutschen Gestaltungsrichtlinien wiederspiegeln.“
Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) ist ein privater Verein, der zentrale technische Regelwerke und Richtlinien für den Straßenbau erarbeitet. Die FGSV ist in den letzten Jahren zunehmend in Kritik geraten, weil die Regelwerke einseitig den Kfz-Verkehr bevorzugen und damit die dringend notwendige Verkehrswende blockieren. So wirft Oliver Schwedes dem Verein vor, „von Vertretern der Straßenbaulobby“ und „ökonomischen Partikularinteressen“ dominiert zu sein und über keine demokratische Legitimation zu verfügen. Die FGSV verfehle das Gemeinwohl zugunsten des motorisierten Individualverkehrs.
Auch Petra Pinzler kritisierte die FGSV für ihre Zusammensetzung: Wie die „Verkehrswelt aussieht, in der wir uns alle jeden Tag bewegen, wird in der Forschungsgesellschaft quasi stellvertretend für die Gesellschaft vorentschieden. Nur ist dort leider die Gesellschaft nicht vertreten.“
Aus Sicht des ADFC müssen alle für den Radverkehr verbindlichen technischen Regelwerke (RIN, RAL, RilSA, RSA-95, RASt06) sowie die ‚Empfehlungen für Radverkehrsanlagen‘ aus dem Jahr 2010 grundlegend überarbeitet werden, um flächendeckend einladende Radwegenetze zu ermöglichen. Ebenso wie Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrs-Ordnung müssen auch die Regelwerke an übergeordneten politischen Zielen, wie dem Klimaschutz, Gesundheitsschutz und der nachhaltigen Stadtentwicklung ausgerichtet werden, so der ADFC.
Der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. haben wir es zu verdanken, dass Fahrradschutzstreifen nicht breiter sein müssen, als die Dooring Zone neben Parkstreifen. So gibt es die von ihr herausgegebene ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) vor. /1
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
Die @TUBerlin hat sie die Gesellschaft mal angeschaut und kommt zu dem Ergebnis, dass "alle diese Personen und Organisationen am Fortbestand der aktuellen Situation in gewissem Umfang mehr oder weniger interessiert sind". /2
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
Die Herausgeber der Empfehlungen für RADVERKEHRSANLAGEN profitieren also vom AUTOZENTRIERTEN Verkehrssystem. Wundert sich da noch jemand, dass für den Radverkehr immer noch Minimallösungen als angemessen vorgegeben werden? /3
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
In der FGSV arbeiten Vertreter*innen von Ministerien, Ingenieur- und Planungsbüros, der Bau- und Ausrüstungsfirmen mit Wisschenschaftler*innen zusammen. Deren Regelungen setzen dann die Standards für die deutsche Verkehrswirklichkeit. Kommunen bauen, was die FGSV empfiehlt. /4
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
Aber: "Vertreter von Organisationen, die nicht-verkehrliche Interessen (etwa: Soziales, Klimaschutz, usw.) vertreten, sind in den Arbeitsgremien der FGSV praktisch nicht vertreten." Frauen darüber hinaus extrem unterrepräsentiert. Es ist praktisch ein Männerclub. /5
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
Veränderung aussichtslos: "Es ist uns in dieser Analyse nicht gelungen, eine in der FGSV mitarbeitende Organisationzu identifizieren, die an einer grundsätzlichen Umkehr der Situation im Verkehrswesen (etwa im Rahmen einer grundsätzlichen Mobilitätswende) interessiert wäre." /6
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
"Eine Einbeziehung der verschiedenen gesellschaftlichen Nutzer*innengruppen, also zB von Kindern, Seniorinnen und Senioren, Nichtregierungsorganisationen oder Vertretern anderer Perspektiven findet de facto nur in Ausnahmefällen statt." /7
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
Eine kleine Männerrunde baut hier also anhand von Eigeninteressen das Grundgerüst des Radverkehrs, in dem dann alle gesellschaftlichen und Altersgruppen klarkommen müssen. /8
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
Die @TUBerlin kommt zu einem klaren Ergebnis Die FGSV ist als ‚Closed Shop‘ eine Expertokratie, die sich immer wieder selbstrekrutiert. Dabei müsste sie sich neu erfinden: "Alle Perspektiven der Nutzergruppen und am Verkehr Teilnehmenden sind von Anfang an einzubeziehen." /9
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
Und solange das nicht passiert, bleibt der Radverkehr strukturell an den Rand gedrängt und Kommunen können sich hinter den schlechten Empfehlungen der FGSV verstecken.
Mehr in diesem Diskussionspapier: https://t.co/EDRwx8TmJ1 /10
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 10, 2021
Eine Antwort auf „Paradigmenwechsel beim Straßenbau?“
Eigentlich wäre der FGSV ja völlig egal, wenn nicht das Bundesverkehrsministerium dessen Empfehlungen quasi unverändert übernehmen würde. Das eigentliche Problem ist also die Unfähigkeit zu eigenem Denken und Handeln im Ministerium. Man fragt sich wozu man ein Ministerium benötigt, das nichts tut. Das schließt den Minister mit ein.