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ADFC legt „Gute-Straßen-für-alle-Gesetz“ vor

Im Vorfeld des „Nationalen Radverkehrskongresses“ legt der Fahrradclub ADFC heute einen Gesetzentwurf zur fahrradfreundlichen Reform von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vor. Zentrales Anliegen ist, den Kommunen die Einrichtung durchgängiger, komfortabler Radwegenetze und ein fahrradfreundliches Verkehrsklima zu ermöglichen.

Pressemitteilung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs e.V.

Im Vorfeld des „Nationalen Radverkehrskongresses“ legt der Fahrradclub ADFC heute einen Gesetzentwurf zur fahrradfreundlichen Reform von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vor. Zentrales Anliegen ist, den Kommunen die Einrichtung durchgängiger, komfortabler Radwegenetze und ein fahrradfreundliches Verkehrsklima zu ermöglichen. Das bisherige Straßenverkehrsrecht verhindere das Wachstum des Rad- und Fußverkehrs und anderer Formen der neuen, klimafreundlichen Mobilität, so der ADFC.

ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork sagt: „Staatssekretär Enak Ferlemann hat uns nach Abschluss des Koalitionsvertrags persönlich dazu aufgefordert, Vorschläge für eine fahrradfreundliche Reform der StVO zu machen. Wir haben diesen Auftrag aus gutem Grund deutlich weiter gefasst. Das kleinteilige Herumschrauben an der Straßenverkehrs-Ordnung, wie es bisher auf der Agenda stand, löst das zentrale Problem nicht. Das Straßenverkehrsrecht insgesamt steht bisher dem Ziel entgegen, Städte sauberer und lebenswerter zu machen – und sichere Mobilität für alle zu gewährleisten. Insbesondere verhindert es, dass der Radverkehr mehr Platz im Straßenraum bekommt. Da Minister Scheuer demnächst auch E-Scooter auf die ohnehin schon überfüllten und gefährlichen Radwege lassen will, ist es allerhöchste Zeit, den Kommunen die Neuaufteilung des öffentlichen Raumes deutlich zu erleichtern.“

Ziel: Lebenswerte Städte und sichere Mobilität für alle

Im 56 Seiten starken Gutachten der Wirtschaftskanzlei Becker Büttner Held im Auftrag des ADFC betonen die Juristen, dass ein modernes Straßenverkehrsgesetz nicht allein der Gefahrenabwehr dienen dürfe, sondern der aktuellen gesellschaftlichen Forderung nach lebenswerten Städten, sauberer Luft und attraktiven Alternativen zum Auto Rechnung tragen müsse. Die Änderungsvorschläge betreffen insbesondere:

Im Straßenverkehrsgesetz:

  • Vision Zero, also null Verkehrstote, als oberste Zielsetzung: Das Verkehrssystem muss menschliche Fehler ausgleichen – und die ungeschützten Verkehrsteilnehmer, also Menschen, die zu Fuß gehen, Rad oder Roller fahren, aktiv schützen.
  • Gleichstellung aller Verkehrsarten: Bisher hatte der Autoverkehr oberste Priorität, künftig sollen Bus, Bahn und Rad- und Fußverkehr besonders berücksichtigt werden
  • Berücksichtigung von Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz: Bisher waren nur die Flüssigkeit des Kfz-Verkehrs und die Gefahrenabwehr Gesetzesziele
  • Nachhaltige Stadt- und Verkehrsentwicklung: Kommunen sollen die Möglichkeit bekommen, Maßnahmen zur Vermeidung von Autoverkehr zu ergreifen und Anreize für umwelt- und klimafreundliche Verkehrsmittel zu setzen
  • Flächendeckende Parkraumbewirtschaftung: Einschränkung des freien Parkens, um Platz für Fuß- und Radverkehr zu gewinnen

In der Straßenverkehrs-Ordnung:

  • Abschaffung des Begründungszwangs für Radverkehrsanlagen: Bisher konnten manche Radwege nur bei Nachweis einer „außerordentlichen Gefahrenlage“ eingerichtet werden
  • Tempo 30 als Regel, Tempo 50 als Ausnahme: Bisher können Kommunen Tempo 30 nur in wenigen Ausnahmefällen anordnen
  • Schrittgeschwindigkeit für abbiegende LKW (bis 7 km/h) zur Verhinderung schwerer Abbiegeunfälle
  • Park- und Halteverbot auf Schutzstreifen: Bisher dürfen die Streifen mit der gestrichelten Linie legal überparkt werden, wodurch Radfahrende gefährdet werden
  • Verpflichtender Überholabstand 1,50 Meter mit Nutzung der Gegenfahrbahn: Bisher keine Rechtsvorschrift, daher werden Radfahrende häufig bedrohlich eng überholt und gefährdet
  • Leichtere Einrichtung von Fahrradstraßen: Es muss ausreichen, dass eine Fahrradstraße eine Lücke im Radverkehrsnetz schließt, auch ohne dass der Radverkehr vorherrschende Verkehrsart sein muss.

In der Verwaltungsvorschrift zur StVO:

  • Einheitliche, konsistente Radverkehrsführung an allen Straßen über Tempo 30: Bisher ist die Einrichtung von Radverkehrsanlagen keine Pflicht
  • Vorrang für die Errichtung von Radverkehrsanlagen vor Kfz-Parkplätzen: Bisher dient der Erhalt von Parkplätzen oft als Argument gegen notwendige Fahrradinfrastruktur.

Verkehrsminister Scheuer hatte kürzlich angekündigt, einen Entwurf für eine fahrradfreundliche Straßenverkehrsordnung gemäß Koalitionsvertrag bis Pfingsten vorzulegen. Der ADFC geht davon aus, dass eine Reform des wichtigen übergeordneten Straßenverkehrsgesetzes nicht geplant ist – und kritisiert eine mögliche Fortschreibung des autofokussierten Verkehrsrechts. Stork: „Minister Scheuer hat jetzt die Chance zu zeigen, dass er wirklich auch der Fahrradminister ist, der er behauptet zu sein. Wenn er mehr Mobilität mit weniger Auto sichern will, muss er auch an die harten Brocken der Gesetzgebung ran.“

Fotos: ADFC/Gerhard Westrich

16 Antworten auf „ADFC legt „Gute-Straßen-für-alle-Gesetz“ vor“

„Abschaffung des Begründungszwangs für Radverkehrsanlagen:“

Was hat man sich darunter vorzustellen? Der Begründungszwang gilt doch für *benutzungspflichtige* Radwege – und so sollte es auch bleiben!

@ANGELA KOHLS: „kann“. Davon wird übrigbleiben, daß man die rechtswidrige Praxis, benutzungspflichtige Radwege ohne Begründung einzurichten, legalisiert.

Der BV des größten Fahrradklubs velwechsert „Weg für Radfahrer“ mit „Verbot der Fahrbahn-Nutzung“ und schießt uns in die „Prä-1997-Zeiten“ zurück. Unglaublich.
Erst der Bärendienst mit der §45(9)- Ausnahme der nicht wegklagbaren Suggestivstreifen, die der ADFC seinerzeit so gehypt hatte (wovon er heute nichts mehr wissen will) und jetzt der Rollback ins letzte Jahrtausend.

„Zeigen wir dem staunenden Ausländer einen neuen Beweis für ein aufstrebendes Deutschland, in dem der Kraftfahrer nicht nur auf den Autobahnen, sondern auf allen Straßen durch den Radfahrer freie, sichere Bahn findet.“*

Bundesvorstand, mir graut vor Dir

* https://www.adfc-nrw.de/projekte/still-leben-a40/das-laengste-fahrradmuseum-der-welt/station-3-geschichte-der-radwege/geschichte-der-radwege.html

Es ist zwar richtig, das der rechtliche Rahmen dringend überarbeitet werden muss, damit vor Ort notwendige Veränderungen vorgenommen werden können wie innerorts konsequent Tempo 30 (wobei, in der Schweiz gibt es inzwischen einige Städte, die auf 20 runtergehen, was weitere Vorteile bringt, zum Beispiel hat sich dann in vielen Fällen das auf dem Rad vom Auto überholt werden erledigt, damit auch der zu geringe Abstand und als Folge dessen würden sich mehr Menschen aufs Rad getrauen).
Ob die Kommunen dann die Möglichkeiten auch ausschöpfen, da hab ich so meine Zweifel. Erst fangen die Händler das rumjammern an (die Kunden wollen mit dem Auto bis zum Laden fahren), die Kunden fallen in den Blödsinn gleich mit ein, und daraufhin beendet die Verwaltung alle entsprechenden Überlegungen.
Warum nur bezahlen die Händler, die in der Fußgängerzonen ihren Laden haben dann bereitwillig die lokal höchsten Mieten? Liegt es vielleicht daran, das in diesen Autofreien Zonen die Aufenthaltsqualität stimmt und dort dann auch gute Umsätze gemacht werden? Inzwischen hat doch jedes Kuhdorf seine Fußgängerzone. Und das aus gutem Grund. Dort rennen die Leute nicht nur durch, erledigen so schnell wie es geht ihren Kram und sind froh, wenn sie wieder gehen können. Sie halten sich in diesen Bereichen gerne auf, kucken ausgiebig in Schaufenster, setzen sich ins Cafe, hören einem Straßenmusiker zu und verweilen länger als unbedingt notwendig.
Um Mobil zu sein, braucht es keine Autos, das läßt sich anders organisieren. Wenn das gemacht wurde, dann
läuft es sich vereinfacht gesagt so ausdrücken: Autos raus aus der Stadt bedeutet Lebens- und Aufenthaltsqualität rein.

Der ADFC hat doch jahrelang versucht die Radler auf die Fahrbahn zu schicken. funktioniert wohl in der Praxis nicht so gut, jetzt Rolle rückwärts?

huhu Torkelradler, Du auch hier, torkel nicht so viel, alte Kette! ;)

Versteh ich nicht ganz.
Wo ist denn dieser ADFC STVG Gesetzentwurf?
Das ist ja erstmal nur ein Artikel dazu bzw. ne PM.

Kein Link?

Fedenfalls ist das Gutachte recht interessant, und beim ersten Überfliegen stehn da überraschend viele durchaus sinnvolle Vorschläge drin.

Oder ist der Text des Gutachtens bereits identisch mit dem ‚ADFC-Gesetzentwurf‘?

Für juristische Laien wie mich ist es recht schwierig die Folgen (erwünschte, versteckte und ggf. unerwünschte) abzuschätzen.

Ein Grundrisiko besteht ja immer darin, dass die Legislative sich autofördernde Rosinen rauspickt und alles rauswirft, was die Renditen der Autoindustrie vielleicht schmälern könnte, oder was den Arbeitgeberlobbys incl. IHK missfallen könnte. Aber gut, das geht auch ohne einen – scheinbar medial wenig rezipierten – ADFC Vorschlag.

Positiv dass das Thema (StVG) mal etwas in den Fokus rückt.

Dass der ADFC ein Gutachten rausbringt welches §2(4) ändern will in:
“ 2Eine Pflicht, Radwege mit den Zeichen 237, 240 oder 241 zu benutzen, besteht nicht.“
ist ja immerhin ein Fortschritt insofern als die ‚alte‘ Forderung nach Abschaffung der Benutzungspflicht (sprich Fahrbahnverbote) noch nicht gänzlich aufgegeben wurde.

Die Diskussion hier zeigt, daß eine deutliche Formulierung wünschenswert ist, die sich klar gegen jedwede „Radwegebenutzungspflicht“ wendet.

(Hier in Berlin gibt es neben viel zu viel Vz 237 und Co. auch noch die Radwegebenutzungspflicht durch die Hintertür: Eine Straße wird einfach zur Kraftfahrstraße erklärt, d.h. sie darf nur durch Kraftfahrzeuge befahren werden, die mindestens Tempo 60 schaffen. Darunter leiden nicht nur Radfahrer, sondern z.B. auch Fahrer von Leichtfahrzeugen, also bis Tempo 45. SUV-Fahrer dagegen haben freie Fahrt.)

Ja, das ist ein Trend.
Zusätzlich gibts auch noch die Methode von faktischer Benutzungspflicht durch bauliche Gestaltung:
Fahrspuren ‚umweltgerecht‘ verschmälert, auf Streckenabschnitten weisse durchgezogene Linie und harte Kante zum Bankett.

Da hilft dann i.d.R. auch keine Aufhebung der Benutzungspflicht, zudem wohl dann Z.254 in Stellvertretung der Benutzungspflicht aufgestellt werden wird, was dann selbst bei komplett unbenutzbarem Radweg die Fahrbahnnutzung untersagt.
Es gibt also für die Behörden immer noch die Option ‚Regen zu Traufe‘.

Trotzdem wäre der Schritt der Aufhebung der Benutzungspflichten m.E. ein SEHR positiver Schritt.
Z.B. müssen alle LSA auf Radräumzeiten umprogrammiert werden, was sich umweltpolitisch klar positiv auswirkt (push-Faktor durch Begrenzung der MIV Kapazität zu Spitzenbelastungszeiten). Konflikte mit Fußgehenden und schnellen Alltags- oder SportfahrerInnen werden reduziert, Autofahrende lernen in Fahrschulen IMMER und ÜBERALL mit Radfahrenden zu rechnen und noch Weiteres…
Gerade auch die Reduktion der MIV Erreichbarkeitsradien ist schliesslich einer der Schlüsselfaktoren für eine ökologische Verkehrswende.
Vielleicht beruhigt sich dann auch der unproduktive über die letzen Jahre stark polarisierte Zwist „Radweg vs. Fahrbahn“ innerhalb der ‚Radszene‘ ein wenig, sofern nicht die Szene aus den Radentscheiden ‚Vorblid NL‘ und ‚Vorbild CPH‘ schreit und ‚lets-go-dutch‘ unbedingt (wegen der Verbesserung von Radwegequalität) die Benutzungspflicht einfordert.
„DIE KINDER …“ undsoweiter ….

Alfons, es sind nicht nur „schnelle Alltags- oder SportfahrerInnen“, die die Fahrbahn bevorzugen. Ich bin selbst eher ein „Langsam-Fahrer“, da Klapprad, bevorzuge aber fast immer die Fahrbahn, denn mit den kleinen Räderchen braucht man gute, asphaltierte Wege um vom Fleck zu kommen.

Vz 254 sieht man in Berlin zum Glück selten und wenn doch wird es allenthalben ignoriert (wie einige Monate lang in der Kreuzberger Friesenstraße).

Aber wer aus der „Radszene“ fordert denn Benutzungspflichten? Das wäre ja absurd! So, als forderte man die Helmpflicht, weil die Helme dann besser würden.

Auf welcher Rechtsgrundlage kommst du zu der Einschätzung, dass VZ 254 sich nicht auf die ganze Straße bezieht, sondern nur auf die Fahrbahn? Verkehrszeichen gelten nur, wenn sie über diesen angebracht sind, nicht für die ganze Straße (§ 39 II Satz 5). Siehe hierzu auch die VwV-StVO zu den §§ 39 bis 43 Rn. 25 und 28f., VwV-StVO zu § 41 Rn. 3). Explizit wird das nie genannt, aber insbesondere aus „Verkehrszeichen sind gut sichtbar in etwa rechtem Winkel zur Fahrbahn rechts daneben anzubringen […] Links allein oder über der Straße allein dürfen sie nur angebracht werden, wenn Missverständnisse darüber, dass sie für den gesamten Verkehr in einer Richtung gelten, nicht entstehen können“ kann man nur schließen, dass Verkehrszeichen erst einmal für die ganze Straße gelten und damit würde 254 auch für den Radweg gelten. So gilt 237 Radweg als Verkehrsbeschränkung ja auch für die ganze Straße. In dem Fall ist die Verkehrsbeschränkung kein Benutzungsverbot für den Radverkehr, sondern die Beschränkung auf Nutzung von Radfahrstreifen bzw. Radweg.

Die Kapazitäten einer Verwaltung sind nicht abhängig von der Benutzungspflicht. Wer andere Hoffnung pflegt, offenbart nur seine Unkenntnis von Verwaltung.

Norbert, ich habe mich doch zur Bedeutung von Vz 254 gar nicht geäußert. Also komme ich auch zu keiner Einschätzung und Deine Frage kann eigentlich nicht an mich gerichtet sein. (Im Falle der Friesenstraße gibt es glücklicherweise auch keinen Radweg, sodaß sich auch kein Verkehrszeichen darauf beziehen könnte.)

Warum schreibt das Gutachten eine Wirtschaftskanzlei? Der wäre dann vielleicht aufgefallen, dass runde Schilder gemäß internationalem Recht (Wiener Übereinkommen) einen benutzungspflichtigen Radweg kennzeichnen. Darum verwenden alle möglichen Länder für nicht benutzungspflichtige Radwege eckige Schilder. Damit kann man unterschiedlich umgehen, sollte es aber thematisieren.

Ja das ist eine Tücke, bei der ich aber eher davon ausgehe, dass die Kanzlei das gecheckt hat. Oder vielleicht doch ‚haben sollte‘?

Richtig neu ist das nicht. Schon vor Jahren geisterte die Umwidmungslösung mal als „blaue Idee“ durch Rennradforen:
https://forum.tour-magazin.de/showthread.php?218635-Die-quot-blaue-Idee-quot
Da herrschte (ich mag den entlosen thread jetzt nicht lesen) sowie ich das erinnere nach anfänglicher Euporie auch Skepsis wg. des Wiener Abkommens, was aber glaub ich niemand wirklich zuende recherchiert hatte.

Das Problem sehen und es nicht argumentativ lösen? Ich weiß ja nicht ,ob das eine gute Strategie ist.

Die Frage ist, wie weit nationales Recht abweichen darf in der jeweiligen Kodifizierung. Kann ich nicht beantworten. Zu beantworten wäre dabei vermutlich die Frage, ob die Benutzungspflicht eher ein untergeordnetes Merkmal der Regelung ist oder der Nukleus der Reglung.

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