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Münster: Viel erreicht, aber noch mehr zu tun

Münster hat sein im Jahr 2007 aufgestelltes Ziel nicht erreicht, die Unfälle mit Verletzten pro Jahr um zehn Prozent zu verringern. Trotz großer Anstrengungen waren es in den vergangenen zehn Jahren nicht einmal ein Prozent pro Jahr. Allerdings hat es in diesem Zeitraum einen erheblichen Einwohnerzuwachs gegeben.

Pressemitteilung Unfallforschung der Versicherer

Münster hat sein im Jahr 2007 aufgestelltes Ziel nicht erreicht, die Unfälle mit Verletzten pro Jahr um zehn Prozent zu verringern. Trotz großer Anstrengungen waren es in den vergangenen zehn Jahren nicht einmal ein Prozent pro Jahr. Allerdings hat es in diesem Zeitraum einen erheblichen Einwohnerzuwachs gegeben. Auf die Zahl der Einwohner bezogen war die Unfallschwere in diesem Zeitraum immerhin beinahe doppelt so stark (-15 Prozent) rückläufig, wie in NRW gesamt (-8 Prozent). Das ist ein Fazit der Evaluation von Verkehrssicherheitsmaßnahmen der Stadt durch die Unfallforschung der Versicherer (UDV).

Die Berliner Unfallforscher hatten die „Fahrradhauptstadt Deutschlands“ beim Versuch begleitet, das Unfallgeschehen zu reduzieren. Dazu hatte die UDV die Verkehrsunfälle in der Stadt für die Jahre 2004 bis 2006 detailliert untersucht und ein umfangreiches Maßnahmenpaket empfohlen. Im Jahr 2008 hatte die Stadt dann ein Programm zur Verbesserung der Verkehrssicherheit erarbeitet, das 2009 verabschiedet wurde. Nach einer Zwischenuntersuchung im Jahr 2011 hat die UDV jetzt nochmals unter die Lupe genommen, welche Wirkung die durchgeführten Maßnahmen hatten und wie sich die Verkehrssicherheit in Münster insgesamt entwickelt hat.

Radunfälle mit Personenschäden um 29 Prozent zugenommen

Maßgeblich verantwortlich für die erreichten Verbesserungen ist die Entwicklung in den Unfallhäufungsstellen, die in der Erststudie identifiziert wurden und in denen Maßnahmen ergriffen wurden. In diesen war die Zahl der Unfälle mit Personenschäden um 24 Prozent rückläufig, was rund drei Viertel des Gesamtrückgangs in Münster ausmachte. Sehr positiv haben sich die Maßnahmen bei den Unfällen zwischen Pkw ausgewirkt, die ebenfalls um 24 Prozent rückläufig waren. Auf der anderen Seite haben allerdings in Münster die Radunfälle mit Personenschaden um 29 Prozent zugenommen, die schweren Rad-Alleinunfälle sogar um 166 Prozent. Bezogen auf gefahrene Kilometer ist das Unfallrisiko für Radler um 26 Prozent gestiegen.

Von den 160 vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen wurden allerdings nur gut die Hälfte umgesetzt, von den längerfristigen und damit kostenintensiveren Maßnahmen sogar nur ein Drittel. Die verbliebenen und neu hinzugekommenen Unfallhäufungsstellen bleiben der Hauptangriffspunkt für Maßnahmen: In 50 Prozent dieser Bereiche geschehen 75 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden. Einen weiteren Schwerpunkt müssen die Radunfälle bilden, deren Anwachsen jetzt einer genaueren Untersuchung bedarf. Nach Ansicht von UDV-Leiter Siegfried Brockmann hat sich der eingeschlagene Weg als erfolgreich erwiesen. „Die Entwicklung bei den umgesetzten Maßnahmen zeigt die Richtigkeit des Vorgehens. Allerdings ist vor allem die Umsetzungsgeschwindigkeit unbefriedigend.“

Foto: dd
Teaserbild aus einem Kinospot der Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention Münster

4 Antworten auf „Münster: Viel erreicht, aber noch mehr zu tun“

„Sehr positiv haben sich die Maßnahmen bei den Unfällen zwischen Pkw ausgewirkt, die ebenfalls um 24 Prozent rückläufig waren. Auf der anderen Seite haben allerdings in Münster die Radunfälle mit Personenschaden um 29 Prozent zugenommen, die schweren Rad-Alleinunfälle sogar um 166 Prozent. Bezogen auf gefahrene Kilometer ist das Unfallrisiko für Radler um 26 Prozent gestiegen.“

Würde man mir diese Zahlen vorlegen und fragen: Was denksen Sie, von wem könnte das solch einer Entwicklung zugrundeliegende Verkehrssicherheitskonzept stammen?“

Dann wäre mein erster Tipp: UDV.

Eine sehr logische Entwicklung.
Der Separation des Radverkehrs hatte in MS seit eh und je den Job für flüssigeren Autoverkehr zu sorgen.

Politik und Verwaltung haben ganze Arbeit geleistet: das Konzept der maximalen Autoerreichbarkeit ist – Radweg sei Dank – vollumfänglich umgesetzt worden.

Zahl, Dichte und Fahrtenlänge des Autoverkehrs sowie ‚Radverkehrsanteil‘ konnten sich über die Jahrzehnte stetig vermehren, so dass eine ‚gute‘ Grundlage für die in MS zu beobachtenden verstärkten Suburbanisierungsprozesse (Flächenfrass, Eigenheim-Vorstadt-Wüsten, rasant steigende Autoverkehrsleistung, etc.) gelegt wurde.

Was die Unfälle angeht: die ‚Schuldfrage‘ für die separationstypisch sehr ungünstige Unfalllage konnte in den letzten Jahren recht erfolgreich auf die Radfahrenden verlagert werden: Helmkampagnen, Warnwestenkampagnen, Lichtkampagnen, ‚man muss auch mal auf die Vorfahrt verzichten‘- Kampagnen, etc. haben da ganze Arbeit geleistet.

Weiterhin werden die Autoparkplätze vermehrt, Fahrradparkplätze tendenziell verknappt, in mehreren Stadtteilen wird mittlerweile flächendeckend täglich (teils zweireihig) auf den ehemaligen Gehwegen geparkt (mit dem Segen des Ordnungsamtes), Ein- und Ausfallstrassen sind proppevoll mit Autopendlern, die auf immer breiteren Strassen in immer großerer Zahl aus immer entfernteren Wohnorten einpendeln (über 300.000 Pendlerfahrten täglich), etc.
Folgerichtig auch der steigende ‚Radanteil‘ (Einwohner-Wege-mocal-split) bei gleichzeitig sinkender Fahrleistung des Radverkehrs.
Das kommt halt dabei raus, wenn Radverkehr
1. voll separiert wird
2. auf Kurzstrecke angelegt wird ohne die Reisezeiten für längere Distanzen radikal zu verbessern (in MS ist sogar – Radwege sei Dank) eine Verschlechterung auf vielen mittleren Strecken eingetreten.

Im Stadtkern gibts natürlich weiterhin die tollen Fotos mit vielen Radlerinnen auf der sonnenbeschienenen ‚Promenade‘, schon 2-3 Kilometer weiter Richtung Stadtgrenze kommen dann gefühlt 300 Autos pro Radfahrer*in.

Möglicherweise ist in MS bereits jetzt! genau das zu besichtigen was in anderen Städten nach Erfüllung der Forderungen der ganzen „Radentscheide“ und nach „Dreh deine Stadt“ in einigen Jahren eintreten wird:
Die voll ‚protected‘ separierte lupenrein autogerecht realisierte Radverkehrsförderung – natürlich mit großartigen „Radverkehrsanteil“ ala ‚more people bike more often‘.

Fotos von den täglichen Münsteraner Autolawinen sucht man übrigens meist vergebens, schliesslich ist Münster ja „Fahrradhauptstadt“!

Warten wir mal ab, wie sich der Radverkehrsanteil in Münster entwickelt, wenn die Studierendenzahlen zurückgehen und die heutigen Jahrgänge nicht mehr bei Twitter und Facebook Sonnenscheinbilder aus Kopenhagen und den Niederlanden teilen sondern vom Reiheneigenheim im Umland mit dem Familienauto nach Münster einpendeln oder zumindest in Münster wohnen für den Urlaub und die regelmäßigen großen Transporte ein Auto vorhalten. Wir haben ja von Kretschmann gelernt, dass man für die regelmäßigen Sandtransporte ein richtiges Auto brauch, auch als „Grüner“.

Mich würde interessieren, in welchem Alter typische „Radentscheid“-Leute sind und welchem Millieu die entstammen.

@Alfons: Naja, glaubst du ernsthaft, die werden umgesetzt? Dt. Radverkehrspolitik ist Ankündigungspolitik. Das sieht man auch, wenn man sich die Gewinner des Dt. Fahrradpreises anschaut. Lass die noch 2 Jahre Dinge im Netz posten, dann merken die, dass man nicht mal eben alles ändern kann und dann versandet deren Engagement und dann machen Politik und Verwaltung weiter wie bisher.

Gerade das der Radverkehr ausgelagert wird in ein eigenes Gesetzt ist m. E. kein Fortschritt sondern manifestiert die Rolle als Sonderfall.

Ja, das legislative Auslagern ist problematisch und öffnet Tür und Tor für Reboundeffekte des zusätzlich durch „Radverkehrsförderung“ induzierten Autoverkehrs.
Auslagerung von Radverkehr aus kommunalem VEP wurde übrigens in MS schon vor Jahren beschlossen.
Es gab dann für die ausgelagerte Radverkehrsplanung eine pseudodemokratische Veranstaltung „Runder Tisch“ bei dem sich Politik und Verwaltung Legitimation für ihr ohnehin geplantes Vorgehen abholen wollte.
Schon in Vorfeldgesprächen machte die höhere Verwaltungsetage ganz explizit deutlich: „Es geht dabei NICHT um den Gesamtverkehr“.

Divide et impera!

Typisch Münster: der tolle Markenkern „Fahrradstadt“ soll nicht ins Fahrwasser der verkorksten Verkehrspolitik geraten, sondern als Solitär und Leuchtturm die Kern-Stadt liveable halten.

@ Umzug ins Umland:
das ist ja grad der Trick beim ‚Radverkehrsanteil‘.
Wer ins Münsteraner Umland zieht und jeden Tag mit ein bis drei Autos die Gegend zudieselt fällt komplett aus der Statistik, obwohl er dann täglich 20KM auf Münsters Strassen mit dem Auto unterwegs ist.
Da ist der „Einwohner-Wege-modal-split“ sehr praktisch fürs Stadtmarketing.
Dein Beispiel ist sehr realistisch. Innerstädtisch Mieten/Immobilien werden nach und nach immer unerschwinglicher und die Pendelentfernungen steigen an.
Diese Entwicklung schlägt sich aber GENAU NULL in der veröffentlichten Münsteraner Verkehrsstatistik als „Anteil“ nieder.

Leider realisiert auch ein Großteil der ‚Radlobby‘ immer noch nicht was die Implikationen des ‚Radverkehrsanteils‘ sind.
Die Umstellung der Öffentlichkeitsarbeit auf die Messgröße Verkehrsleistungsanteile in der Region würde da sehr weiterhelfen.
Da ist die Datenlage aber inkonsistent und noch viel weniger vereinheitlicht als beim Einw.Wege-mod.Split.
Wir werden also weiterhin mit den Blenderstatistiken der ‚Radverkehrsanteile‘ abgespeist werden, wobei die umweltrelevante Steigerung der MIV Verkehrsleistung systematisch unkenntlich bleibt, bzw. bleiben soll.

@Milieu
Ja, da findet ein Wandel statt. So schön es ist, dass die „Generation Lastenrad“ verkehrspolitisches Engagement für sich entdeckt hat, so bedauerlich ist zugleich eine gewisse Naivität und (noch) fehlende Fachlichkeit.
Mal schaun wie sich das entwickelt. Zur Zeit ist halt der bundesweite Trend: michts gegen das Auto unternehmen, sondern lieber die Alternativen stärken.
Es ist zu hoffen, dass die Wirkungslosigkeit der Fixierung auf die Pull-Faktoren schnell erkannt und verarbeitet wird. Das fällt natürlich schwer, wenn in der eigene Biografie die Familiengründung im Umland heraufscheint, wie es für einen wohl recht großen Anteil der Mittelschichts-Heranwachsenden wohl zutreffen wird.
IT, Werbe-Marketing und ‚irgendwas mit Medien‘ scheinen mir da (Milieu) etwas überrepräsentiert zu sein. Also eigentlich ganz ‚typisch‘ für soziale Bewegungen in Mitteleuropa.
Oft zu ‚arm‘, um sich Familie und Kinder im urbanen Kern leisten können zu werden, aber reich genug um (automobil? velomobil?) in die neue Suburbanisierungswelle einsteigen zu können.

Just heute hat übrigens Telepolis einen Artikel zum Thema veröffentlicht:
https://www.heise.de/tp/features/Warum-nicht-das-Fahrverbot-selber-machen-3977962.html?seite=all

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