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[Gastbeitrag] „Victim Blaming“

In Münster läuft aktuell eine Kampagne gegen den „Toten Winkel“, die für Aufregung und Diskussionen sorgt. Hier im Blog wurde an anderer Stelle auch schon dazu kommentiert. Am Wochenende habe ich darüber hinaus eine Mail von zwei Radfahrern aus Münster bekommen, die um die Möglichkeit eines Gastbeitrages fragten. Diese Möglichkeit gebe ich Ihnen hier gerne.

Gastbeitrag: „Victim Blaming“ – Der aktuelle Kinospot der Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention Münster

…von Christoph S. und Andreas W.

Die Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention Münster möchte mit einem Kinospot „Liebe macht blind – Toter Winkel auch“ für (Zitat) „eine allgemeine Achtsamkeit und Rücksichtnahme im Straßenverkehr“ werben.

Zitat Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention Münster:

„Ein träumerisch-verliebter Fahrradfahrer fährt hinter einer attraktiven Radfahrerin unbedarft in Richtung Straßenkreuzung. Auf den Verkehr achtet er hierbei nicht und wird von einem LKW überrascht, der rechts abbiegt.“

Der Spot läuft z.Zt. in Münsters Kinos:

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Herausgekommen ist ein infames Machwerk, das – beabsichtigt oder nicht – suggeriert, Opfer von Rechtsabbieger-Unfällen hätten es an „allgemeiner Achtsamkeit“ mangeln lassen.

Nun ist es generell fragwürdig, Opfern von Rechtsabbieger-Unfällen eine Mitverantwortung zu unterstellen. Dieser Spot wird allerdings durch die Tatsache unerträglich, dass an der gezeigten Wolbecker Straße innerhalb eines halben Jahres (Oktober 2014 bis Mai 2015) eine 27-jährige Studentin, ein 12-Jahriges Mädchen und ein 88-jahriger Mann von rechts abbiegenden LKW überrollt worden sind.

…eine ekelerregende Täter-Opfer-Umkehr!

Können die Angehörigen der letzten Unfalltoten und Unfallopfer an der Wolbecker Straße jetzt im Kino bestaunen, dass ihr 12 jähriges Kind, ihre 27-jährige Tochter oder ihr Vater/Großvater zu blöd waren, sich richtig im Verkehr zu verhalten und sich ein „sinnloses Kräftemessen mit dem LKW“ (O-Ton Martin Schulze-Werner, Ordnungsamt Münster) geliefert haben? Oder waren sie etwa „träumerisch-verliebt“ unterwegs?

Wir sind von dieser Pietätlosigkeit entsetzt. Das ist mitnichten Unfallprävention, das ist billigende Inkaufnahme einer wirklich ekelerregenden und durchaus intentionalen Täter-Opfer-Umkehr.

Immerhin kassiert dieses infame (nebenbei auch noch sexistische) Anti-Fahrradfahrer-Video gerade das eine oder andere „gefällt mir-nicht“ auf YouTube und einige Beschwerden auf der „Kontakt“-Seite der Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention Münster.

 


Noch eine Anmerkung von mir:

Die Wolbecker Straße verfügt übrigens über einen benutzungspflichtigen Radweg, der diese gefährlichen Situationen heraufbeschwört. Bereits seit 2014 wird die Aufhebung dieser Benutzungspflicht gefordert – auch vor Gericht. Interessant und entlarvend ist, was Ordnungsamtschef Martin Schulze-Werner dazu sagt. Er bezieht sich nämlich gar nicht auf die einzige Begründung, mit der man die Benutzungspflicht anordnen kann: das Gefahrenpotenzial des Fahrbahnradelns. „Wenn die Wolbecker fällt, folgen Hammer Straße, Warendorfer Straße, Steinfurter Straße und Weseler Straße. Mit der Folge, dass ganz Münster für Autos und Stadtwerke-Busse zur Schleichverkehrszone wird.“

Update 24. November 2015

Der ADFC Münster hat sich heute in einer Pressemitteilung zu dem Kinospot geäußert. Als Mitglied der Ordnungspartnerschaft Verkehrsunfallprävention der Stadt Münster (OPVU) sei man weder vorab über die Inhalte des Spots informiert worden noch habe man über die Veröffentlichung mitentscheiden dürfen.

Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen-Fahrrad Club Münster / Münsterland e.V. (ADFC) möchte sich ausdrücklich von dem Kinospot „Liebe macht blind – toter Winkel auch“ distanzieren. (…) Dieser Kinospot stellt die Fahrradfahrer pauschal als dümmlich dar, ist einseitig, sexistisch und rücksichtslos gegenüber den Opfern. Er stellt das Opfer-/ Täter-Verhalten auf den Kopf! Das schuldhafte Verhalten von abbiegenden KFZFahrern wird vollkommen ausgeblendet. Der ADFC distanziert sich daher von diesem Kinospot, fordert stattdessen den Blick zu fokussieren auf die Gefährder und hat konsequenterweise die OPUV aufgefordert, diesen irreführenden Kinospot zu entfernen. Sowohl online, als auch in den Kinos.

17 Antworten auf „[Gastbeitrag] „Victim Blaming““

Vielen Dank für den Gastbeitrag,

auch mir ist dieses Pamphlet in Videoform schon sauer aufgestoßen.
Aus diesem Grund habe ich mich ebenfalls mit der Kontakt-Funktion über das Video beschwert und dessen Löschung aus dem Netz gefordert. Jeder, der sich an dieser Pietätlosigkeit stört, möge das Video runtervoten und/oder eine Beschwerde an die Kontaktstelle schreiben.

MfG Gregor

Ich habe über das Kontaktformular ebenfalls eine Beschwerde an diese Unsinnspartnerschaft gesendet. Unfassbar, wie das Abbiegen von LKW als gottgegebenes Ereignis dargestellt wird, bei dem der kleine Sünder Radfahrer demütig und vorhersehend stehen zu bleiben hat.
Nach meinen Informationen wird es sogar abgelehnt, die Ampelschaltung so zu ändern, dass wenigstens die Rechtsabbieger und der Radverkehr nicht gleichzeitig grün haben. Das würde wohl die Rotphasen für den Fahrbahnverkehr geringfügig verlängern, was ein paar tote Radler im Jahr nicht wert sind.
Fahrradhauptstadt trotz Radverkehrsführung from Hell, das ist Münster.

Widerlich – setzen, sechs. Ich erinnere an das Statement des ADFC Osnabrück: Wer sich nicht sicher im Stadttverkehr bewegen kann (wg. totem Winkel), der hat im Stadtverkehr nichts zu suchen. Sollen die Hersteller doch LKW bauen, bei denen der Fahrer niedriger sitzt.

Aktueller Stand bei Youtube: 4 likes, 102 dislikes – unter den dislikes auch einer von mir!
Es ist übrigens nicht möglich Kommentare abzugeben!!! Woran es wohl liegen mag?
Gibt es einen Link, wie man sich an diese OPUV wenden kann wegen des Spots? Das ist ziemlich erbärmlich!

> und dessen Löschung aus dem Netz gefordert

Warum wollt ihr Beweisstücke löschen? Mut zur Wahrheit, sage ich, zur Wahrheit, das tote Radfahrer auch in Münster bewußt herbeigeplant werden und dieses Filmchen dafür ein Stück Beweis ist.

Alleine die Tatsache, dass „einer Frau auf den Hintern glotzen und ihr hinterherpfeifen“ in der sogenannten Pointe am Schluss zu „Liebe“ umdefiniert wird, zeigt doch schon das beschränkte und gestrige Mindset von Machern und Auftraggebern.

Danke für den Artikel. Und einen lieben Gruß aus Berlin nach Münster!

Dass dieser Spot ein Armutszeugnis deutscher Verkehrspolitik ist, steht außer Frage, Aber: Ob ein (benutzungspflichtiger) Radfahrstreifen etwas hilft, dieses Problem zu lösen, ist stark zu bezweifeln. Warum? Der tote Winkel eines LKW ist umso gefährlicher, je näher Radfahrer vor oder neben dem LKW herfahren! Der traurige Beweis: Die letzten drei tödlichen Unfälle zwischen Radfahrern und LKW ereigneten sich hier in Nürnberg allesamt auf der Straße mit oder ohne Radfahrstreifen und nicht etwa auf sogenannten Hochbordradwegen. Für Abbiegeunfälle mit LKW-Beteiligung gibt es keine einfachen Lösungen, weder in Form von LKW-Fahrverboten, noch in Form von Abschaffung der Benutzungspflichten, wobei ersteres definitiv das wirksamere Mittel wäre, da letzteres Angebot erfahrungsgemäß nur von einer Minderheit mittelalter und männlicher Radfahrer in Anspruch genommen wird.

Hallo i BIKE NBG,

wenn ich das recht sehe schrieb hier niemand von ‚Radstreifen‘ oder ähnlichem.

Es scheint darum zu gehen, dass die Kombination von Radverkehrs- / Verkehrsführung mit einer speziellen Ampelschaltung diese Unfälle geradezu herausfordert.
Da lässt sich m.E. durchaus von bewußt gebauter Radfahrerfalle reden.
Sowas hat aber MITNICHTEN mit dem Mythos ‚männlicher mittelalter Radfahrer‘ zu tun.

Ganz im Gegenteil!
Bei solchen Konstruktionen sind oft gerade die ‚Schwächeren‘ chancenlos.
Viele ältere Menschen etwa können den LKW mitten im Verkehrsgeschehen gar nicht kommen hören.
Vor der Kreuzung im Fahren auf schmalem Radweg einen Schulterblick zu machen ist auch nur für die ‚fitten‘ möglich.
Was soll denn also deiner Meinung nach bei solchen Konstruktionen ein 88-jähriger machen???
Immer bei Grün eine Vollbremsung und dabei erleben wie ihm von Hinten jemand auf den Handtuch-breiten Radwegen reinfährt (das ist zwar zunächst nicht tödlich, aber auch ein ’simpler‘ Oberschenkelhalsbruch kann für Senioren schnell das Aus bedeuten)?

Gerade wenn man eine Stadt mit Radverkehr ‚von 8-88 Jahren‘ anstrebt darf es derart hinterhältige „Fallen“ definitiv NICHT geben.
Schon eine Veränderung der Ampelschaltung auf konfliktfreies Grün würde verhindern, dass an solchen Stellen ein ‚Falle‘ für gerade diejenigen aufgestellt wird, die sich – wie von Polizei und Ordnungsämtern gefordert – gutgläubig an die Regeln halten.

Es dürfte doch eigentlich nicht sein, dass sich die Situation tendenziell ENT-schärft, wenn sich die Radfahrenden eben gerade NICHT an die Regeln halten (also z.B. auf der Fahrbahn fahren, oder bei Rot fahren, etc.).
Im Übrigen ist es natürlich stets sinnvoll darauf hinzuweisen, dass man sich nicht auf die eigene Vorfahrt verlassen kann, etc.
Das staht völlig ausser Frage und ist auch – wie ich das mitkriege – keinesfalls Gegenstand der Kritik!

Vielmehr ist es hier so, dass das Video quasi eine Anleitung an Verkehrsplanende darstellt, wie man Radfahrer mittels Infrastruktur umbringen kann.
Die aktuellen VwV-StVO formulieren im Hinblick auf §39 – §43 StVO aber demgegenüber ganz ausdrücklich:
„Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der
Flüssigkeit des Verkehrs vor.“ !!!

Konfliktbehaftete Grünphasen zugunsten der Erhöhung von Kapazität und Flüssigkeit des MIV – ebendies liegt im Film vor – widersprechen den Verwaltungsvorschriften ganz grundlegend.

Es gab in MS mal die Kampagne „sicher bin ich nur dahinter“.
Eine durchaus richtige Erkenntnis.
In MS hört man aber nichts mehr davon. Liegt es daran, dass den Verantwortlichen aufgefallen ist, dass Radfahrer in Münster überhaupt nicht die Möglichkeit eingeräumt kriegen HINTER einem LKW zu fahren, da überall benutzungspflichtige Radwege den Radverkehr rechts neben die LKW zwingen?

Der Kontext in den der Clip einzuordnen ist besteht vor allem darin, dass die Stadt verstärkt in die Kritik geraten ist, weil immer die gleichen tödlichen Unfallszenarien eintreten (Rad-geradeaus, LKW rechtsabbiegend, Ampel ist auf konflikthaftes Grün geschaltet).
Das ist für die Stadtdurchaus peinlich, da hier einer der Ampelpäbste‘ in der Verwaltung arbeitet, und Münster hauptverantwortlich ist für die offizielle Jubel-Broschüre zu „RADFAHRERFREUNDLICHEN“ Ampelschaltungen.
http://www.muenster.de/stadt/stadtplanung/radverkehr_signale.html
Das wird durchaus gut vermarktet um den „Markenkern Fahrradhauptstadt“ zu stärken:
http://www.staedtetag.de/presse/ausdenstaedten/066108/index.html
usw. usw. …

Insgesamt erinnert die Situation immer stärker an das alte Märchen von des Kaisers neuen Kleidern.

Davon ab gibt es für das GENERELLE Problem mit rechtsabbiegenden LKW durchaus auch Lösungen. Die EU-Spiegel waren ein erster Schritt (wenngleich viele Fahrer damit überfordert scheinen), und es gibt durchaus technische Assistenz-Lösungen, aber die Ausweitung einer möglichst kosteneffizienten LKW-durch-die Gegend-Fahrerei ist den EU-Entscheidern offensichtlich weit wichtiger als Radfahrerleben.
Selbst das verbesserte Design der Führerkabinen wurde ja quasi auf den Nimmerleinstag verschoben.

Es gäbe da viel zu diskutieren, viel zu verbessern, eins aber geht m.E. AUF KEINEN FALL:
Die Radfahrenden erst NEBEN den LKW zwingen (!), und dann bei gleichzeitigem GRÜN das Überleben dem Zufall oder der körperlichen Geschicklichkeit oder der Geistesgegenwart von ‚fitten‘ überlassen.
Genau DAS aber passiert.

Sowas kann nur noch durch eines getopt werden:
einen zynischen Videoclip in Auftrag geben, der für genau solche Konstrukte die Radfahrenden auch noch verantwortlich macht !!!
Ausgerechnet auf der Strasse, auf der zuvor mehrere Menschen durch genau diesen Unfalltyp unschuldig zu Tode gekommen sind.

Aber damit nicht genug:
Die Stadt weiss sehr genau was sie da tut:
https://www.muenster.de/stadt/presseservice/custom/news/show/913810
Die winzige Pressemitteilung wurde meines Wissens nicht weiter aufgegriffen, so dass sich der Vorgang quasi ‚unter dem Radar‘ vollzog.
Resultat sind aber tatsächlich verringerte MIV-Kapazitäten!

Und GENAU DAS ist des Pudels Kern.
Kapazität vor Menschenleben, ausser der Widerstand droht zu laut zu werden, dann wird PUNKTUELL (!!!) entschärft.

Wie praktisch ist da die im Clip ganz offen protegierte Schuldumkehr.
Bei den nächsten unschuldigen Kreuzungstoten soll dann allen klar sein:
SELBER SCHULD, was schauen die scheiss Radfahrer auch immer den Frauen / Männern hinterher, statt verständig GRÜN stets eine Vollbremsung zu machen.

Der Tote Winkel ist ja leider nicht parallel zum Fahrzeug, sondern verändert sich mit der Blickentfernung nach hinten. Im Bereich des Fahrerhauses beginnt der Tote Winkel direkt ab dem äußeren Ende des Spiegels und weitet sich dann in Richtung des Fahrbahnrands auf. Alles was hinter dem Fahrerhaus an LKW dranhängt ist durch den Spiegel jedoch zu sehen. So wie man am eigenen Auto z.B. auch einen offenen Tankdeckel im Spiegel erkennt – vorausgesetzt der Spiegel ist korrekt eingestellt und wird auch sachgemäß benutzt.

http://www.hamburg.de/contentblob/3381616/data/toter-winkel-draufsicht.jpg

Auf die ganze Länge des LKW betrachtet, ist die Sicht für den Fahrer auf neben im Fahrende Radfahrer dennoch besser, wenn sie in einem gewissen Abstand vorbeifahren. Die unten verlinkte Animation von iamtraffic.org zeigt das sehr deutlich.

Zudem spielt nicht alleine der tote Winkel bei Unfällen eine Rolle, sondern auch der Blickfokus des Fahrers und der ist vor allem auf den Kreuzungsbereich gerichtet, nicht auf den Bereich hinter dem LKW.

Wie hier schon geschrieben wurde, sind die niederländischen Kreuzungen für Radfahrer die sichersten der Welt – auch übrigens für schwerhörige 88-Jährige – und werden nach neuesten Standards ausschließlich mit einer Schutzzone (Inseln und fünf bis zehn Metern Vorsprung) für Fahrradfahrer gebaut, die ein schnelles Abbiegen quasi unmöglich machen und dem PKW-/LKW-Fahrer einen 90-Grad Schulterblick ermöglichen bzw. abnötigen. Idealerweise verzichtet man aber in NL auf Kreuzungen und baut entweder kreuzungsfrei oder Kreisverkehre mit Vorfahrt für Radfahrende.

Wenn Unfälle passieren, dann sind das fast ausschließlich Unfälle nach folgendem Muster:

1. LKW-Fahrer fährt GERADEAUS in die Kreuzung hinein.
2. Der Radfahrer denkt, der LKW-Fahrer bleibt geradeaus.
3. Erst in der Mitte der Kreuzung beginnt der LKW rechts abzubiegen (Blinker sind für nebenfahrende Radfahrer oft sehr schlecht zu erkennen)
4. Der LKW-Fahrer, der den hinter ihn fahrenden Radfahrer übersieht kollidiert mit dem Radfahrer, der zu spät erkennen MUSS, dass der LKW abbiegt.

Wie sich dieser fatale Irrtum auswirkt, zeigt diese Animation sehr deutlich (Animation und Right Hook klicken):

http://iamtraffic.org/resources/interactive-graphics/what-cyclists-need-to-know-about-trucks/

Dieses typische Unfallszenario ist das Kardinal-Problem und nicht etwa alleine der tote Winkel. Nur bauliche Voraussetzungen sind in der Lage, menschliche Fehler auf ein Minimum zu reduzieren. Hilfseinrichtungen wie Spiegel oder bessere Verkehrserziehung sind allenfalls Ergänzungen. Ampelschaltungen, die Radfahren eher grünes Licht zuweisen, sind elementar für sichere Kreuzungen, sie sind aber nur die halb durchdacht, denn sie können nur Radfahren Vorsprung geben, die an der Kreuzung vor LKWs warten und queren können. Im Laufenden Verkehr braucht es zwingend bauliche Änderungen, die o.g. Schutzwirkung entfalten (Schutzinseln in Kreuzungsmitte siehe Animation).

https://bicycledutch.wordpress.com/2014/02/23/junction-design-in-the-netherlands/

@Christoph: Radfurten neben der Straße nach den Regeln der CROW oder den Bestimmungen der NACTO sind keineswegs 2-4 m von der Fahrbahn abgesetzt, sondern im wesentlichen nichts anderes als breitere Radfahrstreifen,..

… auf denen PKW-Fahrer nicht parken können, da die Spuren durch Baken oder baulich abgetrennt werden.
… die von Autofahrern nicht überfahren oder in zu geringem Abstand tangiert werden, da physische Hindernisse erwiesenermaßen größere Abstände bedeuten, als die Markierung von Radfahrstreifen oder Angebotsstreifen.
… auf denen Überholen von anderen Radfahrern problemlos möglich ist
… die vom Fußgängerverkehr physisch abgegrenzt sind.

Sharrows sind sicherlich ein positiver Ansatz, wo bislang keine Symbole oder Radwege möglich waren, aber selbst in den USA, dem Mutterland der Sharrows werden sie nur als Behelfslösung vorgeschlagen, weil trotz der minimal höheren Überholabstände auf mit Sharrows markierten Straßen, Radfahrer nach wie vor gefährlich und viel zu knapp überholt werden.

@Timovicz: Das ist einerseits richtig, trotz allem „funktionieren“ (im Sinne der Unfallreduzierung) niederländische Kreuzungen aber wesentlich besser als deutsche, die zum allergrößten Teil mit Radfahrstreifen/Schutzstreifen ausgestattet sind. Dieser Widerspruch erklärt sich also vor allem damit, dass nicht der Abstand zum Radweg ausschlaggebend ist, sondern wie oben schon erwähnt bauliche Voraussetzungen.

Furten, die 2-4 m von der Fahrbahn abgesetzt sind, sind sind die problematischste Art der Radverkehrsführung.

Aber es geht auch ganz anders: Hermann Knoflachers Studie
„Untersuchung der Wirkungen von Fahrradpiktogrammen auf das Verhalten von Rad- und AutofahrerInnen“
https://www.wien.gv.at/verkehr/radfahren/analyse-piktogramme.html

Beschreibt folgende Effekte nach dem Aufbringen von Fahrradpiktogrammen auf die Fahrbahn (nicht an den rechten Rand der Fahrbahn!):

Radfahrende
– Folgen in ihren Fahrlinien den Pfeilen der Fahrradpiktogramme.
– Halten größeren Abstand zu parkenden Fahrzeugen ein.
– Halten 20 cm mehr Abstand zum Fahrbahnrand
– Halten auch wenn sie überholt werden größere Abstände zum Fahrbahnrand (3 – 12 cm) ein.

Autofahrer
– Halten 3 cm bis 18 cm größere Überholabstände.
– Der Anteil von Überholungen durch den Autoverkehr ist signifikant zurückgegangen, um ein bis zwei Drittel.

lt. BASt 257 scheinen ja „Schutz“-Streifen (neben den Problemen, die sie bringen) auch die Akzeptanz der Fahrbahnführung des Radverkehrs zu steigern.

Vermutlich gilt das auch für Fahrradpiktogramme auf der Fahrbahn.

Die Einrichtung einer konfliktfreien Phase ist nicht unbedingt zielführend, denn so verlernen Kraftfahrer evtl. den $9 zu beachten und das Problem wird nur hier gelöst. Zudem wird die Grünphase aufgeteilt, was Nachteile für Radfahrer bringt. Außerdem ist ein Rechtsabbiegestreifen Voraussetzung.

Das Problem mit den Rechtsabbiegern sollte man auf 2 Ursachen zurückführen.

1. Toter Winkel bei Nutzfahrzeugen:
Hier muss man technische Lösungen finden.
2. Unaufmerksamkeit von PKW:
Hier sollte man bauliche Veränderungen für jede Kreuzung anstreben: Veloweichen, Qualifizierte Rechtsabbiegestreifen, Aufpflasterungen.

Auch Radfahrstreifen und Schutzstreifen unterliegen diesem Problem. Die Abschaffung von freiwilliger Separation halte ich für nicht zielführend, denn nur so kann Radfahren für Alle attraktiv sein.

Lieber Paul,

auch wenn Du das nicht für ‚zielführend‘ (klingt nach Bürokratensprech) hälst und die Ursachen völlig falsch einordnest, bleibt es doch eine Tatsache, dass sich (sehr) viele motorisierte Mitbürger einen feuchten Kehricht um irgendwelche Paragraphen scheren, sondern sich strikt dem Gesetz des Stärkeren unter- oder besser gesagt überordnen.
An der Erziehung der Menschheit ist der Kommunismus schon grandios gescheitert, wie wir alle wissen. Im übrigen gibt es gegenteilige Erfahrungen mit getrennten Ampelphasen in NL. Dort wird kaum jemals ein Radfahrer von einem LKW beim Rechtsabbiegen plattgewalzt.

Zu Deinen baulichen Maßnahmen: Wer bezahlt denn das? Dein Technikglaube wäre niedlich, wenn er im Endeffekt nicht so viele Radfahrerleben kostete.
Arbeitest Du bei der Münsteraner Stadtverwaltung oder bist als Autolobbyist unterwegs? Nur mal so aus Neugierde.

@I BIKE NBG:
Können Sie Studien nennen/verlinken, die nachgewiesen haben, dass die Problemlage mit abbiegenden LKWs in den Niederlanden geringer ist und dass niederländische Kreuzungen sicherer sind als deutsche und dass dies nicht am Phänomen „Safety in Numbers“ liegt? Auf Ihrer Homepage gibt es leider nur bunte Bilder aber nirgendwo Quellen für Ihre Aussagen.

Bisher haben nämlich alle Studien in Deutschland genau das Gegenteil gezeigt…
https://de.wikipedia.org/wiki/Radverkehrsanlage#Kritik_wegen_stark_erh.C3.B6hter_Unfallgefahr

Hallo Susi,

Weiß jetzt nicht, ob das überhaupt noch jemand verfolgt, da der Beitrag doch einige Zeit zurück liegt.
Habe eine Studie gefunden, die eine genaue Analyse des Problems ‚rechts abbiegende LKW gegen Radfahrer‘ darstellt.
http://www.swov.nl/rapport/Factsheets/NL/Factsheet_Dodehoekongevallen.pdf
Ich habe mir jetzt nicht die Mühe gemacht, eine andere Quelle heraus zu suchen oder direkt bei CBS (niederländisches Statistikbüro, ähnlich dem Statistischem Bundesamt) zu recherschieren, da das doch etwas zeitaufwändiger ist. Man kann aber von der Glaubhaftigkeit und Wissenschaftlichkeit von SWOV ausgehen.
Abbildung 2 zeigt zunächst einmal die absoluten Zahlen. Im Durchschnitt wurden pro Jahr 9 Menschen durch (dodehoekongevallen) Unfälle im toten Winkel, wie die das nennen, ums Leben gebracht. Das kann man ja auf eine Bevölkerung von ~16,5 Mio hochrechnen und mit D’land vergleichen.

Interessant wird es aber bei der Analyse:
Bei 98% dieser Unfälle lag eine der drei Situationen, wie in Abbildung 3 dargestellt, vor. Das sind also eine Ampelschaltung (gleichzeitig LKW rechts und Fahrrad geradeaus), ein separater Fahrradweg mit Vorfahrtsrecht (quer) und eine Rotunde.

Getrennte Ampelschaltungen, wie es sie ziemlich häufig in den NL gibt, werden also gar nicht erwähnt, weil für diese Statistik insignifikant.

Damit wäre Deine Frage eigentlich schon beantwortet.

Noch interessanter ist aber die Schlussfolgerung:

„Het aantal slachtoffers van dit soort ongevallen zou verminderd kunnen worden
door voor vrachtauto’s een aparte infrastructuur aan te leggen. Dit is echter een ingrijpende maatregel waar nog onderzoek naar gedaan moet worden.“

Kurz übersetzt heißt das also: Nur eine aparte Infrastruktur für Fahrradfahrer an o.g. Kreuzungen kann tatsächlich wirksam Unfälle verhindern. Da wird nach genaueren Untersuchungen gefordert.

Wie eine ‚veränderte Infrastruktur‘ in NL z.B. aussieht, kann man hier sehen:

http://www.fietsersbond.nl/de-feiten/verkeer-en-veiligheid/infrastructuur/verkeerslichten/alle-fietsers-tegelijk-groen

Habe das selbst miterlebt, es funktioniert wie durch ein Wunder.
Es gibt aber Kapazitätsobergrenzen.

Habe mir jetzt nicht die Wikseite genauer angeschaut, aber daraus zu schließen, dass ‚alle Studien in Deutschland genau das Gegenteil ..‘ beweisen, halte ich für mehr als gewagt. Es ist und bleibt eine Wiki-Seite, auch wenn diese einen sehr strukturierten Eindruck macht.

Viele Grüße und immer unfallfreies Radeln

Der Seybold

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