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Radverkehr

Wie sicher sind Radfahrstreifen wirklich?

Die meisten werden es ja schon mitbekommen haben, dass heute Abend (22 Uhr) die Reportage „Der Fahrradkrieg: Kampf um die Straßen“ läuft (online kann man sie hier schon sehen). Der NDR hat nun auf seiner Homepage noch einen Artikel mit der Überschrift „Wie sicher sind Radfahrstreifen wirklich?“ und dazu eine kleine Umfrage gepostet. Da ich hier auch schon den ersten Kommentar zur Reportage bekommen habe und ähnliches immer wieder höre, möchte ich noch mal kurz darstellen, warum ich die Umfrage des NDR falsch formuliert finde.

„Sollten Radfahrer immer auf der Straße fahren?“ kann man aus rein objektiver Sicht natürlich fragen. Und viele Studien zeigen ja auch, dass es hier sicherer ist. Trotzdem bringt einen diese Fragestellung nicht weiter, wenn man sich das Ziel gesetzt hat, den Radverkehr zu fördern und vor allem die Zahl der Radfahrer zu steigern.

Will man letzteres, dann sollte man besser fragen: „Wo wollen Radfahrer fahren?“ Denn nur wenn man weiß, wo Radfahrer fahren wollen, kann man ihnen die Infrastruktur geben, die sie dann auch nutzen. Dass diese dann auch objektiv sicher gestaltet werden muss, ist keine Frage. Denn allen objektiven Sicherheitsaspekten zum Trotz wollen die meisten Radfahrer eben nicht auf der Fahrbahn fahren. Das muss man einfach berücksichtigen, wenn man mehr Radfahrer in der Stadt haben möchte…

NDR-Umfrage

15 Antworten auf „Wie sicher sind Radfahrstreifen wirklich?“

Zuerst einmal geht es darum ob Radfahrer die Fahrbahn benutzen sollen. Die Straße ist das Gesamtkonstrukt von Fahrbahn, Gehweg usw. Mir wird täglich an Ein/Ausfahrten und Einmündungen die Vorfahrt genommen wenn ich auf Radwegen unterwegs bin. Sorglose Fußgänger die ohne zu gucken den Radweg queren gibt es auch genügend, dazu noch abbiegende Fahrzeuge. Auf der Fahrbahn habe ich alle diese Probleme nicht. Auch als Autofahrer sind mir Fahrräder auf der Fahrbahn lieber als versteckt hinter Büschen und parkenden Fahrzeugen. Wer sich unsicher auf dem Fahrrad fühlt wenn er die Fahrbahn nutzt soll üben. Unsichere Fahrradfahrer möchte ich als Fußgänger nicht auf dem Gehweg haben.

Bevorzugt radle ich auch auf der Fahrbahn. Vor allem dann, wenn als Alternative nur gemischte Fuß-/Radwege zur Verfügung stehen, auf denen du als Radfahrer überhaupt nicht vorwärts kommst. Nur hast du dann auf der Fahrbahn die motorisierten Fahrzeuge, die dich mit Mindesabstand von 15 cm bei teilweise 70 km/h passieren. Da fühlt sich wiederum der ein oder andere Radler sicherer, wenn er etwas abseits des motorisierten Verkehrs auf Hochbordwegen o. ä. fahren kann, obwohl diese durch Bushaltestellen, hinter parkenden Autos und über Ein-und Ausfahrten führen. Kann es bei so unterschiedlich subjektiver Sicherheitswahrnehmung die EINE infrastrukturelle Lösung geben?

Meiner Meinung nach gibt es genau eine Frage, die man sich stellen sollte, wenn es um Radwegplanung und -bau geht:

Würde ich mein 9-jähriges Kind dort bedenkenlos fahren lassen?

Wenn diese nicht mit Ja beantwortet werden kann, ist der Radweg schlecht. Punkt.

@Nordsee: Vordergründig gesehen kein schlechter Konter auf den meiner Ansicht nach guten Beitrag von Jens, aber bei genauerem Hinsehen eben nicht. Denn letztlich stellt sich diese Frage gar nicht. Die StVO §2 Abs. 5 besagt ja schon jetzt: „Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr müssen, ältere Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen.“ Warum sollte diese Regel bspw. nicht bis 12 oder 14 Jahre erweitert werden?

Außerdem wird, und das ist das Entscheidende, vergessen, dass je mehr Fahrräder auf den Fahrbahnen fahren, umso vorsichtiger fahren die Autofahrerinnen und Autofahrer. Da gibt es ja einige Studien, die kurzum auf den Punkt gebracht folgendes aussagen: Je mehr geradelt wird, umso achtsamer fahren die Autofahrenden, da sie jederzeit mit Radfahrenden rechnen müssen. Dadurch kommt es zu weniger Unfällen. Bei zunehmendem Radverkehr nimmt das individuelle Verletzungs- und Todesrisiko ab und umgekehrt steigt es bei sinkendem Radverkehr.

Nein, ich denke, wirklich weiter kommen wir nur, wenn die Autofahrenen lernen zu akzeptieren, dass ihnen die Fahrbahnen nicht (allein) gehören und dass (auch) Radverkehr ein zu akzeptierender Verkehr ist. Dieses Umdenken wird aber NIE geschehen, wenn von vornherein der Radverkehr selektiert und ausgesperrt wird.

Das grundlegende Problem ist, dass Kraftfahrzeuge derzeit noch nicht so sicher sind, dass sie bedenkenlos von 8-jährigen gesteuert werden können. Da muss angesetzt werden.
18-jährige können das zwar technisch gerade so, moralisch und charakterlich dauert das aber dann auch noch mal ca. 5 Jahre, bis die aus dem gröbsten raus sind.

Davon abgesehen: Ein 9-jähriges Kind beginnt gerade erst Verkehrsgeschehen und Geschwindigkeiten so einzuschätzen, dass z.B. Überqueren oder Einordnen klappt. Das entwickelt sich erst noch bis ca. 10.-11. Lebensjahr. Die gesetzlichen Altersgrenzen für Gehwegbenutzung sind nicht zufällig gewählt und nehmen auf die Entwicklung (die auch individuell etwas früher oder später stattfindet) Rücksicht.
Was soll ein 14-jähriger Jugendlicher mit Schrittgeschwindigkeit auf einem Gehweg oder in einem „verkehrsberuhigten Bereich“? Widerspricht völlig dem alterstypischen Bewegungsdrang (falls der vorhanden ist). Das hat wiederum auch einen Grund warum der noch nicht strafmündig ist…

Ich habe dazu gerade einen Bericht im Magazin „markt“ gesehen, der auf die Doku aufmerksam gemacht hat. Mich wunderte bei den Szene mit dir auf Straße vor allem: Wo ist der Helm? Wäre es nicht eine gute Idee gewesen, im Rahmen einer solchen Doku, bei der man vor der Kamera ist, Vorbildfunktion zu übernehmen?

Absolut nicht. Ein Fahrradhelm verhindert keinen einzigen Unfall. Darüber hinaus bringt er absolut nichts, wenn man von einem LKW überrollt wird. Hier wird die Verantwortung vom potenziellen Täter auf das potenzielle Opfer übertragen. Auch gibt es Studien, die zeigen, dass Radfahrer mit Helm riskanter fahren und Autofahrer beim Überholen von Helmträgern weniger Abstand halten.
Der Fahrradhelm ist eine persönliche Entscheidung, die jeder für sich treffen muss. Mein Ziel ist eine fehlertolerante Infrastruktur, damit es gar nicht erst zu Unfällen kommt.

Toll, daß hier gleich nochmal das Thema Helm in den Vordergrund gestellt wird. Aus der Industrie möchte ich dazu folgende Analogie herstellen: In der Industrie gilt die Regel T O P. Das heißt, um die Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten und Unfälle zu verhindern, müssen Technische Einrichtungen sicher konstruiert sei. Des Weiteren muß die Einhaltung der Vorschriften zu sicherem Arbeiten führen. Wenn dies alles nicht ausreicht, wird der Mitarbeiter zum Tragen von persönlicher Schutzausrüstung (Helm, Sicherheitsschuhe, Schutzbrille, Handschuhe, etc.) verpflichtet. In der Industrie wird seit langem die Vision Zero gelebt, d.h. keine Arbeitsunfälle. Im Umkehrschluss heißt das auf die gegenwärtige Verkehrssituation bezogen. Da die Verkehrsträger (Stadt, Land und Bund) nicht bereit sind sichere Infrastruktur für Radfahrende bereitzustellen und die Einhaltung von sicheren Verkehrsregelungen zu kontrollieren, werden den Radfahrenden zum Selbstschutz Helm und Warnweste auferlegt.

Hallo und schöne Grüsse aus Frankfurt.
Auch hier werden überall wie wild „Todesstreifen“ aufgamalt, ich nutze diese, obwohl tagtäglich unterwegs, natürlich nicht.
Bei meinem letzten Versuch über ein paar Meter und wenige Minuten wurde ich erst von einem Bus, dann von einem LKW fast zu Tode gebracht.
Und dieses von den Fahrern in voller Absicht.
Der Bus fuhr mir hupend quasi über die Füsse, ob ich wegspringen kann oder nicht, der LKW bei voller Fahrt mit 60 KmH hupte nur laut damit ich schnell vom Schutzstreifen fahre bzw. springe.
Ein paar schöne Fotos kann ich euch mal zusenden.
Einzig brauchbar ist ein shared Space mit 30 Kmh Beschränkung und keiner Möglichkeit mehr in 30er Zonen einen Radfahrer zu überholen, das bringt diesen in Todesgefahr.
Daher kann ich nur dazu aufrufen auch bei den Todesstreifen prinzipiell die Fahrbahn zu nutzen und sich seinen Überlebensraum zu sichern.

Sehr schön, wie auch hier weiter an der Symptomatik herumgedoktort wird. „Todesstreifen“, „Helm tragen!“, „würde ich mein 9-jähriges Kind dort fahren lassen“… Das übliche eben.
Die reale Problematik wird als gegeben und unumstößlich hingenommen, überhaupt nicht berührt: Autos.

Ein Radfahrstreifen kann 30cm schmal sein und er ist weder objektiv noch subjektiv unsicher – wenn eben weder rechts Autos stehen, noch links Autos fahren, deren Lenker man immer wieder als rücksichtlos, gefährdend und eng überholend kennengelernt hat.

Wir könnten auf diese ganze Streifenmalerei verzichten, wenn der Autoverkehr eingebremst und „erzogen“ wird.
Kopenhagen wählt den Zwischenweg: Autoverkehr so ein bisschen einbremsen, Flächen wegnehmen und ein bisschen erziehen.

In Deutschland? Nichts von alledem. Da werden Radfahrstreifen gemalt, die prinzipiell gut sind. Aber in der Breite eben nicht ausreichen – weil zu viele Autos nebenan fahren. Da muss angesetzt werden.

Ganz genau so sieht es aus. Wer sein Fahrzeug als Waffe missbraucht gehört aus dem Verkehr gezogen. Aber wie soll das passieren, wenn die Polizei lieber wegschaut? Passend dazu im NDR-Beitrag: Die Fahrradstaffel kontrolliert Rotfahrer, obwohl sie selbst keine ernsthafte Gefahr erkennen kann, während sie vor Falschparkern auf dem Radstreifen, die eine klare Gefährdung darstellen, schon kapituliert hat. Manchmal muss man eben Prioritäten setzen.

Und während dessen radelt die ältere Dame aus Oldenburg fröhlich knapp an Hauseingängen vorbei und gefährdet arglose Anwohner.

Was passiert, wenn man aus Angst nicht auf der Straße fährt sondern als Geisterradler auf dem Gehweg?
IVZ Ibbenbüren 25.04.17
Pedelec-Fahrerin bei Unfall schwer verletzt. Mit Auto kollidiert
Um kurz nach 13 Uhr wollte ein 48-jähriger Autofahrer von der Rudolf-Diesel-Straße nach rechts auf den Parkplatz eines Schnellrestaurants abbiegen. Dabei kam es zum Zusammenstoß mit der Zweiradfahrerin, die ihm nach Polizeiangaben verbotenerweise auf dem Gehweg entgegenkam. Der Schaden am Auto wird auf circa 500 Euro und der am Pedelec auf etwa 1000 Euro geschätzt.
Dazu muß man wissen, daß erhebliche Sichtbehinderung durch die Platzierung eines großen Werbeanhängers parallel zum Gehweg bestand. Außerdem sind in Ibbenbüren fast alle blauen Radwegschilder (Benutzungspflicht) abgebaut worden, wobei Geisterradeln nie erlaubt war aber häufig praktiziert wird. Gute Genesung der Radfahrerin.

Ich denke, dass die Diskussion um die Frage „sind Radfahrstreifen/Schutzstreifen die besseren/schlechteren Radwege“ die falschen Schwerpunkte setzt.

Erstens, weil die objektiven Sicherheitsrisiken beim Radeln nicht im Risiko des Streifens mit schnellen überholenden KFZ im Längsverkehr bestehen.

Zweitens, weil das irrationale Herumreiten auf den Überholrisiken durch Vertreter der Radfahrerschaft die Autofahrer paradoxerweise dazu ermutigt, ihr Mütchen weiterhin an störenden Radfahrern zu kühlen: wenn „jeder“ weiß, dass Fahrbahnradeln quasi Selbstmord ist, schwindet die soziale Kontrolle der Überholdisziplin rapide und es entsteht ein selbstverstärkender Teufelskreis aus Aggression und Ausweichverhalten.

Und Drittens unterbindet die Fixierung auf die krampfhafte Vermeidung von objektiv irrelvanten Unfalltypen die dringend nötige Bekämpfung der real existierenden Gefahren. Wo Radwege angelegt werden, besteht vermeintlich keine Notwendigkeit mehr, den nach wie vor viel zu schnellen Kraftverkehr einzubremsen – was leider die unangenehme Folge hat, dass die Gefährdung gerade der Radwegfahrer (aber auch der Fußgänger, der Kraftradfahrer und der Autofahrer selbst) durch den schnellen Querverkehr tatenlos hingenommen werden muss.

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