In die Debatte um die Radverkehrssicherheit nach dem zweiten tödlichen Unfall in diesem Jahr in Osnabrück hat sich nun auch der ADFC eingeschaltet. Ein offener Brief ist heute an die Ratsfraktionen gegangen, den ich hier natürlich auch veröffentlichen möchte.

Foto: Volkmar Seliger

Sehr geehrter Herr Brickwedde,
sehr geehrter Herr Henning,
sehr geehrter Herr Thiele,
sehr geehrte verkehrspolitische Sprecher der Fraktionen der CDU, FDP und SPD, sehr geehrte Politikerinnen und Politiker des Rates der Stadt Osnabrück,

angesichts der aktuellen Diskussionsbeiträge der politischen Parteien zum Radverkehr sowie des Brandbriefes der Leitenden Notärzte nimmt der ADFC Osnabrück als Interessenvertretung der Radfahrenden in Stadt und Landkreis Osnabrück Stellung und schlägt Lösungen zum weiteren Vorgehen vor.

Bei allen gemeinsamen Anstrengungen zur Verbesserung im Verkehr ist aus unserer Überzeugung der Schutz von Leben und Gesundheit die oberste Prämisse. Wir sind der Auffassung, dass in diesem Punkt bei allen Beteiligten in Politik, Verwaltung, Bürgerschaft, Verbänden und Vereinen Einigkeit besteht. Dabei ist die „Vision Zero“, die Erreichung von null Toten und Schwerverletzten im Verkehr, das gemeinsame Ziel.

Sowohl die aktuellen Unfälle mit Radfahrenden als auch die der vergangenen Jahrzehnte mit 31 Toten seit dem Jahr 2000 zeigen den allerdringlichsten Handlungsbedarf auf, in Osnabrück sofort sichere und gute Fahrradinfrastruktur zu schaffen. In den letzten Tagen überbieten sich einige Parteien in Osnabrück mit Vorschlägen zur Radverkehrspolitik. Folgt man der Berichterstattung der NOZ, liegt Streit in der Luft. Alle Parteien haben am 28. Mai 2019 einstimmig den aus unserer Sicht wegweisenden Beschluss „Radverkehr stärken – Infrastruktur ausbauen“ gefasst. Das war toll und hat uns als ADFC wirklich beeindruckt. Für diesen wegweisenden Beschluss gebührt Ihnen unser ausdrücklicher Dank.

Eine Kernforderung von uns ist, den Radverkehrsplan 2030 (RVP 2030), der von ihnen schon im Jahr 2018 beschlossen wurde, jetzt in die Tat umzusetzen und dafür die finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Es sind jetzt keine neuen Konzepte nötig – es reicht, entsprechend des „Fahrradstadtbeschlusses“ die Maßnahmen des Radverkehrsplans endlich anzupacken und zügigst umzusetzen.

Eine unverzichtbare Leitlinie ist dabei, sichere Fahrradinfrastruktur in der Stadt zu schaffen. Das erfordert insbesondere auf den Hauptverkehrsstraßen und dem Wallring die Einrichtung physisch gesicherter Radwege. Dieser Punkt ist für uns nicht verhandelbar. Die Aussagen von Herrn Brickwedde für die CDU, den Radverkehr nur auf den Neben- und Velorouten zu betrachten, sind somit für uns inakzeptabel. Mit solchen Ansätzen nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ werden für Radfahrende, die die gefährlichen Hauptrouten nutzen müssen, keine sicheren Radwege geschaffen. Die nächsten Unfälle mit katastrophalen Folgen blieben mit diesem Irrweg vorprogrammiert.

Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass der einstimmige Ratsbeschluss aller Parteien aus dem Mai 2019, Osnabrück im Jahr 2030 zu einer der TOP5-Fahrradstädte in Deutschland zu machen, nur mit dem Besten zu erreichen ist, was an Fahrradinfrastruktur möglich ist. Folglich muss der RVP 2030 konsequent in Bezug auf Zeitplan, Haushaltsmittel und Auswirkungen für die Verkehrsraumaufteilung in die Realität umgesetzt werden. Die Verwaltung muss für die Umsetzung bestmöglich ausgestattet werden und dem Beschluss konsequent folgen.

Der ADFC Osnabrück fordert dafür folgende Kernpunkte, die sich mit den Forderungen der
Leitenden Notärzte decken:

  • Schaffung physisch geschützter Radwege in beiden Fahrtrichtungen an allen Hauptstraßen und dem Wallring (Muster „Protected Bike Lane“ + Barriere) als Umsetzung des RVP 2030
  • Pro Kalenderjahr physische Realisierung eines Routenpaares (Haupt- und Veloroute) des RVP 2030
  • Umsetzung aller Routen als echte geschützte Infrastruktur für den Radverkehr – keine „Alibi-Lösung“, die den motorisierten individuellen Verkehr (MIV) wie bisher massiv bevorzugt
  • Verbannung des Transit-LKW-Verkehrs aus der Stadt
  • Massive Intensivierung der Kontrollen des MIV von Polizei Osnabrück und OS-Team zum Schutz der Radfahrenden und eine Null-Toleranz-Politik bei der Verfolgung von motorisierten Gefährdern, wie auch im Brief der Leitenden Notärzte aufgeführt

Um hier sehr schnelle und konkrete Ergebnisse zu erreichen, schlägt der ADFC Osnabrück
folgendes Vorgehen vor und bekundet seine Bereitschaft und auch den Anspruch, sich
intensiv daran zu beteiligen:

  • Kurzfristig Überarbeitung des RVP 2030 mit dem ADFC nach den o.g. Kernpunkten als Leitlinien
  • Einrichtung eines quartalsweisen Trialogs aus Ratsmitgliedern, Verwaltung und dem ADFC/Vertretern der Bürgerschaft zur Verfolgung des Fortschritts bei der Umsetzung des RVP 2030 und Lösungserarbeitung bei konkreten Herausforderungen

Bei diesem gemeinsamen Weg zur Fahrradstadt Osnabrück ist es entscheidend, die Chancen bei der Veränderung im Blick zu haben. Zusätzlich zur Sicherheit für Radfahrende im Alter von 3 bis 99 Jahren gewinnt unsere Stadt noch viel mehr:

  • Verringerung des MIV mit allen Vorteilen: weniger Staus, kürzerer Zeitbedarf und geringere Kosten für die motorisierten Verkehrsteilnehmern, die wirklich auf die Nutzung von motorisierter Fortbewegung angewiesen sind, wie Kranke, mobil Eingeschränkte, Einsatzkräfte, lokaler Handel und Gewerbe mit Transportbedarf
  • Die Stärkung des Radverkehrs ist die Möglichkeit, den wachsenden Verkehr bei begrenztem Platz überhaupt zu bewältigen
  • Reduktion des Konfliktpotenzials zwischen allen Verkehrsarten – weniger Stress im Verkehr
  • Verbesserung des Umweltschutzes mit direkter positiver Auswirkung auf die Gesundheit von Menschen und Klima – Richtlinien zum Umweltschutz werden eingehalten und drohende Strafzahlungen oder Zwangsmaßnahmen vermieden
  • Aufenthalts- und Lebensqualität unserer Stadt steigern sich deutlich – die Attraktivität
    von Osnabrück, auch als Einkaufsstadt, wächst

Lassen Sie uns zusammen eine Stadt gestalten, in der alle sicher ankommen und keiner
mehr im Verkehr umkommt.

Uwe Schmidt (Vorsitzender), Dr.-Ing. Wolfgang Driehaus (2. Vorsitzender, verkehrspolitischer Sprecher) Volkmar Seliger (Arbeitsgruppe Verkehr)