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Radverkehr

Kommentar: Die Möglichkeiten der StVO konsequent nutzen

Gestern in Göttingen. Eine schmale Einbahnstraße in der Fachwerk-Altstadt. Nachgemessene Breite: 3,60 Meter. Ein Auto quetscht sich mit ca. 20 Zentimeter Abstand an einem langsam bergauf fahrenden Fahrrad vorbei. Die Radfahrerin gerät aus dem Gleichgewicht, schlingert gegen den Bordstein, setzt den Fuß auf den Boden und atmet durch. Puh. Sturz gerade so vermieden.

Egal, ob nach neuer oder alter StVO – der Autofahrer hätte hier nicht überholen dürfen. Die novellierte StVO sieht beim Überholen von Radfahrern innerorts einen Mindestabstand von 1,50 Metern vor. Doch das Wissen um dieses Gebot ist begrenzt und seine Übertretung gilt vielen als Kavaliersdelikt. In ihren Köpfen hat der zügige Verkehrsfluss uneingeschränkten Vorrang gegenüber der Verkehrssicherheit. Ein mit einem vergleichbaren Fehlverhalten konfrontierter Autofahrer brachte diese Haltung auf den Punkt, als er mir vor einigen Wochen sagte: „Auf so schmalen Straßen gilt das Abstandsgebot nicht. Sonst können Autos ja gar nicht überholen.“

1. Falsch, weil 2. richtig. Der Autofahrer hätte hier einfach nicht überholen dürfen. Genauso wenig wie er ein anderes Auto überholen darf, wenn der Platz dazu nicht reicht. Um dasselbe Bewusstsein auch im Miteinander mit Rad- oder E‑Scooter-Fahrern zu vermitteln, sieht die StVO-Novelle ausdrücklich ein neues Verkehrszeichen vor, das Überholverbote von ein- und mehrspurigen Fahrzeugen anordnen kann.

Nehmt Rücksicht! Haltet Abstand! Gefährdet niemanden, nur um selbst schneller vorwärts zu kommen!

Es ist nun an den Kommunen, dieses neue Verkehrszeichen konsequent einzusetzen und so allen Verkehrsteilnehmern zu vermitteln, was eigentlich ohnehin klar sein sollte: Nehmt Rücksicht! Haltet Abstand! Gefährdet niemanden, nur um selbst schneller vorwärts zu kommen! Die novellierte StVO ist ein Schritt in die richtige Richtung: Weg vom Vorrang des schnellen Vorankommens Weniger, hin zum sicheren Vorankommen Aller. Füllen wir sie mit Leben und ergänzen wir sie mit einer Infrastruktur, die allen Verkehrsteilnehmern mehr Sicherheit bietet.

Von Arne Bischoff, pressedienst fahrrad

Quelle: BMVI

12 Antworten auf „Kommentar: Die Möglichkeiten der StVO konsequent nutzen“

Das Beispiel beschreibt gerade einen Fall, wo es offensichtlich ist, das überholen nicht geht und somit §45(9) STVO greift: „Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist“

Dann bleibt die Frage, ob dass das Problem nicht andernorts noch verschärft.
Kein Schild -> dann ist es ja erlaubt, auch mit 20 cm – einfach wegen: kein Schild (und sonst könnte auto ja nicht überholen)

Ich befürchte nur, dass viele Autofahrer dann den Umkehrschluss ziehen und denken, dass bei Abwesenheit des Verkehrszeichens das Überholen ja dann erlaubt sein müsse.

Der Autofahrer hätte dort nicht überholen *dürfen*. Wäre die Radfahrerin nicht zu weit rechts gefahren, hätte der Autofahrer dort nicht überholen *können*.

im Prinzip hast Du recht, aber wenn man so fährt, dass der PKW auf der Strecke nicht überholen kann, wirst man angehupt, manchmal bedroht, oder es wird zu dicht aufgefahren.

Und Anzeige machen deswegen, dann steht da wieder Aussage gegen Aussage. So lange derartige Überholabstände nicht von den Ordnungshütern überwacht werden und man bei Verstößen lächerliche Strafen zu erwarten hat, sind diese VZ einfach nur sinnlos.

Hier hab ich noch kein Überholverbot bei Radfahrern gesehen, wäre aber in Teilen der Innenstadt dringend nötig, vor allem auch da, wo man den Radverkehr entgegen der Einbahnstraße erlaubt hat.
Aber in der selbst ernannten Verkehrskompetenzregion braucht die selbst ernannte Fahrradstadt Nummer zwei hinter Münster eh immer ein paar Jahre länger, bis sich neue Regeln in der Verwaltung rumsprechen und umgesetzt werden.

@BSER: Du kannst Dich auch wie ein Wurm durch die Gosse winden. Wenn Du zeigst, daß Du keinen Platz brauchst, bekommst Du auch keinen und wirst mit 20 cm Seitenabstand überholt. Siehe oben. Einen Tod mußt Du sterben. :-(

Ich verstehe nicht, warum das Hupen so negativ gesehen wird. Für mich ist einer der wichtigsten Punkte beim Radfahren, gesehen zu werden. Wenn ein Autofahrer hupt, ist das eine Rückmeldung, daß er mich gesehen hat: „Hallo, ich habe dich gesehen, keine Gefahr.“ Hoffe ich zumindest, es könnte auch sein, daß er die Stehzeuge im Halteverbot anhupt, weil sie den nutzbaren Straßenquerschnitt verengen.

Eine Anzeige ist fast immer nutzlos. Da steht dann oft nicht nur Aussage gegen Aussage, sondern Aussage gegen Aussage des Fahrers und Aussage des Beifahrers.

Unb bevor so ein Überholverbot aufgestellt wird, werden wie eher massenhaft neue VZ 240 bekommen.

> wäre aber in Teilen der Innenstadt dringend nötig,
> vor allem auch da, wo man den Radverkehr entgegen
> der Einbahnstraße erlaubt hat

Warum muß ich gerade an die Görderlingerstr. in BS denken? Du fährst übrigens zu weit rechts. ;-)

Nochmal meine Frage:
MUSS ich auf einer schmalen Straße möglichst weit rechts fahren um einem Autofahrer das verbotene Überholen zu ermöglichen oder fahre ich entspannt in der Mitte, s.d. es gar nicht geht?

Naja, das Problem dabei ist, dass es für 99 Prozent der Radfahrerinnen und Radfahrer alles andere als entspannt ist, wenn man mittig fährt und hinter einem Autofahrer drängeln oder sogar hupen. In der konkreten Situation ist die rechtliche Lage relativ egal. Es ist kein entspanntes Fahren.

@Daniel: Ja, man braucht ein dickes Fell. Das wächst aber sehr schnell, wenn man viel Rad fährt.

Und sich klarmacht, was das Haupthindernis im Verkehr ist: der morgendliche, mittägliche und abendliche Verkehrskollaps wird offensichtlich nicht von Radfahrern verursacht, sondern von abertausenden von Autos, die sich aufgrund ihrer absurden Abmessungen selbst im Wege sind. Und die oft nur eine einzige Person plus einige Kubikmeter warme Luft transportieren.

An jeder roten Ampel darf ich eine Gedenkminute an den Kraftverkehr einlegen. Fußgänger und Radfahrer kommen auch in größeren Mengen ohne Ampeln aus. Ampeln gibt es einzig und allein für und wegen der Kraftfahrzeuge, und sie kosten mich viel Zeit.

Einbahnstraßen erfordern oft Umwege. Dabei sind die meisten Einbahnstraßen an sich breit genug für Zweirichtungsverkehr. Aber man braucht ja Platz für Stehzeuge.

Ich muß häufiger eine dreispurige, ansteigende Einbahnstraße befahren. Auf der linken Spur: Stehzeuge. Auf der rechten Spur: Stehzeuge. Auch gerne im Parkverbot. Also muß ich den einzig verbleibenden Fahrstreifen in der Mitte nehmen und fahre dabei bestimmt nicht links oder rechts im Türbereich. Ich kann Dir versichern: ich fahre dort SEHR entspannt.

Als ich vor geraumer Zeit mit meinem Jüngsten dort hochfuhr, wurde er hinter mir angehupt. Mein Junge freudestrahlend zu mir: „Papi, der hat uns gesehen!“. Ich denke, ich habe in der Verkehrserziehung meiner Kinder vieles richtig gemacht.

Früher wurde uns Kindern eingebleut: „Fahrbahn = Todesgefahr“ und „Hupen = die Götter schimpfen mit dir!“. Zeigen wir unseren Kindern, daß es auch anders geht!

Es wäre sehr nett, wenn sich Radfahrer auch immer so verhalten würden, wie sie es IMMER von Autofahrern fordern. Aber da ist auch jeder Fußgänger ein Hindernis, das zum Abbremsen zwingt. und deshalb möglichst irgendwie umfahren wird.

@Robert Merz: Tut mir leid, das ist verallgemeinerndes Framing und hat nichts mit der konkreten Diskussion zu tun. Bitte Stellung zum konkreten Diskussionspunkt nehmen.

Ich gebe Markus Kossmann und Thomas Bliesener recht. Ggf. muss man sein recht halt proaktiv einfordern und sich breit machen. Erfahrungsgemäß funktioniert das bei den meisten Autofahrern gut.

@Robert Merz: Niemand hier hat behauptet, daß Radfahrer Engel wären. Unter den Radfahrern gibt es genauso verhaltensauffällige Mitmenschen wie unter Autofahrern oder Fußgängern.

Erstaunlich, daß man es immer wieder erwähnen muß: der entscheidende Punkt ist das um Größenordnungen höhere Gefährdungspotenial von Kraftfahrzeugen und die damit einhergehende viel höhere Verantwortung des Kraftfahrers.

Ein Blick in die Verkehrsunfallstatistik hilft: Wie viele der jährlich über 3000 Verkehrstoten werden von Radfahrern getötet und wie viele von Kraftfahrern?

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