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Osnabrück

„Die Horrorvision, vor der wir uns alle fürchten“

Bis weit in den November haben wir es dieses Jahr in Osnabrück geschafft und jetzt ist es doch passiert: Am Montagabend wurde ein 28-jähriger Radfahrer von einem LKW-Fahrer beim Rechtsabbiegen getötet. Eine Tragödie für seine Angehörigen, natürlich. Aber auch eine Tragödie für alle, die hier seit Jahren versuchen, den Radverkehr sicherer zu machen. Man sitzt beim Abendessen, bekommt die Eilmeldung rein und ganz plötzlich fällt ein Nebel ins Zimmer, der alle Geräusche, alles Tun dämpft.

Es ist dieses Mal insofern besonders tragisch, als dass der Unfall genau da passiert, wo vorbildliche Infrastruktur auf brandgefährliche trifft. Nur wenige Meter hinter der Protected Bike Lane wird man als Radfahrer*in auf einen Radfahrstreifen in Mittellage entlassen – zwischen Geradeaus- und Rechtsabbiegespur. Und wie so oft ist es dann ein abbiegender LKW-Fahrer, der den Radfahrer tötet. Er hatte Fracht im Stadtgebiet abgeladen und war auf dem Weg zur Autobahn, wie mir die Polizei mitteilt. Das oft geforderte Durchfahrtverbot für LKW (mithilfe der Verlegung der B68) hätte diesen Unfall also nicht verhindert. Bilder zeigen allerdings, dass er Abfall transportierte, weshalb zu vermuten ist, dass er aus dem Hafen kam. Er hat die Route durch die Stadt also vermutlich als Abkürzung genutzt und hätte wohl genauso gut bzw. viel besser den direkteren Weg zur A1 nehmen können.

Es ist die Horrorvision, vor der wir uns alle fürchten und die uns antreibt, in dieser Stadt endlich Veränderung zu erwirken.

Der Radentscheid Osnabrück zeigt sich bestürzt über den Unfall und spricht den Angehörigen sein tiefes Mitgefühl aus. „Es ist die Horrorvision, vor der wir uns alle fürchten und die uns antreibt, in dieser Stadt endlich Veränderung zu erwirken. Worte können nicht trösten. Wir wünschen den Angehörigen viel Kraft und alles erdenklich Gute.
Es wird langsam klarer, dass mal wieder ein rechtsabbiegender LKW involviert war. Und ein miserabler Radfahrstreifen in Mittellage, der den Unfall stark begünstigt hat. Da muss die Stadt umgehend ran! Bei dieser Infrastruktur sind Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmer:innen vorprogrammiert. Wir brauchen hier und an anderen Stellen Radwege, die Fahrfehler tolerieren, ohne das ein Mensch zu Schaden kommt. Und wir brauchen sie heute, nicht morgen.“

Die Unfallstelle mit dem Radfahrstreifen in Mittellage.
Screenshot: Google Maps

Auch der ADFC ist „entsetzt und tieftraurig“. Sein „tiefstes Mitgefühl gilt den Angehörigen des getöteten jungen Mannes“. Er fordert die Stadt auf, „umgehend diese gefährlichen Radstreifen auf dem gesamten Wall zu entfernen und bis zum dauerhaften Umbau provisorische Radspuren in ausreichender Breite aufzubauen. Wo bis zu vier Fahrspuren pro Richtung Platz finden, ist auch dafür genug Raum.“ Die Verkehrssicherheit könne nicht bis zum kompletten Umbau des Walls in 5 Jahren – oder später – warten.

Die Neue Osnabrücker Zeitung berichtet, dass Oberbürgermeisterin Katharina Pötter noch „heute Mittag mit Experten aus der Verwaltung zusammenkommen“ will, um Lösungen zu finden, diese Kreuzung möglichst schnell zu entschärfen – „nach Möglichkeit noch in diesem Jahr“. Es soll eine „echte Übergangslösung“ geben.

Die fordert auch die Mehrheitsgruppe von Grünen, SPD und Volt im Stadtrat. Die Verwaltung solle Sofortmaßnahmen zu prüfen, mit denen die Radsicherheit umgehend erhöht werden könne. Die lebensgefährlichen Rechtsabbiegespuren an den Kreuzungen müssten schnell entschärft werden. „An der Unfallstelle selber sollte kurzfristig geprüft werden, ob die Protected Bike Lane nicht auf der Abbiegespur zur Martinistraße verlängert werden kann – eventuell vorerst mit temporären Mitteln, um die Gefahren zu reduzieren. Auch ein generelles Rechtsabbiegeverbot für LKWs auf dem Wallring muss erneut geprüft werden“, so Volkmar Seliger (Grüne) und Heiko Panzer (SPD).

Heute Abend um 18.30 Uhr findet eine Mahnwache am Unfallort statt.

Update
Nun soll es schnell gehen. Wie die Neue Osnabrücker Zeitung berichtet, soll die Rechtsabbiegespur kurzfristig in einen geschützten Radweg umgewidmet und mittelfristig eine getrennte Ampelschaltung installiert werden. Die rechte der beiden übrigen Fahrspuren muss sich der geradeaus fahrende motorisierte Verkehr dann mit dem rechtsabbigenden teilen. Sobald die getrennten Ameplschaltungen fertig sind, kann es so nicht mehr zu Konfliktsituationen kommen. Vier Ampeln weiter brauchte es für diese Lösung noch drei tote Radfahrer.

Und auch die Kreuzung am Heger Tor soll laut NOZ nach demselben Muster umgestaltet werden. Die rechte der beiden (!) Abbiegespuren soll ein geschützter Radweg werden.

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Foto: dd

10 Antworten auf „„Die Horrorvision, vor der wir uns alle fürchten““

Zwischen dem GRS und den Kfz-Fahrstreifen gibt es kein Sichthindernis. Der/die Lkw-Fahrer/in hätte den Radfahrer sehen können.
Endete seine/ihre Wahrnehmung an den Protektionselementen?
In Hamburg gab es kürzlich eine vergleichbare Tötung, vorgelagert ein Hochbordradweg ohne Sichthindernisse.
Wie kann das Problem gelöst werden, dass Separation in getrennte Verkehrsräume zu reduzierter Wahrnehmung führt?

Keine Seperation. Radfahrer fahren auf der Autospur: Kein Aus den Augen, aus dem Sinn.
Einziger echter Nachteil für Radfahrer: Bei Dosenstau mitgefangen… aber nicht durch den typischen Fall… vor mir ist nichts, ich biege ab… gehangen.
Ansonsten: Lieber objektive Sicherheit als subjektive;-)

@Olaf Schultz: Ja richtig, Sicherheit geht vor Geschwindigkeit.

Wenn das Blech steht, fahre ich vorsichtig bis zur Ampel vor. Wenn es selbst dafür zu eng ist, bin ich schon zu Fuß auf dem Gehweg daran vorbeispaziert. Das nervt zwar auch, aber es gibt etwas Genugtuung, hunderte von PS gelassen zu Fuß zu überholen.

Radfahrstreifen in Mittellage gibt es mehrfach in Osnabrück.Also bitte nicht nur um diese Kreuzung kümmern!
Übrigens: Keine Separation ist nur eine Lösung für sehr selbstbewusste und präsente Radfahrende. Wenn Familien mit kleineren Kindern oder Jugendliche ohne ausreichend Erfahrung auf nicht separierte Streckenführung treffen, kann es eher noch gefährlicher werden. Oder es wird wieder auf dem Fußweg gefahren.
Zudem zeigt die Erfahrung, dass Autofahrende gerne die Nerven verlieren, wenn sie auf langsamere Radfahrende Rücksicht nehmen müssen.
Die fehlende Wahrnehmung ist in komplexen Verkehrssituationen ein Problem, dass immer wieder und bei jedem Verkehrsteilnehmer die Fahrtüchtigkeit herausfordert.

Noch gefaehrlicher als der Tod?

Gerade fuer Radfahrer ohne ausreichende Erfahrung ist die Separation gefaehrlich. Tatsaechlich sterben auf Radwegen ueberdurchschnittlich viele Minderjaehrige, alte Menschen und Frauen, da ist der vorliegende Fall die Ausnahme, die die Regel bestaetigt. Wobei ich den letzten beiden Gruppen nicht unterstellen moechte, keine Erfahrung zu haben, ich vermute da eher ein Wahrnehmungsproblem bei den LKW-Fahrern, die sie totfahren (vielleicht so: junger Mann ist vielleicht ein Kampfradler, da muss ich aufpassen; alt und/oder Frau ist kein Kampfradler und daher nicht in den Top 3 der Gefahren, auf die ich meine Wahrnehmung unbewusst konzentriere). Wie dem auch sei, wenn man den LKW-Fahrern die Wahrnehmung erleichtert, indem man vor ihnen auf dem Fahrstreifen faehrt, passiert weniger.

Was jetzt Autofahrer betrifft, die Radfahrer einschuechtern wollen, das koennte man mit einer Kombination von Aufklaerung und Sanktionen in den Griff bekommen. Waere weniger Aufwand als die ganze Separation und wuerde vor allem Sicherheit statt Gefaehrdung bringen.

Keine Separation!
Die Gefahren entstehen an Kreuzungen und Einmündungen, da nützt keine „Protection“, da muss man sich sehen, wahrnehmen und interagieren.
(Natürlich gerne Separation in Form von KFZ-freien Straßen und Quartieren, aber die direktesten und schnellsten Verbindungen dürfen dem Radverkehr nicht immer weiter genommen werden)
Einfache Lösungen statt konfuses Wirrwarr an jeder Kreuzung, Sicherheitsabstände propagieren und durchsetzen, T30 einführen und durchsetzen!
Dass die Stadt schnell reagiert ist gut und nicht selbstverständlich. Aber die Lösung Radverkehr ganz an den rechten Rand und getrennte Ampelphasen, bedeutet eine weitere Einschränkung und Verlangsamung des Radverkehrs auf Kosten des die Gefahren verursachenden KFZ-Verkehrs.
Wie immer wäre es gut, wenn es zur Aufklärung bald einen Gerichtsprozess gäbe, dessen Verlauf und Urteil der Öffentlichkeit realistisch zugänglich wäre. Wie immer wird es das nicht geben.

Da ich ja nun selber Radfahrer und Radsportler bin würde ich sagen das Rad fahren im fließenden Verkehr nur etwas für geübte Radfahrer ist . „Oma und die Kinder“ sehe ich persönlich lieber auf dem Hochbord.
Für mich als Lkw- Fahrer ist prinzipiell jede Lösung ok – wenn diese Lösung so aussieht das jeder sieht und gesehen wird .
Der Tod des Radfahrers gestern war für mich ein Alptraum , da er beide Facetten meines Lebens betrifft.
Aber was mich eigentlich fassungslos macht , waren die Beobachtungen die wir gestern Abend machten, nachdem wir ein paar Kerzen zum Gedenken und zur Mahnung aufgestellt hatten .
Mag sein das ich das folgende überbewerte unter dem Eindruck des Unfalls ….
Die eine Seite des Walls war ja wegen dem Unfall gesperrt- auf der anderen Seite tummelten sich wie gewohnt Bekloppte aller Fraktionen Fußgänger die bei Rot über die Straße latschten, etliche Radfahrer ohne Licht , die Tiefflieger und natürlich auch wieder ein Lkw der absolut keinen Abstand zu den Radfahrern hielt .
Es ist ehrlich gesagt nur noch zum Schreien.
Wir können wer was für eine gute Infrastruktur aufbauen- aber ohne eine konsequente Kontrolle und reichlich Bußgeldern bekommen wir diese Verkehrslegastheniker nicht in den Griff.
Was nützt der beste Radweg , wenn Geisterradler Leute auf dem Fußweg über den Haufen fahren? ( Knollstraße) Was nützt ein Fußweg , wenn jemand mit dem SUV Fußgänger darauf überfährt? ( Hügelstraße) Was nützt uns ein Radschnellweg wenn er als „Parkplatzzufahrt“ dient oder vor KME als Lkwspur bzw Lkw Parkplatz? Was nützen die besten Assistenzsysteme im Lkw wenn tagtäglich Leute meinen sie wären in ihrem Auto unantastbar und könnten machen was sie wollen?
Und wie soll ich als Lkw Fahrer im Dunkeln und am besten noch bei Regen einen unbeleuchteten Radfahrer im Spiegel sehen?
Letztendlich befördert so ein Sch… doch nur das extrem gereizte Klima zwischen den verschiedenen Fraktionen….

@Uwe Trettin: Radwege mit ihren komplexen Situationen stellen viel höhere Anforderungen an den Radfahrer als das Fahren auf der Fahrbahn.

Auf der Fahrbahn muß man eigentlich nur einigermaßen sicher geradeaus fahren können. Auf dem Radweg muß man das auch, aber darüber hinaus hat der Radfahrer es mit zahlreichen Hindernissen, Geisterradlern, achtlos kreuzenden Fußgängern und Kraftfahrern und einigem mehr zu tun.

Radwege mit ihren Herausforderungen sind nun wirklich nichts für tendenziell unsicherere Radfahrer wie Alte und Kinder, sondern bestenfalls etwas für erfahrene Radfahrer.

Ich stelle immer wieder fest, das viele Radfahrer nicht umsichtig und defensiv fahren, sondern offensiv ohne sich umzusehen. Ein LKW-Fahrer hat in der Regel nur wenige Bruchteile von Sekunden um den Radfahrer im Spiegel indirekt zu sehen und wenn der Radfahrer beim Abbiegevorgang einfach mal weiter fährt und auf seinen Vorrang beharrt passiert sowas eben.
Ich schaue mich jedengfalls immer nach links um und suche Blickontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern, dann weiß ich, er hat mich gesehen. Im Zweifel hält man an!

Was helfen würde, wären separate Ampelschaltungen für Radfahrer oder die Rechtsabbieger, wenn dann noch ein Radfahrer unter einen LKW kommt, dann war es ein eindeutiger Rotlichtverstoß. Aber auch diese Schutz- und Radfahrstreifen, wie sie seit etwa 20-30 Jahren vermehrt umgesetzt werden haben mit zu diesen Unfällen beigetragen.
Vorher wurden bei uns die Radfahrer neben die Fußgängerfurt geschwenkt und standen ganz weit vorne an der Querstraße, dann kamen neue Experten und vor allem der ADFC mit „Radfahren auf der Fahrbahn ist sicherer“ und mussten hier alles umfriemeln.
Auch die Position der Fahrradampeln wurde von hinter den querenden Fahrspuren nach vorn geändert, was nun immer wieder zu Konflikten führt, weil Autofahrer rote Fußgängerampeln sehen, aber nicht die längere Grünphase der Radfahrer.

In Braunschweig hat man im laufe der Jahre völlig uneinheitlichen Murks gemacht und so rote Radspurfarbe bei Schutz- und Radstreifen wie im Bild sieht man hier nur an ganz wenigen Einzelpunkten.
Auch die Vorlagerung Haltelinien der Radfahrer an Ampeln vor die Kraftfahrer ist hier bislang selten gemacht worden und völlig uneinheitlich, oft steht man direkt neben der Beifahrertür bzw. im toten Winkel der LKWs.

Auf Kritik wird nicht reagiert, die Stadtverwaltung sagt, alles sei in Ordnung, entspräche den Vorschriften, der ADFC sagte mir tatsächlich, es wäre eine gefühlte Unsicherheit, man müsse sich daran gewöhnen.

Der ADFC sollte mal gucken wie die Radfahrer tatsächlich fahren, nicht wie man selbst fährt oder fahren möchte. Wir brauchen auch Schulungen, die den Radfahrer für die Gefahren sensibilisieren. Es gibt zwar Grundschulfahrradkurse, aber was nützt es, wenn die meisten Kinder im geschützten 30-Zone-Wohngebiet um die Schule das Radfahren erlernen, während es auf den breiten Hauptstraßen ganz anders aussieht und spätestens nach der Pupertät sowieso alles ignoriert wird.

Unbeleuchtete Radfahrer, keine Reflektoren, falsche Seite, nicht funktionierende Bremsen, Rotlichtverstöße. Ich sprech die oft an, wo die Radfahren gelernt haben.
Manchmal wird man dann noch von dem Geisterfahrer bedroht, wir haben echt tolle Zeitgenossen unter uns, mit Schrottfahrrad, linke Seite fahren und dann noch den, den sie gerade vom schmalen Weg wegdrängen prügeln wollen.
Das tollste war einer mit Kind auf der falschen Seite, an beiden Rädern ein ADFC-Aufkleber dran, na so ein tolles Vorbild.
Und jetzt haben viele „Radfahrer“ auch noch einen 250W Motor dran und knallen noch wilder durch die Gegend.

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