Deutschland soll bis 2030 ein Fahrradland werden. Den von der Großen Koalition verabschiedeten Nationalen Radverkehrsplan 3.0 hält der Fahrradclub ADFC aber für zu unkonkret. Heute legt der ADFC deshalb einen Aktionsplan für die neue Bundesregierung mit dem Titel „So geht #Fahrradland“ vor. Durch ihn kann Deutschland in zehn Jahren den Radverkehr verdreifachen und massiv Autofahrten auf das Rad verlagern. Im Zentrum der Forderungen stehen eine grundlegende Reform von Verkehrsrecht und Regelwerken, eine Erhöhung der Bundesmittel für Radverkehrsinfrastruktur auf mehr als das Doppelte und die Gründung eines Bundesinstituts für Radverkehrsforschung.
Wenn Minister Scheuer sagt, dass man an Hauptstraßen keinen Platz für Radwege abzuzwacken braucht, man könne den Radverkehr doch über Nebenstraßen führen, dann drückt er sich um den Kern des Problems.
ADFC-Vizebundesvorsitzende Rebecca Peters sagt: „Deutschland kann ein Top-Fahrradland wie die Niederlande mit 30 Prozent Radverkehrsanteil und Millionen Fahrradpendler:innen werden – da sind wir völlig sicher. Aber die nächste Bundesregierung darf sich nicht der Illusion hingeben, dass das ohne eine Neuordnung des Straßenraumes und ohne eine tiefgreifende Reform aller einschlägigen Gesetze und Regelwerke funktioniert. Wenn Minister Scheuer sagt, dass man an Hauptstraßen keinen Platz für Radwege abzuzwacken braucht, man könne den Radverkehr doch über Nebenstraßen führen, dann drückt er sich um den Kern des Problems. Selbstverständlich brauchen wir Radwege an allen Hauptstraßen, denn natürlich haben auch Radfahrende und Güter auf Lastenrädern dort Ziele. Auch die starre Haltung zu Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit muss die nächste Bundesregierung überwinden, wenn das Projekt Fahrradland mehr sein soll, als schöne PR.“
Konkret fordert der ADFC von der nächsten Bundesregierung:
- Eine neue Verfassung für die Straße zu schaffen (Reform von StVG, StVO, ERA etc.)
- Den Bundeshaushalt Radverkehr dauerhaft zu erhöhen (von 350 auf 850 Mio. € p.a.)
- Einen Bund-Länder-Vertrag für lückenlose Radwegenetze zu schließen
- 100 Stellen für den Radverkehr im BMVI und nachgeordneten Behörden zu schaffen
- Eine Aus- und Fortbildungsoffensive für Planer:innen und Ingenieur:innen zu starten
- Ein Bundesinstitut für Radverkehrsforschung zu gründen.
Eine neue Verfassung für den Straßenverkehr
Dringendste politische Aufgabe ist laut ADFC die grundlegende Reform des Verkehrsrechts und der technischen Regelwerke zugunsten der „Vision Zero“, also eines fehlerverzeihenden Verkehrssystems möglichst ohne Tote und Verletzte. Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung in ihrer heutigen Form blockieren die fahrradfreundliche Umgestaltung der Städte. Kommunen müssen die Möglichkeit bekommen, leichter Fahrradstraßen und geschützte Radfahrstreifen anzulegen und dafür Fahrstreifen und Parkplätze umzugestalten, ohne dies mit Verkehrszählungen und Unfalldaten begründen zu müssen. Peters: „Es kann nicht sein, dass Kommunen einen Rechtsstreit fürchten müssen, wenn sie Platz für den Radverkehr schaffen.“ Zur Verbesserung der Verkehrssicherheit soll – wie seit Kurzem in Spanien – Tempo 30 innerorts zum Standard werden. Ebenso müssen alle relevanten technischen Regelwerke (RIN, RASt 06, ERA 2010 u.v.m.) grundlegend modernisiert und die jahrzehntelange einseitige Orientierung an den Anforderungen des Autoverkehrs beseitigt werden, so die Forderung des ADFC. Peters: „Bei der Modernisierung der Regelwerke sind uns Transparenz und Beteiligung der Zivilgesellschaft ausgesprochen wichtig.“
Langfristige Finanzierung und Personalaufbau sichern
Bisher ist die Sonder-Förderung des Bundes für den Radverkehr mit durchschnittlich 350 Millionen Euro pro Jahr durch das Klimaschutzprogramm nur bis 2023 gesichert – viel zu kurz für große Infrastrukturprojekte und lückenlose Radwegenetze bundesweit. Angesichts des enormen Nachholbedarfs bei kommunalen Radwegen, Radschnellwegen, Fahrradbrücken und Fahrradparkhäusern wird die bisher vorgesehene Förderung nicht reichen. Hier brauchen Kommunen und Länder deutlich mehr und dauerhafte Unterstützung vom Bund. Damit es zügig vorangehen kann, müssen die großen Lücken beim Fachpersonal für die Planung von Radwegenetzen durch eine Aus- und Fortbildungsoffensive geschlossen werden, so der ADFC in seinem Aktionsplan.
Radverkehr groß denken
Während die scheidende Bundesregierung mit dem Nationalen Radverkehrsplan nur einen mageren Radverkehrsanteil von 15 Prozent anstrebt, will der ADFC mindestens die Größenordnung der Niederlande erreichen und in erheblichem Umfang Autofahrten auf das Rad bringen. Der Radverkehrsanteil soll bis 2030 von derzeit 11 auf 30 Prozent steigen. 30 Prozent der Pendler:innen sollen auf Strecken bis 10 Kilometer das Fahrrad statt das Auto nutzen. Peters: „In Anbetracht der Klimakrise und der staugeplagten Metropolregionen ist eine schnelle Verdreifachung des Radverkehrs – kombiniert mit dem Ausbau von ÖPNV und Fußverkehr – der einzig gangbare Weg.“
Radfahren in Deutschland – viel ungehobenes Potenzial
Fast alle Menschen in Deutschland besitzen ein Fahrrad: 2020 gab es rund 79 Millionen Fahrräder, davon über sieben Millionen mit elektrischer Unterstützung. An Fahrrädern mangelt es also nicht – dennoch werden hierzulande wegen fehlender komfortabler Alternativen selbst kürzeste Wege mit dem Auto zurückgelegt. 50 Prozent der Autofahrten sind unter fünf Kilometer, 25 Prozent sogar unter zwei Kilometer. Es besteht also ein erhebliches Verlagerungspotenzial, wenn es ein attraktives Radinfrastrukturangebot in Verbindung mit einem gut ausgebautem ÖPNV gibt.
Foto: dd
Grafik: ADFC
8 Antworten auf „ADFC fordert mehr als schöne PR“
Für mich fehlt unter Recht noch, dass die Radfahrer und Fußgänger häufiger Ihr Recht auch bekommen. Recht haben und Recht bekommen, sind leider zwei verschiedene Sachen. Man hätte Recht auf freie Radwege und Gehwege; weniger Gehupe, ständige Vorsicht, oft auf die Fahrbahn fahren oder auszuweichen und mehr. An sovielen stellen wird aber das Recht gebäugt. Aufklärung und Kontrolle wäre also häufiger nötig. Oder aufkläreung durch Kontrolle. Wenn mehr Leute ein Strafzettel wegen unerlaubt dichten Überholen bekommen würden, würde sich das wahrscheinlich ähnlich gut rumsprechen, wie eine Aufklärungskampanie.
Nebenstraßen können theoretisch auch ein gute Lösung sein. Vorausgesetzt diese sind ähnlich kurz, was oft nicht der Fall ist. Das heißt man müsst viel Geld in die Hand nehmen, um Parallel zu Hauptstraßen (oder Kfz optimierte Straßen) auch zusammenhängende Nebenstraßen (oder Radfahrer optimierte Straßen) zu errichten.
Dem Rest kann ich natürlich nur zustimmen.
Bei uns in Osnabrück sind einige Polizisten sehr interessiert an Messtechnik für die Abstände. Da kommt was .
Außerdem haben unsere Fahrradsheriffs auch so schon entsprechende Kontrollen gemacht und kassiert…..
Fordern tut der ADFC das alles ja schon seit Jahren!
Es passiert aber leider nichts.
Auch Dein schönes Beispiel eines breiten Radwegs statt eines Parkstreifens kommt schon wieder in die Jahre (gebaut 2017) und es ist bislang nichts dazu gekommen.
Natürlich gibt es angeblich Planungen und es könnte ja schon 2024 weitergehen, aber wer würde seine Hand dafür ins Feuer legen?
Wie Deutschland da bis 2030 Fahrradland werden soll ist mir schleierhaft!
Es ist doch soooo bequem (und so günstig), jeden Weg mit dem Auto zurückzulegen
„Wenn Minister Scheuer sagt, dass man an Hauptstraßen keinen Platz für Radwege abzuzwacken braucht, man könne den Radverkehr doch über Nebenstraßen führen, dann drückt er sich um den Kern des Problems.“
Stimmt, aber wenn die ADFC-Führung sagt:
„Selbstverständlich brauchen wir Radwege an allen Hauptstraßen“
dann macht sie doch nichts anderes als die zu recht kritisierte CDU/CSU Politik mit ihren Scheuers und Strössenreuthers!
Der ADFC drückt sich seit Jahren (vor allem seit der Stork-Zeit) um die Notwendigkeit der effektiven Senkung des Autoverkehrs in Dichte und Fahrleistung. Stattdessen die altbackene autogerechte ‚lets-go-dutch‘ Separationspolitik als umweltgerecht und klimaschonend zu verkaufen ist schlicht unredlich und führt große Teile der Umweltbewegung faktisch hinter die Fichte.
Ist es nicht ein bisschen überheblich und dreist, dass die Laien vom ADFC meinen, die ganzen Profos und bräuchten erst mal eine Schulung, was wohl eher heißt, dass alle ADFC-Propaganda verinnerlichen sollen, bis der ADFC mal wieder eine 180° Kehre macht.
Der Bund kann die ERA nicht reformieren, denn die wird von einem privaten Verein herausgegeben.
Wenn ich ein lückenloses Radwegenetz will, kann ich das nur da realisieren, wo nicht viel los ist. Oder ich muss ganze Straßenzüge abreißen. Einfach mal durch die Stadt fahren und überall wo nur Platz für einen Schutzstreifen ist, sich die Bebauung auf einer Seite wegdenken.
Warum braucht es genau 100 Stellen und was sollen die machen?
Wie kommt der ADFC drauf, dass es eine Zählpflicht für den Umbau von Parkstreifen in Radverkehrsgängelungsstreifen gibt? Im Rahmen des Straßenbaurechts kann eine Kommune soviele Radwege bauen, wie sie will, wenn es denn dafür Platz gibt.
Wenn ich so sehe, was die „Profis“ in der Stadtverwaltung und beauftragte Unternehmen hier so in Sachen Radverkehrswesen treiben, rate auch ich ganz dringend zu einer Schulung an. Da wird z.B. seit Jahrzehnten entgegen der VwV-StVO links Benutzungspflicht angeordnet, statt „Radfahrer frei“ nur ausnahmsweise. An einer Stelle weigerte man sich eben mit Bezug auf die VwV-StVO einen linken Radweg anzulegen, aber an vielen anderen Straßen baut man die blauen Schilder links auf. Die Stadtverwaltung widerspricht sich ständig und der Pressesprecher verbreitet immer nur Ausreden für das eigene Versagen und Chaos.
Gibt sicherlich hunderte bis tausende Mängel und Probleme, wo die „Profis“ nicht gerade mit erkennbarer Qualifikation oder Kompetenz glänzen, sondern nur mit bürokratischer Sturheit, Bürgerferne, Aussitzverhalten und ganz offensichtlicher Faulheit im (Mit-)Denken und Arbeitsverhalten.
Nicht mal Poller werden hier in sinnvollen Abständen aufgestellt, mal zu weit, mal zu nah beieinander.
Der Sachbearbeiter ist an Weisungen und politische Beschlüsse gebunden. Du siehst der Sache vor Ort nicht an, ob die Sachbearbeiter gegen die Vorgaben von Oben aus der Politik richtig formell remonstriert haben oder wenigstens per e-Mail ihre Bedenken geäußert haben oder in Besprechungen und dies protokolliert ist. Dieser einfache Schluss, an allem Unfug seinen immer die Planer schuld oder es gäbe großen Nachschulungsbedarf, halte ich für ebenso falsch wie die Aussage, dass alles Planer einen super Job machen.
Und die Anordnungen nach § 45 StVO treffen in den seltensten Fällen Planer. Die gibt es sehr, sehr selten in Straßenverkehrsbehörden.
äh, ich sprach nicht von der StVO, sondern von der Verwaltungsvorschrift zur StVO:
http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_26012001_S3236420014.htm
und da heißt es dann (Zitat):
„33
1.
Die Benutzung von in Fahrtrichtung links angelegten Radwegen in Gegenrichtung ist insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften mit besonderen Gefahren verbunden und soll deshalb grundsätzlich nicht angeordnet werden.“
Gerade letzte Woche wurde hier in Braunschweig eine Strecke direkt vor dem Hauptbahnhhof nach 21 Jahren ohne Verkehrszeichen, lediglich mit Pfeilen auf dem Asphalt nun mit blauen Schildern links ausgestattet, also Benutzungspflicht.
Im Übrigen rechts auch nach 21 Jahren erstmalig neu aufgestellt und angeordnet, soll ich mich eigentlich Zweiteilen um die beidseitige BenutzungsPFLICHT zu erfüllen?
Ich wage zu bezweifeln, dass Verkehrzeichen und -Regeln von Politikern so bestimmt werden können, dass Vorschriften und Gesetze einfach ignoriert werden können. Politiker und Bürger können Beschlüsse und Ideen einbringen, die Verwaltung muss diese dann im Rahmen der Gesezte und Vorschriften korrekt umsetzen. Und genau das passiert hier bei mir ganz offensichtlich nicht. Die Inkompetenz sehe ich leider jeden Tag, falsch aufgestellte, fehlende oder vergessene Verkehrszeichen, Widersprüche, zu große oder zu kleine Pollerabstände, Schäden und Sicherheitsmängel, uvm., sowie die Weigerung Mängel und Schäden zu beseitigen.