Die Helmpflicht, die es gar nicht gibt, sorgt immer wieder für Debatten und Diskussionen in Politik und vor allem in den Medien – lassen sich damit doch zuverlässig Klicks und Kommentare generieren. Gerade ist es mal wieder soweit. Anlass ist die Aussage des Präsidenten des Deutschen Verkehrsgerichtstages Prof. Ansgar Staudinger, dass es seiner Meinung nach derzeit noch keine Helmpflicht brauche. Auf das „derzeit noch keine“ komme ich unten noch zurück.

Zunächst komme ich aber zu einem Kommentar in der heutigen Ausgabe der Neuen Osnabrücker Zeitung, weil sie exemplarisch ist für den deutschen Umgang mit Gefahren im Straßenverkehr. Politikredakteur Thomas Ludwig, selbst sportlicher Radfahrer, schreibt, „dass es im hektischen Stadtverkehr zwischen Lkw, Falschparkern und bei oft nicht vorhandenen oder zu schmalen Radwegen und knapp überholenden Autofahrern wirklich gefährlich“ sei, Rad zu fahren. Als Konsequenz aus diesen Gefährdungen, die definitiv nicht vom Radfahrenden ausgehen, fordert er „bei Unfällen eine juristische Mitschuld“ für Radfahrende ohne Helm.

Ich halte das für eine ziemlich irre Argumentationskette, die zur Sicherheit im Straßenverkehr leider überhaupt nichts beiträgt. Aber es ist eben auch typisch deutsch: Wir erkennen zwar an, dass es Gefahren gibt. Aber statt sie zu beseitigen, also Unfälle zu verhindern, sollen lediglich die Folgen abgemildert werden. Hinter dieser Argumentation steckt die Grundannahme, dass das Verkehrssystem wie gottgegeben aufs Auto ausgerichtet sein muss. So wie die Straßenverkehrsordnung primär auch der Beschleunigung des motorisierten Verkehrs dient. Wer da noch Platz finden will, tut das auf eigene Gefahr und ist im Zweifel selber schuld.




Was wir statt einer Helmpflicht viel mehr brauchen, ist eine grundlegende Neuverteilung der Verkehrsflächen, die Radfahrenden eine sichere Infrastruktur bietet. Aufgabe der Politik ist es, Grundvoraussetzungen zu schaffen, die nicht jedes Jahr zu zehntausenden verletzten Radfahrenden führen. Wer dann einen Helm tragen will, soll das gerne tun. Das Ziel muss aber ein sicheres Verkehrssystem sein, nicht eine total behelmte Gesellschaft.

Womit ich zurück komme zu Ansgar Staudingers „derzeit noch keine“ Helmpflicht. Bei der Eröffnung des Deutschen Verkehrsgerichtstages heute Vormittag hat er noch mal bekräftigt, dass er derzeit gegen eine Pflicht ist, weil es noch „mildere Mittel“ gebe, zum Beispiel das Werben für Fahrradhelme seitens Politik und Verbände, um Helme „in die Köpfe und auf die Köpfe“ zu bringen. Die Zahl der Helmtragenden sei nämlich noch nicht sehr hoch. Die „textilfreie“ Kampagne des Bundesverkehrsministeriums nennt er in diesem Zusammenhang übrigens „Bärendienst“.

Überzeugt man die Mehrheit der Gesellschaft davon, dass es richtig ist, einen Fahrradhelm zu tragen, kann man Radfahrern ohne Helm im Falle eines Unfalls mit Kopfverletzungen juristisch eine Mitschuld geben.

Staudinger erklärt indirekt aber auch, wie das Bundesverkehrsministerium an einer Helmpflicht durch die Hintertür arbeitet. Weil die Helmtragequote bei Radfahrenden heute noch nicht so hoch ist, bekommt man als Radfahrer ohne Helm bei Unfällen mit Kopfverletzung noch keine Mitschuld. Schaffe es die Politik aber, die Helmtragequote durch Kampagnen so weit zu erhöhen (wie hoch genau ist unklar), dass sich ein „allgemeines Verkehrsbewusstsein“ pro Helm bildet, sei es juristisch einfacher, Radfahrern ohne Helm im Falle eines Unfalls mit Kopfverletzung eine Mitschuld zu geben. Im Rahmen des allgemeinen Verkehrsbewusstseins sei es dann nämlich „verkehrsrichtig“, dass „ein vernünftiger Straßenverkehrsteilnehmer als Radfahrer“ einen Helm trägt. Tut er es nicht, bekommt er folglich eine Mitschuld für erlittenen Kopfverletzungen.

Also noch mal: Überzeugt man die Mehrheit der Gesellschaft davon, dass es richtig ist, einen Fahrradhelm zu tragen, kann man Radfahrern ohne Helm im Falle eines Unfalls mit Kopfverletzungen juristisch eine Mitschuld geben. Und das käme dann erstens einer Helmpflicht durch die Hintertür gleich und würde es der Politik zweitens deutlich einfacher machen, eine allgemeine Helmpflicht anzuordnen. Und die Folgen einer Helmpflicht kennen wir aus Australien. Die Zahl der Radfahrer nimmt ab, unter den jüngeren sogar um 30 Prozent.

Es ist also wichtig, die Gefahren genau zu benennen – wie es Thomas Ludwig in seinem Kommentar ja sogar macht. Noch wichtiger ist es aber, daraus auch die richtigen Schlüsse zu ziehen. Eine Helmpflicht ist allerdings der falsche Weg.