Ein Gastbeitrag von Andreas Lenzing aus Osnabrück

Schon auf den ersten Seiten hat mich das Buch gepackt: Rendell nimmt den Leser mit auf die entscheidende Etappe der Tour de France 2019. Diese Etappe wird wegen eines Unwetters abgebrochen, im TV wird gezeigt, wie mit Radladern versucht wird, die Strecke vor Eintreffen des Pelotons befahrbar zu machen, aber erfolglos. Währenddessen fährt der bis dato recht unbekannte Egan Bernal ins gelbe Trikot, das er bis Paris nicht mehr abgeben wird.

Das Buch beschäftigt sich mit diesem und vielen anderen Erfolgen kolumbianischer Rennradfahrer und ganz generell mit einer Phase des Rennradsports, in der in Kolumbien auf nationaler Ebene Talente gesucht und gefördert und ein erfolgreiches nationales Team gebildet wurde, das Team COLOMBIA ES PASIÓN.

Ich war damals wie viele andere wohl auch der Meinung, dass „die Kolumbianer“ physiologische Vorteile haben, da die Sportler im Hochland aufgewachsen, deshalb an sauerstoffarme Höhenluft angepasst sind und eine entsprechend hohe Aufnahmekapazität aufweisen. Das ist auch nicht ganz falsch, es kommt aber noch etwas Entscheidendes hinzu: Radfahren wurde während einer an das Chaos der Guerillakriege und der Auseinandersetzungen des Staates mit Drogenkartellen anschließenden Phase, die man wohl als Wiederaufbau bezeichnen sollte, gezielt gefördert. Auf der Suche nach einer publikumswirksamen Sportart auf nationaler Ebene hat man erkannt, dass der Radsport wohl am ehesten zu einer Erfolgsstory werden kann und dementsprechend junge Talente und erfahrene Trainer zusammengebracht.

Die Lebenswege der einzelnen heute bekannt gewordenen Sportler ähneln sich. Viele sind geprägt von einer Kindheit in ländlichem, bäuerlichem Umfeld und ersten Erfahrungen mit dem Fahrrad auf dem Schulweg. Diese Lebensumstände hat der Autor akribisch recherchiert und zusammengestellt, sie bilden das Gerüst des Buches und machen den Großteil der gut 300 Seiten aus.

Der Verlag beschreibt das folgendermaßen:

Für sein Buch »COLOMBIA ES PASIÓN – Wie eine Generation kolumbianischer Radrennfahrer die Tour de France eroberte und eine ganze Nation beflügelte« hat der britische Journalist Matt Rendell die komplette Riege kolumbianischer Spitzenfahrer und ihre Familien besucht. In akribisch recherchierten, einfühlsam erzählten Porträts schildert der preisgekrönte Autor, Radsport- und Kolumbien-Experte ihre Wurzeln, Lebenswege und Träume. Es sind beeindruckende Geschichten, die von der Überwindung von Armut und Gewalt, Krankheit und Korruption berichten. Von Helden der indigenen Bevölkerung, die es zu weltweitem sportlichem Ruhme gebracht haben. Und davon, wie sportliche Großtaten dazu beitragen können, ein Land zu einen und eine Gesellschaft einschneidend zu verändern.

Die anfängliche Spannung kann das Buch dann doch nicht ganz aufrechterhalten. Zu sehr hat man beim Lesen mit der Zeit den Eindruck, dass nicht jedes erzählte Detail der Familiengeschichte eines Sportlers wichtig ist und dass sich die einzelnen Karrieren oder Schicksale schon sehr ähneln.

So werde ich das Buch wohl immer wieder einmal in die Hand nehmen, um die Geschichte von Nairo Quintana, Egan Bernal, Rigoberto Urán, Fernando Gaviria, Miguel Ángel López oder anderen nachzulesen, wenn diese mal wieder einen Etappensieg einfahren oder eine ganze Rundfahrt erfolgreich bestreiten. Zum entspannenden Durchlesen innerhalb von ein oder zwei Urlaubstagen ist dieses Buch aber nicht geeignet, das soll es aber wohl auch nicht.

Warum sollte man dieses Buch kaufen und lesen?

Man muss schon Verständnis für den Rennradsport mitbringen, denn das Buch ist ein aufwändig recherchiertes Dokument der Zeitgeschichte des kolumbianischen Radsports und vor allem auch der harten, schwierigen Lebensumstände der Sportler, die in den vergangenen Jahren große Erfolge eingefahren haben. Die Persönlichkeiten, die hinter den Erfolgen stehen, werden ausgesprochen detailliert herausgearbeitet, so dass man ein sehr viel besseres Verständnis dieser Sportler und ihrer individuellen Geschichten bekommt. Nebenbei wird die Erfolgsgeschichte des kolumbianischen Radsports dargestellt, die auch zu einer Öffnung des Landes für internationalen Sport und Tourismus geführt hat, die aber auch ein wichtiger Faktor für eine positive politische und gesellschaftliche Entwicklung sein dürfte.

Für wen ist das Buch nichts?

Wer einen kurzweiligen, spannenden Schmöker für ein verregnetes Wochenende sucht, wird das Buch schnell wieder beiseitelegen – besonders dann, wenn kein besonderes Interesse am Rennradsport besteht.

Eine Leseprobe gibt es hier.

Colombia Es Pasión!
Wie eine Generation kolumbianischer Radrennfahrer die Tour de France eroberte…

Matt Rendell
352 Seiten, Klappenbroschur mit Farbfotostrecke
Covadonga-Verlag
Juni 2020