Es war ein ziemlicher Paukenschlag, als die Deutsche Presseagentur gestern Abend die Nachricht verbreitete, dass Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer die gerade mal zwei Wochen alte Bußgeldverordnung in Teilen rückgängig machen will. Es hätten ihm viele Bürger geschrieben, die den Verlust ihrer Führerscheine und somit ihrer Jobs befürchteten, ließ das Bundesverkehrsministerium via Twitter wissen – und fügte an, dass durch die Bundesländer eingebrachte Verschärfungen und Fahrverbote „vereinzelt unverhältnismäßig“ seien. Es ist schon irgendwie irre, dass ein Ministerium diese Auffassung in Bezug auf den Führerscheinentzug teilt. Denn nicht der Gesetzgeber ist in der Pflicht, milde Strafen festzulegen. Der einzelne Autofahrer ist in der Pflicht, die Regeln einzuhalten.

Und nur noch mal zur Erinnerung: Es geht nicht um den Verlust von Führerscheinen. Es geht um einmonatige Fahrverbote für Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 21 km/h innerorts. Nun heißt es, das sei unverhältnismäßig und nur eine geringe Überschreitung. Bei erlaubten 50 km/h in der Stadt sind 21 km/h zu schnell aber immer 42 Prozent. Also eine verhältnismäßig krasse Überschreitung.

Unangenehme Koalition will Raser schützen

In dieser Angelegenheit hat sich schnell eine unangenehme Koalition zusammengefunden. Bereits seit zwei Wochen läuft die Petition eines Münchener CSU-Lokalpolitikers und Autoclubpräsidenten. Heute im Bundestag ritten CDU/CSU, FDP und AfD dann denselben Gaul. Gero Storjohann (fahrradpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion) knickte ein. Man habe der Änderung der StVO zwar zugestimmt, aber jetzt sollte man doch noch mal nachdenken, ob ein einmonatiges Fahrverbot für 21 km/h zu schnell gerechtfertigt ist.

In die gleiche Richtung stieß Daniela Kluckert von der FDP („Die Schraube wurde überspannt.“) und empfahl, dass bei bei erstmaliger Geschwindigkeitsüberschreitung von 42 Prozent oder mehr noch mal ein Auge zugedrückt werden solle. 150.000 Unterschriften seien Grund genug, die StVO-Änderung zurückzunehmen.

Die AfD war in gewohnter Wutbürgermanier reichlich wirr und sieht die Schuld für so ziemlich alles bei Greta Thunberg. Zudem scheint bei ihr der Blick auf die Uhr mit einem kräftigen Tritt aufs Gaspedal untrennbar verbunden. Hier sieht ihr Abgeordneter nämlich einen Hauptgrund für geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Redebiträge haben meinen Eindruck verfestigt, dass die die gesamte Rechtsaußenfraktion für fahruntauglich erklärt werden muss.

Die Linke fürchtete zunächst einen weiteren Kniefall des Ministers vor der Autolobby, brachte dann aber selber den Vorschlag, beim ersten groben Geschwindigkeitsverstoß noch einen zweiwöchigen Rabatt auf den Führerscheinentzug einzuräumen. Für die Grünen ist Minister Scheuer ein Fähnchen im Wind (Stefan Gelbhaar). Sie wiesen darauf hin, dass 21 km/h den Unterschied zwischen Leben und Tod machen können und gaben den sehr richtigen Tipp, sich doch einfach an die Regeln zu halten. Dann müsse auch niemand das Fahrverbot fürchten.

„Ein Führerscheinentzug ist ein großes Problem für den, den es erwischt hat.“ Richtig, darum geht es ja. Eine Strafe soll ein Problem sein.

Ihnen wiederum warf der CDU-Abgeordnete Christoph Ploß vor, den Autofahrern das Leben verleiden zu wollen. Hier wird gar nicht mehr versucht zu argumentieren. Denn wie soll man das zusammenbringen? Ein schönes Leben nur bei mehr als 70 km/h in der Stadt? Auf den Punkt brachte es dann Alois Rainer, Scheuers Parteikollege von der CSU. Allerdings vermutlich ganz anders als beabsichtigt: „Ein Führerscheinentzug ist ein großes Problem für den, den es erwischt hat.“ Richtig Herr Rainer, darum geht es ja. Eine Strafe soll ein Problem sein. Das ist der Sinn der Sache. Wäre eine Strafe kein Problem, bräuchte es die Regel ja gar nicht.

Was soll das Ganze aber nun? Klar, AfD und FDP brauchen Wählerstimmen. Was aber will der Minister? Erst stimmt er dem gesamten StVO-Paket zu uns lässt eine Street Love Story draus basteln. Und dann lässt er sich von 150.000 Unterschriften beeindrucken? Vielleicht ist es einfach nur ein billiger Trick, in harten politischen Zeiten (Maut-Desaster) ein bisschen Zustimmung zu erfahren. Auf die hinterhältige Weise. Denn zurücknehmen kann er die StVO-Novelle nicht einfach. Den schwarzen Peter schiebt er nun erst mal dem Bundesrat und damit den Bundesländern zu.

Gegenwind gibt es auf jeden Fall für die Scheuer-FDP-AfD-Koalition: Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat warnt, Sanktionen für Autofahrer in der erst kürzlich in Kraft getretenen Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) abzumildern. „Die Novelle der StVO ist erst seit wenigen Wochen in Kraft. Über Monate hinweg wurde an den neuen Regelungen gearbeitet. Wir haben diese Arbeiten intensiv begleitet und unterstützt. Nun ist es wichtig, diese Regeln einzuhalten und nicht sofort wieder zu revidieren“, kommentiert DVR-Präsident Prof. Dr. Walter Eichendorf die gestern bekannt gewordenen Absichten des Ministeriums.

21km/h zu schnell in Ortschaften und 26 km/h zu schnell außerorts seien keine Lappalie, sondern stellten ein hohes Unfallrisiko dar. Innerorts seien insbesondere Radfahrer und Fußgänger, die weitgehend ungeschützt seien, durch hohe Tempoverstöße gefährdet. Der DVR begrüße daher ausdrücklich die nun geltenden Regelungen. „Sie sind ein wichtiges Signal, sich an geltendes Recht zu halten. Und genau das ist die Pflicht aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer“, so Eichendorf weiter.

Es muss endlich Schluss damit sein, dass der Staat die Verfehlungen von Autofahrenden milde lächelnd durchwinkt – und damit Leben und Gesundheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer aufs Spiel setzt!

Auch der ADFC hält Scheuers Pläne für unverantwortlich und appelliert an die Bundesländer, ihm eine Absage zu erteilen. „Abschreckende Bußgelder für drastische Geschwindigkeitsüberschreitungen – inklusive der Androhung eines Fahrverbots – sind essenziell, um die Menschen in den Städten und Wohngebieten vor Auto-Rasern zu schützen. Sich durch AfD und FDP zu einer Rückwärtsrolle drängen zu lassen und die Sanktionen zurückzunehmen, wäre ein fataler politischer Irrtum. Die Bundesländer müssen jetzt dringend auf dem Kurs der ‚Vision Zero‘ bleiben und einen Rückfall in eine überkommene PS-Politik verhindern“, so ADFC-Bundesvorsitzender Ulrich Syberg. „Es muss endlich Schluss damit sein, dass der Staat die Verfehlungen von Autofahrenden milde lächelnd durchwinkt – und damit Leben und Gesundheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer aufs Spiel setzt! Geschwindigkeitsbegrenzungen sind völlig wirkungslos, wenn die Überschreitung nicht hart sanktioniert wird!“

„Ein Verkehrsminister verteidigt das Recht auf deutliche Geschwindigkeitsübertretungen, das ist eine Ohrfeige für viele andere Verkehrsteilnehmer! Niemand muss in der Stadt mehr als 20 Stundenkilometer schneller fahren als erlaubt. Statt solchen Forderungen nachzugeben, sollte sich Herr Scheuer lieber für mehr Sicherheit auf unseren Straßen einsetzen“, fordert Anika Meenken, VCD-Sprecherin für Radverkehr und kritisiert, dass Scheuer „bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die Rolle rückwärts“ plane. „Autofahrer, die sich nicht an die Regeln halten, mit Fahrverboten zu bestrafen, ist deshalb völlig richtig. Wer dies für nicht zumutbar hält, ist als Verkehrsminister einer Bundesregierung, die sich zu Vision Zero – Null Verkehrstote bekennt, eine Fehlbesetzung.“

Scheuer knickt vor der Autofahrerlobby ein.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) erteilt Scheuer eine klare Absage. „Überhöhte, nicht angepasste Geschwindigkeit ist mit das größte Todes- und Verletzungsrisiko auf den Straßen hierzulande. Dafür die Bußgelder konsequent zu erhöhen sowie Punkte anzudrohen und damit das Unfallgeschehen aufgrund des höheren Risikos eines Führerscheinverlusts zu verringern, ist weiterhin der richtige Weg“, sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Dietmar Schilff am Freitag in Hannover und kritisiert weiter: „Scheuer knickt vor der Autofahrerlobby ein.“

Im Internet werden derweil seit gestern Abend Unterschriften gesammelt. Eine Petition fordert die Beibehaltung der neuen Straßenverkehrsordnung. Ich glaube zwar nicht, dass sich Andreas Scheuer von einer Petition beeindrucken lässt, die nicht von Hardcore-Autofahrern kommt, aber für die Sicherheit auf unseren Straßen soll nichts unversucht bleiben. Also bitte gerne hier unterschreiben.