Man kann sich langsam nur noch an den Kopf fassen, wenn man Beschlüsse wie diesen der jüngsten Verkehrsministerkonferenz liest: „Die Verkehrsministerkonferenz bittet die Bundesregierung, die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) mit der Untersuchung zu beauftragen, welche Folgen eine deutliche Ausdehnung von vor allem innerörtlichen streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h aus Lärmschutzgründen für die Sicherheit, Leichtigkeit und Ordnung der Verkehrsabläufe hätte und hierüber in der Frühjahrssitzung 2020 zu berichten.“
Wie oft soll das Offensichtliche denn noch getestet werden? Wir haben 2019. In Deutschland fahren seit über 100 Jahren Autos, seit geraumer Zeit auch jenseits der 200 Stundenkilometer. Gleichzeitig haben wir Spielstraßen und Tempo-30-Zonen, die von Anwohnern ob ihres Tempolimits sehr geschätzt werden. Und trotzdem haben es die Kommunen immer noch nicht in der Hand, Tempo 30 umfassend dort auszuweisen, wo sie es für sinnvoll halten. Warum tun sich Landes- und Bundespolitik hier so schwer, Kompetenzen abzugeben?
In Niedersachsen verschleppt das Verkehrsministerium seit Jahren ein Modellprojekt zu Tempo 30. Verabschiedet wurde der Versuch bereits 2016. Heute ist immer noch nicht klar, welche der immerhin 41 interessierten Kommunen überhaupt daran teilnehmen dürfen. 19 sind in der engeren Auswahl, sechs sollen wohl den Zuschlag bekommen. Die Entscheidung soll 2020 fallen. Wann der Versuch dann endlich starten kann, steht in den Sternen. Die Landesregierung kann auf Anfrage (pdf) von Detlev Schulz-Hendel nicht mal Auskunft über einen konkreten Zeitplan geben: „Aufgrund der immensen Abstimmungsbedarfe zwischen dem LZN, dem MW und dem MU bei Erstellung der Vergabeunterlagen musste das Datum der Bekanntmachung der Vergabeunterlagen mehrfach korrigiert werden.“
Tempo 30 Modellversuch in Niedersachsen:
2016 – beschlossen
2018 – Vergabe an Gutachter
2020 – Entscheidung wo
???? – Start des ModellversuchsEinfach machen wäre in Deutschland echt zu viel verlangt…
— Daniel (@SecretCoAuthor) June 3, 2019
Und nun will die Verkehrsministerkonferenz also auch noch eine Untersuchung starten lassen – um zu sehen, welche Auswirkungen Tempo 30 auf Lärm und Sicherheit hat. Ernsthaft? 2019 darf offziell immer noch nicht davon ausgegangen werden, dass langsameres Fahren grundsätzlich sicherer und leiser ist? Es ist wirklich schwer zu ertragen.
Überlasst es endlich den Kommunen, Tempo 30 da anzuordnen, wo sie es für sinnvoll halten. Sie kennen sich vor Ort aus und können die Lage sicher besser einschätzen als irgendwelche Beamte in fernen Ministerien. Und wenn ein Versuch vor Ort dann wider Erwarten doch mal zu negativen Ergebnissen führt, dann hebt man die Geschwindigkeitsbegrenzung eben wieder auf. Versuch macht klug. Aber gebt den Kommunen endlich mehr Kompetenzen!
8 Antworten auf „Tempo 30: Deutschland auf Verhinderungskurs“
So macht man das in Zürich zum Beispiel :
https://tba.zh.ch/internet/baudirektion/tba/de/laerm/laermvorsorge/raumplanung/siedlungs_und_verkehrsplanung/strassenverkehr_beruhigen/tempo_30_zonen.html
https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/dav/themen_projekte/tempo_30.html
@Michael: Könnte es sein, daß es in der Schweiz keine bedeutende Automobilindustrie gibt, und die Politik nicht von der Autolobby durchkorrumpiert ist?
https://www.greenpeace.de/file/s01841webgreenpeaceschwarzbuchautolobby0416pdf
Spricht mir als Hannoveraner so dermaßen aus der Seele, dein Rant. Es ist wirklich unfassbar frustrierend.
Es ist sehr ärgerlich, daß sehr viel mehr über Tempo 130 auf Autobahnen disktutiert wird als über Tempo 30 in den Städten. Denn was auf Autobahnen passiert, kann Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel, Fußgängern und Radfahrern fast egal sein. Was in den Straßen passiert, die wir täglich nutzen, ist weit wichtiger!
Und, nein, man sollte es nicht den Kommunen überlassen, ob und wo sie Tempo 30 einführen. Tempo 30 sollte innerorts generell Höchstgeschwindigkeit sein. So spart man sich auch abertausende von Verkehrsschildern und Fahrbahnmarkierungen.
Von mir aus kann im Gegenzug auf Autobahnen generell 350 km/h gefahren werden.
Ich halte es für sehr positiv, dass die ‚Umweltbewegungen‘ incl. FFF darauf drängen Klimaschutzmassnahmen schnell und gründlich zu ergreifen.
Tempolimit auf Autobahnen ist dabei definitiv ein wirksames Mittel, das kostenneutral und mehrheitsfähig ist, und zudem niemandem wirklich weh tut (ausser vielleicht so Bekloppten wie Porsche-Poschard, Schnitzel-Lindner und den Eignern der SUV-Fabriken).
Generell sind aus ökol. Perspektive Geschwindigkeitssenkungen für den MIV im gesamten Strassennetz notwendig.
Soweit ich weiss (leider kein Beleg) ist das Einsparpotential auf Autobahnen aber erheblich höher als im (ohnehin langsamen) städtischen Verkehr (50 auf 30).
30-60-90 für Stadt-Land-Autobahn wäre durchaus vernünftig und würde das befördern, was doch ANGEBLICH alle wollen: integrierte Raumplanung mit Regionen der kurzen Wege und kompakte Siedlungsstrukturen bei minimiertem ökologischen Impact.
Kann es sein, dass in Teilen der Rad-Bubble das Thema ‚Klima‘ noch nicht ganz angekommen ist?
Aus meiner Sicht war die ‚Radwegegung‘ eigentlich doch bislang immer zugleich an Ökologie ausgerichtet.
Hat sich das geändert?
Mag sein.
Schliesslich wird ja auch vielfach ignoriert, dass in den Radwegeländern NL und DK, die ja bereits weitgehend die ‚Radentscheidforderungen‘ umgesetzt haben, der Autoverkehr beständig ansteigt und durch die Radverkehrsseparation keine relevante Klimaschutzwirkung generiert werden konnte.
Durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der dortige Radwegebau sogar die Fahrleistung des MIV im Gesamtverkehr erhöht hat.
Trotz dieser Faktenlage wird beständig (m.E. wider besseren Wissens) seitens des Bundes-ADFC, der neuen Radweg-Consulting-Agenturen und der Marketing Profis der Rad(weg)entscheide ein Konnex hergestellt zwischen Radwegbau und Klima.
Das erinnert stark ans berühmte St.Florian Prinzip.
Vielleicht wäre es gut, wenn der Appell der XXX-for Future Bewegungen nach Ausrichtung an wissenschaftlichen Erkenntnissen auch in der Rad-Bubble mal beherzigt werden würde?
„Ach was: Copy-paste von Powerpoint-Folien aus unserem Vorbild ‚Autoland NL‘ ist einfacher“
Ja o.k.,
stimmt natürlich.
@martin
den „Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel, Fußgängern und Radfahrern“ kann das in der Tat fast egal sein, aber es gibt auch ein paar hundert Millionen Menschen, die bald kein Wasser mehr haben (Gletscherschmelze im Himalaya), die aus ihren Küstenstädten ins Innere fliehen müssen (WOHIN??) oder deren Land gleich komplett im Ozean versinkt.
Ja, ist weit weg, aber Entfernung sollte bei solchen Fragen keine Rolle spielen.
Ethik, Gewissen und so …
Tempolimet 130 auf Autobahnen ist ein dermaßen offensichtlicher Fehltritt. Da ist es leicht, die richtige Meinung zu Schreiben und über Medien zu verbreiten.
Tempo 30 innerorts ist ein weitaus schwierigeres Thema. Dort findet sich nicht so eindeutig, was richtig ist.
Wieviel % der Bevölkerung ist eine Änderung wichtig?
Wer hat Nachteile durch die Regel?
Wie sieht es International aus?
Ist die Drehzahl garantiert besser, wenn langsamer gefahren wird?
Alles Fragen, die bei der Autobahn eindeutiger sind, als Innerorts. Sowohl für Medien, wie auch für Privatpersonen. Ich denke dass ist der Grund, warum es viel seltener angesprochen wird. Diese Fragen machen es auch noch unwahrscheinlicher, dass es kommt, also relevant sein wird. Die komplexität ist dazu auch ein weiteres Problem.
Persönlich bin ich übrigens noch für einige, wenige Ausnahmen von 30 innerorts. Breite Hauptadern sollten Breite Radwege haben. So ist dann schon eine Menge für die Atraktivität und Sicherheit der Radfahrer getan sein.
Ich sehe gerade, dass mein erster Satz föllig falsch ist. Es müsste heißen „KEIN Tempolimet 130 auf Autobahnen ist ein dermaßen offensichtlicher Fehltritt.“ oder „Tempolimet 130 auf Autobahnen ist ein dermaßen offensichtlicher Thema.“
Naja, ob Kommunen dann immer nach sachlichen Kriterien anordnen würden und Klientelpolitik nicht eine unwichtige Rolle spielt.