Gastbeitrag von Frauke Barske

In Osnabrück sind viele Menschen in der Freizeit und auf dem Weg zur Arbeit mit dem Rad unterwegs. In vielen anderen Ländern der Welt ist Radfahren – insbesondere für Frauen – jedoch sehr ungewöhnlich. „Ob ich das auch als erwachsene Frau noch lernen kann?“ Diese Frage stellten sich Anfang 2011 zwei Osnabrückerinnen mit kenianischen Wurzeln. Das Netzwerk der Integrationslotsen Osnabrück (ILOS) griff den Wunsch auf und machte sich gemeinsam mit dem damaligen Quartiersmanagement am Rosenplatz und dem Präventionsteam der Polizeiinspektion auf den Weg, die Idee in die Tat umzusetzen. Geboren war das Projekt „Integration erFAHREN“. Schon im Mai 2011 rollten die ersten Teilnehmerinnen unter Anleitung ehrenamtlicher Integrationslotsinnen über das Übungsgelände auf dem Schulhof der ehemaligen Teutoburger Schule.

Seither startet jeweils im Frühjahr und Herbst ein neuer Kursdurchgang „Integration erFAHREN“. Das Projekt richtet sich an zugewanderte Frauen, die erstmals Radfahren lernen möchten oder sich wünschen, Unsicherheiten beim Fahren abzubauen. Ziel ist es, nach erfolgreicher Absolvierung des Kurses sicher und selbstständig Fahrradfahren zu können. Die Teilnehmerinnen können dabei in vielfältiger Weise persönlich profitieren:

  • Stärkung des Selbstwertgefühls
  • Mehr Mobilität und Unabhängigkeit
  • Anwendung der Deutschkenntnisse
  • Stärkung sozialer Kompetenzen
  • Gesundheitsförderung durch Bewegung

Der Fahrradkurs besteht aus einem zweiteiligen Programm aus verschiedenen, über die Jahre hinweg immer weiter ausgefeilten Grund- und Aufbauübungen, die im individuellen Tempo durchlaufen werden. Trainiert wird zweimal wöchentlich eineinhalb Stunden über einen Zeitraum von etwa zehn Wochen. Anfängerinnen ohne Vorerfahrung lernen zunächst schrittweise angstfrei und selbstständig auf dem Übungsgelände zu fahren. Sie absolvieren rollend Gleichgewichtsübungen auf dem Rad, lernen dann das Anfahren mit Pedalen, zielgerichtet bremsen, abbiegen und Slalom fahren. Später geht es darum, Handzeichen zu geben, den Schulterblick zu üben, aktiv auf andere Radfahrerinnen Rücksicht zu nehmen und Vorfahrtsregeln zu beachten.

Fortgeschrittene festigen durch abwechslungsreiche, praktische Übungen ihre Fahrkenntnisse und breiten sich in einem speziellen Parcourstraining sowie durch angeleitetes Training in verkehrsberuhigten Bereichen darauf vor, aktiv und sicher als Radfahrerin am Straßenverkehr teilnehmen zu können. Parallel werden den Teilnehmerinnen in zwei Theorieschulungen Grundlagen zur Straßenverkehrsordnung vermittelt.

Das Projekt richtet sich an zugewanderte Frauen, die erstmals Radfahren lernen möchten oder sich wünschen, Unsicherheiten beim Fahren abzubauen.

Um eine möglichst individuelle Unterstützung zu gewährleisten, ist die Zahl der Teilnehmerinnen begrenzt auf zwölf Frauen. Zum Abschluss eines Kurses haben fortgeschrittene Teilnehmerinnen die Möglichkeit, eine vom Präventionsteam der Polizeiinspektion Osnabrück angebotene Theorie- und Praxisprüfung zu absolvieren und alle Frauen erhalten eine Urkunde, die ihnen den individuellen Lernerfolg bescheinigt.

„Es ist immer wieder ein wunderbares Gefühl, zu erleben, wie die Frauen ihren Mut entdecken, neues Selbstbewusstsein gewinnen und am Ende des Kurses sehr stolz auf sich selbst sind“, berichtet die Projektleiterin Frauke Barske. So endete auch der Frühjahrkurs „Integration erFAHREN“ am 26. Juni 2018 mit vielen strahlenden Gesichtern, als elf Frauen auf Anhieb die Prüfung bestanden.

Zum Kursstart kurz nach Ostern hätte das wohl niemand für möglich gehalten. Einige wenige Teilnehmerinnen hatten zwar als Kind schon einmal erste Radfahrversuche unternommen, die meisten brachten jedoch keinerlei Vorerfahrungen mit. Umso erstaunlicher war es, dass die ersten Gleichgewichtsübungen sofort ohne Probleme klappten und es fast alle Frauen schon in der ersten Übungsstunde probieren wollten, mit Pedalen zu fahren. Nach erster Skepsis bei den Helferinnen wurde der Schnellstart gewagt und ehe man sich versah, drehten einige Teilnehmerinnen lachend ihre Runden auf dem Schulhof.

Von da an radelten die Frauen direkt drauf los – ohne Schwierigkeiten beim Anfahren, ohne Angst – eine ganz neue Erfahrung auch für das ehrenamtliche Team von Projekthelferinnen. Gutes Zureden und Mut machen, war bei dieser Gruppe kaum von Nöten. Um das Training abwechslungsreich zu gestalten und die Lerneffekte zu steigern, wurden rasch gezielte Übungen zum sicheren, punktgenauen Bremsen, Slalom um Hütchen und das Halten einer geraden Linie in das Training eingebaut. Mit einem „Hi Five!“ für die parat stehenden Helferinnen bereiteten sich die Teilnehmerinnen ganz nebenbei darauf vor, später auch einhändig fahren und die Richtung anzeigen zu können. Auch bei diesen fortgeschrittenen Übungen entpuppten sich die Teilnehmerinnen des Frühjahrskurses 2018 als besonders talentierte und eifrige Gruppe.




Schon bald konnten sie auch geduckt durch ein Spalier fahren, sich beim Fahren als Paar dem Tempo anderer Radlerinnen anpassen und beim Schulterblick schnell eine angezeigte Farbe erkennen. Das spezielle Parcourstraining vom Präventionsteam der Polizeiinspektion Osnabrück zu absolvieren, war damit ein leichtes Spiel. In zwei Theorieschulungen wurden die wichtigsten Verkehrsregeln und wesentliche Grundlagen zum sicheren Radfahren im Straßenverkehr vermittelt und praxisbezogen an verschiedenen Stellen im Straßenverkehr besprochen. Das Gelernte durften die Frauen dann bei ersten Übungsfahrten in verkehrsberuhigten Bereichen im Rosenplatzquartier anwenden und sich später in Begleitung der Projekthelferinnen auch ins echte Verkehrsgeschehen wagen. Einige Damen wurden schon während des Kurses stolze Besitzerinnen eines eigenen Fahrrads und kamen zu den letzten Trainingseinheiten durch halb Osnabrück angeradelt.

Bei der Abschlussprüfung Ende Juni zeigte sich dann, dass ohne Ausnahme alle anwesenden Frauen nicht nur die Straßenverkehrsregeln erfolgreich verinnerlicht hatten, sondern auch die Prüfungsstrecke im Straßenverkehr mit Bravour meisterten. So bekamen am Ende alle feierlich eine Urkunde überreicht und ließen den Kursabschluss gemeinsam mit dem Projektteam glücklich bei Snacks und Getränken ausklingen.

Neben der gewonnen Mobilität und den positiven Effekten der Bewegung auf die Gesundheit war der Kurs insofern auch ein Ort für interkulturelle Begegnung und sprachliche Integration. Ganz nebenbei festigten die Frauen im Kurs nicht nur Vokabeln rund um das Radfahren, sondern wurden durch das Klönen und den Austausch untereinander und mit den Helferinnen auch dazu motiviert, ihre alltagsbezogenen Deutschkenntnisse anzuwenden und sich gegenseitig zu unterstützen.

Das beeindruckende Prüfungsergebnis des jüngsten Kursdurchgangs ist damit auch Zeuge, wie sich das Fahrradprojekt „Integration erFAHREN“ im Laufe der Jahre von einem kleinen Modellversuch zu einem etablierten Angebot für zugewanderte Frauen in Osnabrück entwickelt hat. Mit einem geräumigen, fest installierten Fahrradschuppen direkt auf dem Übungsgelände, einem umfangreichen Bestand von gespendeten Rädern, Helmen, Schulungsmaterialien und Parcoursequipment sowie insbesondere dem gewachsenen Projektteam von zwölf ehrenamtlichen Übungsleiterinnen ist das Projekt heute bestens aufgestellt. Neben dem Präventionsteam der Polizeiinspektion Osnabrück unterstützen die Arbeitslosenselbsthilfe Osnabrück (ASH) und der TSV Osnabrück e.V. das Projekt als Kooperationspartner und ermöglichen u.a. Schulungsräumlichkeiten sowie den Schutz der Teilnehmerinnen vor Haftpflicht- und Unfallversicherungsschäden.

Nicht zuletzt wurde im Anschluss an den Frühjahrskurs 2018 in Kooperation mit dem ADFC Osnabrück e.V. erstmalig eine kleine Fahrradtour für die erfolgreichen Absolventinnen organisiert. Bei bestem Sommerwetter machten sich am 30. Juni 2018 sieben Frauen auf den Weg und radelten entlang des Riedenbachs über den Schölerberg Richtung Bissendorf. Die ein oder andere kleine Anhöhe, steinige Feldwege und und viel frische Landluft machten die Tour für die frisch gebackenen Radfahrerinnen zu einem echten, kleinen Abenteuer. Umso größer war die Freude, als nach etwa anderthalb Stunden Fahrt das Etappenziel erreicht war: ein Picknickplatz, wunderschön gelegen inmitten von Feldern nahe der Bauerschaft Voxtrup. Gut gestärkt von allerlei syrischen, iranischen und deutschen Köstlichkeiten machten sich die Radlerinnen im Anschluss über Voxtrup auf den Rückweg und erreichten wohlbehalten wieder den Ausgangspunkt am Projektstandort Teutoburger Schule. „Wann können wir die wieder eine gemeinsame Fahrradtour machen und noch weitere schöne Orte im Osnabrücker Land entdecken?“, lautete danach der einhellige Wunsch.

Nachdem inzwischen auch der Herbstkurs „Integration erFAHREN“ 2018 fast abgeschlossen ist, wird der nächste Kursdurchgang im Frühjahr 2019 beginnen. Interessierte Teilnehmerinnen wie auch neue ehrenamtliche Helferinnen sind schon jetzt herzlich eingeladen, sich zu melden (Integration.erFAHREN@gmail.com). Für Spenden kleinrahmiger Damenräder (26-Zoll) mit Rücktritt ist das Projektteam ebenfalls jederzeit sehr dankbar!