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Überholabstand: Kampagne zum Nachmachen

Die Hansestadt Rostock macht seit Anfang 2016 mit Schildern auf die Einhaltung der Überholabstände zu Radfahrern aufmerksam. Im Rahmen der langfristig angelegten Verkehrssicherheitskampagne „Rostock – komm gut an!“ wurde ein Verkehrsschild (60 x 60 cm) entwickelt, das auf den nötigen Abstand von 1,5 Metern hinweist.

Die Hansestadt Rostock macht seit Anfang 2016 mit Schildern auf die Einhaltung der Überholabstände zu Radfahrern aufmerksam. Im Rahmen der langfristig angelegten Verkehrssicherheitskampagne „Rostock – komm gut an!“ wurde ein Verkehrsschild (60 x 60 cm) entwickelt, das auf den nötigen Abstand von 1,5 Metern hinweist. „Die Farbe grün verdeutlicht, dass es sich um ein nichtamtliches Hinweisschild handelt.“

Da Rostock vermehrt darauf setzt, den Radverkehr auf der Fahrbahn zu führen (worüber sich trefflich diskutieren lässt), will die Kampagne Radfahrer als gleichwertige Verkehrsteilnehmer darstellen. Gleichzeitig sollen Autofahrer mit den Hinweisschildern zur Einhaltung des notwendigen Sicherheitsabstandes zu Radfahrenden sensibilisiert werden.

Da die zu geringen Überholabstände kein exklusives Rostocker Problem sind, stellt es die Hansestadt Rostock anderen Kommunen frei, die Druckvorlage so oder in abgewandelter Form weiter zu verwenden. Anfragen kamen bereits aus Potsdam, Saarbrücken, München und Wiesbaden.

Zum Überholabstand gab es schon viele Ideen. Zum Beispiel hier, hier und hier. Und auch ich hatte schon meine prägenden Erlebnisse

Fotos: Hansestadt Rostock

23 Antworten auf „Überholabstand: Kampagne zum Nachmachen“

Ist das Schild aus UK importiert?

Das Auto ist, wie man am Scheinwerfer erkennt, in der Frontansicht abgebildet. Wenn beide Fahrzeuge in der gleichen Richtung fahren und dabei das Auto den Radler überholt, dann stellt das Manöver jedenfalls hierzulande einen Regelverstoß durch Rechtsüberholen dar. ;-)

Abgesehen davon sorgt das Herumreiten auf dem Überholabstand einmal mehr dafür, dass ein sicherheitstechnisch völlig unbedeutendes Problem unnötig in den Vordergrund gerückt wird. Kein Wunder, wenn die Leute dann in Umfragen antworten, dass sie sich im Mischverkehr gefährdet fühlen.

Die unterschwellige Botschaft dieses Schildes im Speziellen und des ganzen Radwegefirlefanzes im Allgemeinen lautet nämlich: „Du solltest sicherheitshalber mit dem Radfahren besser erstmal noch solange abwarten, bis dass Vater Staat in seiner allumfassenden Fürsorge dir die Überholer durch besondere Infrastruktur vom Leib halten kann.“

Einzelfälle taugen grunsaätzlich nicht zum Nachweis von allgemeinen Problemen. Ansonsten können wir hier gerne eine Battle austragen, in denen wir uns abwechselnd Überholunfälle und Radwegunfälle um die Ohren hauen und dann sehen, wem zuerst die Munition ausgeht.

Den verlinkten Artikel hatte ich bereits gesehen. Die Unfallstelle schaut aus der Vogelperspektive so aus: https://www.google.de/maps/@53.182187,9.6663609,83m/data=!3m1!1e3!5m1!1e3

Wir halten fest:
1) der Unfall fand nach Aussage der Polizei „auf Höhe der Einmündug“ statt
2) die Fahrtrichtung der beiden Fahrzeuge wurde bislang nicht veröffentlicht
3) an der Gabelung beginnt ein einseitiger Radweg

Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass das Radwegende in irgendeiner Form mit zur Entstehung des Unfalls beigetragen hat.

Nicht sicherheitsrelevant? Solange ich als überzeugter VC/LC-Radler jeden Tag 5-10x eng bis sehr eng überholt werde (teilweise mit Rückspiegelberührung), sind Überholabstände für mich wichtig. Aus der subjektiven Sicherheit wird spätestens beim Modal Split und Safety by Numbers wieder ein sicherheitsrelevantes Thema.

„Solange ich als überzeugter VC/LC-Radler jeden Tag 5-10x eng bis sehr eng überholt werde“

Wo passiert denn bitte sowas?

Kann es sein, dass du dir als „überzeugter VC-Radler“ bisweilen die Missachtung von Fahrradfirlefanz neben der Fahrbahn zu schulden kommen lässt? Bitte bei solchen Maßregelungstaten nicht Ursache und Wirkung verwecsheln.

Wer dich mit dem rechten Rückspiegel streift, der macht das jedenfalls zu 99,99999% nicht einfach aus Versehen, sondern absichtlich. Er zeigt damit, dass er sich einen feuchten Kehricht für die StVO interessiert. Wer sich trotz eindeutiger Vorschriften in § 1 und 5 StVO zu sowas legitimiert sieht, den jucken jedenfalls auch irgendwelche niedlichen Blechtafeln nicht im Geringsten.

Täglicher Arbeitsweg in Hamburg.

Falls du mit „Fahrradfirlefanz“ unbenutzbare Radwege meinst, ich fahre dort wo ich fahren darf und gesehen werde. Kläre mich gerne auf, was deiner Meinung nach Ursache und Wirkung sind.

Es ist mir komplett schleierhaft, was du mit deiner Verniedlichung von Engüberholen bewirken willst. Wird das nun besser wenn sich alle intensiv einreden, dass es statistisch gar nicht so schlimm ist?

Was spricht dagegen, über den aktuellen Stand zum Thema Überholabstände und wegen mir auch gerne zu Benutzungspflichten aufzuklären? Von mir aus kann das direkt in die StVO aufgenommen und regelmäßig kontrolliert werden woanders ist man da schon weiter.

Danke für die Bestätigung meiner Vermutung. ;-)

Engüberholen ist ganz überwiegend kalkulierte Absicht. Es ist ein Verhalten, das erst dort einreißt, wo zumindest Ansätze von Radverkehrsnetzen existieren. Die Frage der gesetzlichen Benutzungspflicht ist dabei absolut unerheblich; jede Radverkehrsanlage fungiert erfahrungsgemäß mit derselben Wahrscheinlichkeit als Trigger für „Road Rage“.

Das meine ich mit Ursache und Wirkung: ohne Radweg(/-netz in der näheren Umgebung) kein vorsätzliches Engüberholen. Immerhin zeigen die Mobber mit ihrem Trotzverhalten, dass sie dich wahrgenommen haben. Ein Zusammenstoß ist deswegen extrem unwahrscheinlich, solange du dich nicht deinerseits zu einer weiteren Eskalation hinreißen lässt (Stinkefinger zeigen, Spucken, gegen das Auto schlagen, an der nächsten Ampel zur Rede stellen…).

Anders liegt der Fall bei den seltenen echten Auffahrunfällen, wie sie durch Ablenkung und Unaufmerksamkeit entstehen können. Ablenkung und Unaufmerksamkeit sind aber nix fahrradspezifisches, sondern können auch für alle anderen Verkehrsteilnehmer (insbesondere Radwegradler!) jederzeit gefährlich werden. Die Beobachtung des Unfallgeschehens zeigt, dass jedenfalls zwischen Orten mit beklagten notorisch geringem Überholabstand und Orten von Auffahrunfällen keinerlei Korrelation besteht, denn solche Unfälle passieren typischerweise dann, wenn mindestens zwei der folgenden Risikofaktoren zusammentreffen:
-außerorts
-Verkehrsstille
-Sichtbehinderung durch Starkregen, Dunkelheit, Dämmerung oder tiefstehende Sonne in Fahrtrichtung
-Radfahrer ohne aktive Beleuchtung
-Alkoholmissbrauch bei einem der Beteiligten

Meine Beobachtung ist eine andere. Es ist sekundär, ob und welche Form der Infrastruktur in den Nebenflächen existiert. Derartige Bewertungen sind für das Gros der Autofahrer zu komplex und irrelevant, außerdem setzen sie detailliertes StVO-Wissen voraus. Was in erster Linie zählt ist die Frage, wo Radfahrer fahren. Wenn der Großteil der Radfahrer auf den Nebenflächen unterwegs ist, werden Fahrbahnradler eher als Hindernis oder Provokateure wahrgenommen. Ein kleiner Teil der Autofahrer greift dann zu Selbstjustiz, ein anderer Teil entscheidet dann situativ ob überholt oder hinterhergefahren wird.

Für mich stellt sich hier die Frage, wie wir mehr Radfahrer auf die Fahrbahn bekommen. Und genau hier fände ich es sinnvoll, wenn Selbstjustizgeschichten und Ignoranzaktionen wie Engüberholen, Schneiden und Anhupen kontrolliert und geahndet werden. Eine Verniedlichung solcher Aktionen ist für mich kontraproduktiv und die Autofahrer wissen eben nicht immer, was sie tun. Wir befinden uns in Verteilungskämpfen um Flächen und diese können eben auch über den Behördenweg bestritten werden. Das beste Beispiel hierfür ist die StVO-Novelle von 1997. Natürlich sollte zweigleisig gefahren werden und es sollte nicht gewartet werden bis der Amtsschimmel dieses oder jenes erlassen hat. Dass Radfahren trotz widriger Bedingungen boomen kann, zeigen diverse Städte, unter anderem Hamburg. Aber da geht eben noch deutlich mehr.

„Aus der subjektiven Sicherheit wird spätestens beim Modal Split und Safety by Numbers wieder ein sicherheitsrelevantes Thema“

Das ist sicher richtig. Falsch ist, dass man als Journalist, Blogger oder Stammtischteilnehmer in der öffentlichen Kommunikation über das Radfahren dazu gezwungen wäre, entgegen den Tatsachen unermüdlich die alles überragende Relevanz von Überholabständen für die Verkehrssicherheit zu betonen.

Ja, wer sich zu sehr über ungenügende Überholabstände beschwert, wird benutzungspflichtige Radwege ernten. Und die sind deutlich gefährlicher als die Fahrbahn, da man an jeder Kreuzung damit rechnen muss, „übersehen“ zu werden.

Saarbrücken hat angefragt? Das Saarbrücken, in dem ich lebe? Dann war es sicher eher der ADFC als die Straßenverkehrsbehörde :) Oder sollte sich hier wirklich jemand in öffentlicher Stelle Gedanken über Radfahrende machen? Das wäre ein vollkommen neuer Umstand im Saarland mit 2% Rädern im Verkehrsmix.

Auch wenn hier von TS die Gefahr durch Längsunfälle wieder pseudowissenschaftlich verharmlost wird, spielt sie im Alltag aber nun eben doch die bestimmende Rolle bei der alltäglichen Wahl des Verkehrsmittels – meist gegen das Fahrrad. Das belegen die Zahlen ganz eindeutig:

3/4 der Radfahrenden waren schon einmal in eine für sie kritische Situation auf Radstreifen/Schutzstreifen (bzw. auf der Straße neben sog. anderen Radwegen) verwickelt und damit just ebensoviele wie auf diesen Scherzstreifen zum Erhalt der urbanen automobilen Fortbewegung regelmäßig in die Türzone „gedrückt“ werden von Autofahrenden, die sogar zu 80% auf Überholabstände pfeifen, welche es im Übrigen überhaupt nicht gibt, da sie weder in Gesetzesform noch in Verwaltungsvorschriften festgeschrieben sind.

Das Problem bei Schutzstreifen/Radstreifen und vor allem Straßen mit sog. anderen Radwegen, also dort wo die Benutzungspflicht aufgehoben wurde ist aber nicht, dass es zu viele Längsunfälle gäbe (eine gern benutzte Irritation um vom Hauptproblem Raumverteilung abzulenken) , sondern vielmehr, dass Radfahrende genauso übersehen werden an Kreuzungen (bzw. Ein/Ausfahrten) wie neben der Straße auf den von einigen verhassten baulichen Radwegen, die vor Längsunfällen maximalen Schutz bieten, aber an Kreuzungspunkten ihre Schutzwirkung verlieren, da man sie hierzulande – mittlerweile wider besseren Wissens – nach wie vor immer maximal gefahrenträchtig anlegt. Bauliche Radwege brauchen solche Schilder nicht, wenn man sie so anlegt, dass Sie ihre Schutzwirkung maximal entfalten können.

Eine ziemlich seltsame Vorstellung von „belegen“.
Bei Ihrem Gedankengang ist genausogut möglich:
– 3/4 der Autofahrenden waren schon mal in einer kritischen Situation auf der Autobahnauffahrt/Landstrasse, etc., was eine bestimmende Rolle bei der Wahl des Verkehrsmittels habe.
oder
– ‚3/4 der Radfahrenden waren schon mal in einer kritischen Situation auf einem separaten Radweg, … ‚ was eine bestimmende Rolle bei der Wahl des Verkehrsmittels …
etc, etc.

Dass Derartiges „die bestimmende Rolle bei der alltäglichen Wahl des Verkehrsmittels“ spielt ist – Entschuldigung – kompletter Unfug.

Maßgeblich ist die Reisezeit, dann die Reisezeit, dann die Reisezeit, dann weitere Faktoren wie Bequemlichkeit, Status, Milieu, Transportkapazität, und (allerdings unter ferner liefen) die neuerdings in den Mittelpunkt geschobene ’subjektive Sicherheit‘.
Und natürlich spielt auch die Habituation eine Rolle: durch Gewohnheit kann das Primat der Reisezeit durchaus gebrochen werden, sofern dabei das gesamte Reisezeitbudget nicht überschritten wird.

Bekannt ist dabei dass eine Veränderung der Verkehrsmittelwahl am ehesten dann stattfindet, wenn sich Lebenssituationen ändern (Wohnort, Arbeisstätte, Familienstand, Gesundheitsstatus, etc.), also Gewohnheitsmuster ohnehin modifiziert werden müssen.

Natürlich gibt es parallel immer auch „den Vetter der Tochter meines Nachbarn“, der nur wegen der Angst vor der Fahrbahn jetzt mit dem Auto fährt.

Nachvollziehen kann ich allerdings ein Gefühl des ‚Unheimlichen‘ bei möglicher Gefahr von hinten. Dinge außerhalb des Blickfeldes vermitteln eher das Gefühl von Unkontrollierbarkeit der Situation.
Ähnlich (Unkontrollierbarkeit) bei Flugzeugen: Flugangst gehört zu den am weitesten verbreiteten Phobien.

Und?
Genau:
klarer Reisezeitvorteil = steigende Fluggastzahlen!

Die subjektive Flugangst spielt – ebenso wie die subjektive Radfahrangst – eine völlig untergeordnete Rolle.

„Hauptproblem Raumverteilung“?
das stimmt so nicht. Raumverteilung ist in Bezug auf Verkehrsmittelattraktivität eine abgeletete Kategorie.
Maßgeblich sind Kapazität und Reisezeit (bzw. Verkehrsleistung, Verkehrsqualität). Das kann mit der Raumverteilung zusammenhängen, muss aber nicht.
So ist z.B. durch die Anlage von separaten Radverkehrsanlagen, ohne zusätzlichen Raumgewinn für den MIV, eine Verbesserung der Reisezeit und Kapazität für den MIV i.d.R. die unmittelbare Folge.
Untersuchungen aus den USA und Kanada belegen gar, dass selbst bei Spurreduktion für den MIV und Anlage einer ‚protected bikelane‘ ein Reisezeitgewinn für den MIV erfolgt.
Wer die falschen Fragen stellt ….

Ob ich – abgesehen von der mangelnden Fahrpraxis – ein guter oder schlechter Autofahrer bin, weiß ich nicht. Ich fahr schlicht deswegen vor allem nicht Auto, weil ich mich da drin unsicher fühle, weil ich von meiner Umwelt abgekapselt bin etc. und in Sorge bin, irgendeinen Fußgänger oder Radfahrer zu erwischen. Das ist noch schlimmer als Anfahren am Berg oder auf volle Autobahnen raufmüssen oder Motor auf der Kreuzung abwürgen. Da interessiert mich meine Mortalitätswahrscheinlichkeit gar nicht. Ich fühle mich mit so viel Metall und Kunststoff um mich herum nicht wirklich sicher im Stadtverkehr.

Die Umfrage des Fahrradmonitors, der regelmäßig repräsentativ die Hinderungsgründe für die Fahrradwahl der Deutschen abfragt, subsumiert als weit wichtigsten Hauptgrund die Wegelänge (“Zu weit” 64%), nicht aber die Reisezeit (“Dauert zu lange” 34%)! Insofern ist dieser (sorry!) drollige Fingerzeig ein vermeidbares Eigentor der bestenfalls Unwissenheit offenbart, wahrscheinlicher aber eine rückwärtsgewandte Fehlinterpretation von aktuellen Diskursen ist (Die belanglosen Vergleiche zur subjektiven Sicherheit bei Autofahrenden und Flugreisenden legen eher Letzteres nahe..)

https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/Fahrrad/fahrrad-monitor-deutschland-2015.pdf?__blob=publicationFile

Trotzdem muss man aber auch darauf eingehen, weil es selbst bei Experten eine weit verbreitete Fehleinschätzung ist, zu glauben, dass man alleine bzw. mit Fokus auf Reisezeitverbesserungen, mehr NutzerInnen für das System Fahrrad (E-Bike/Sonstige Nichtverbrennungs- bzw. niedrigmotorisierte Fahrzeuge auf der Straße) gewinnen könne. Ganz so banal ist es dann in der Praxis leider doch nicht. Warum?

Wer sich mit erfolgreichen Radverkehrsförderungsstrategien vor allem in NL,DK, USA (Portland, Austin, etc.) ausgiebig beschäftigt weiß, dass weder durch die Aufhebung der Benutzungspflicht noch durch andere Formen des Mischverkehrs (oder gar VC) erhebliche Reisezeitgewinne und damit verbundene Nachfrageeffekte verbunden wären. Erfolgreiche Best Practices gibt es weder hier noch im Ausland (Ein entsprechendes Vorzeigebeispiel wäre die lang ersehnte argumentative „Cash-Cow“ der VC-Jünger, die es aber nach wie vor nicht gibt – und auch nicht geben wird!).

Zurück zur Umfrage selber: Die meisten Befragten geben das Thema Komfort bzw. Anstrengung (beide zusammen ca. 48%) als ausschlaggebende wichtige Gründe an, das Rad im Alltag nicht zu benutzen. Es ist wohl jedem einigermaßen empathisch denkenden Menschen einleuchtend, dass ein objektiv selbst ausreichend (70-80cm) überholender 40-Tonner/Doppelgelenkbus dem Komfortempfinden schon von Geübten Radfahrenden stark abträglich sind und dass Radfahrende es als puren Stress bzw. Anstrengung empfinden, wenn sie von Autofahrenden aggressiv angehupt werden, weil sie (berechtigt oder nicht!) auf der Straße fahren. Beides sind Themen, die mit dem Sicherheits-Aspekt (13%) nur ganz am Rand bis gar nichts zu tun haben. Folgerichtig ist es alles andere als „Unfug“ zu geringe Überholabstände und Strukturelle Aggression ausschließlich durch die Sicherheitsbrille zu betrachten. Mehr noch, es ist sogar außergewöhnlich fahrlässig (höflich ausgedrückt) sich darauf zu stützen, denn selbstverständlich spielt bei Befragungen, wie es der Fahrradmonitor nun mal eine ist, der menschliche Faktor eine ganz herausragende und eben auch verzerrende Rolle!

„Soziale Erwünschtheit (englisch social desirability) ist eine Antworttendenz bzw. -verzerrung bei Befragungen in Sozialwissenschaft und Marktforschung sowie psychologischen Testverfahren. Soziale Erwünschtheit liegt vor, wenn Befragte bevorzugt Antworten geben, von denen sie glauben, sie träfen eher auf soziale Zustimmung als die wahre Antwort, bei der sie soziale Ablehnung befürchten.” (Wikipedia.de)

Angst zu zeigen oder Schwäche ist weit schwieriger und deshalb einfach unüblicher als die Strategie, sich mit Ausreden (Reisezeit, Komfort, Anstrengung usw.) für die gesellschaftlich aus klimaschutzgründen sehr erwünschte Nutzung des Fahrrads als ökologisches Verkehrsmittel rechtfertigen zu müssen.“

Nicht nur Deswegen schaut man zum nachhaltigen Erkenntnisgewinn besser in Städte und Länder, wo Radfahrende per Pedes also sprichwörtlich mit den Füßen für das Rad als Alltagsverkehrsmittel abstimmen. Und auch dort gilt, nur wo wirklich markante und dauerhafte Verbesserungen erzielt werden, sind nahezu ausnahmslos Verbesserungen der Radinfrastruktur in Bezug auf Komfort und Stressvermeidung der Grund dafür, indem vor allem baulich (manchmal auch farblich) separiert wird.

Wer sich dafür interessiert, kann sich gerne dazu die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Urban Emotions“ der TH Kaiserslautern ansehen. Dort werden die alltagsmobilen Fluchtursachen auf den Punkt gebracht und Überraschung! Sie haben so gut wie nichts zu tun mit Wegelänge oder gar Reisezeit..

https://urban-emotions.ru.uni-kl.de/

Der Fahrradmonitor hat ein methodisches Problem: Er gibt bestimmte Antwortmöglichkeiten vor, spiegelt also wieder was die Verantwortlichen für möglich halten. Und selbst wenn man die Liste erweitert, bleibt weiterhin eine Unsicherheit, ob die Leute nicht dazu tendieren, bestimmte Antworten eher zu geben, weil diese ihnen z. B. sozial erwünschter erscheinen.

Bei den Antwortmöglichkeiten fehlt z. B.:
– Ich fahre aus Gewohnheit mit dem Auto
– Ich kann mir ein Auto leisten („Was soll der Nachbar denken?“)
– Ich habe ehrlicherweise das nie wirklich in Betracht gezogen
– Radfahren ist Freizeit/Sport/Was für Kinder
– Ich fahre gerne Auto
– Es könnte monsumartige Regenfälle geben

Auf Folie 35 finde ich für Arbeitsweg ähnliche Zahlen, aber nicht die genannten.

Klar kann man natürlich alles in Zweifel ziehen – wenn man mutig ist – auch die Methodik einer fraglos wissenschaftlichen und repräsentativen Studie, die sogar vom Bundesverkehrsministerium gefördert wird.

Ob das dann der eigenen Argumentation wirklich zweckdienlich ist – zumal man selbst offensichtlich keine besseren Studien zitieren kann – ist ebenso fragwürdig und man muss sich dann aber schon mindestens den Vorwurf gefallen lassen rhetorisch eher ungelenk vorzugehen.

Im Übrigen ist es falsch, dass das Phänomen der sozialen Erwünschtheit nur quanitative Studien betrifft. Seriöserweise sollte dieser bekannte Bias nicht als Totschlagargument gegen wissenschaftliche Forschung an Sich missbraucht werden, sondern als klar definierbare Verzerrung, die methodisch nicht abzustellen ist, deren Kenntnis es aber erlaubt potentiell verzerrende Antwortmöglichkeiten besser zu interpretieren.

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