Sehr interessante Neuigkeiten aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Man hat sich Gedanken über die Stadt der Zukunft gemacht und am 30. Oktober 2015 ein neues Programm ausgegeben: Neues Zusammenleben in der Stadt. Zu jeder Stadt gehört natürlich auch ihr Verkehr. Dazu heißt es in der Meldung:
Wir wollen, dass das Auto nicht mehr die dominierende Rolle im Stadtverkehr spielt. Wer Rad fährt, verbessert die Klimabilanz, vermindert die Schadstoffbelastung, benötigt deutlich weniger Fläche als der Autoverkehr und reduziert den Lärm in unseren Städten. Deshalb fördern wir den innerstädtischen Radverkehr neben den Programmen der Städtebauförderung jetzt auch über die Nationale Klimaschutzinitiative.
Das sind doch schon mal klare Aussagen, wie wir sie aus dem Verkehrsministerium eher selten hören. Im Programm gibt es dann einen Abschnitt „C. Nachhaltige Mobilität und saubere Luft„:
- Der motorisierte Individualverkehr ist hauptsächlich verantwortlich für verkehrsbedingte Emission an Schadstoffen, CO2 und Lärm in den Städten.
- Fußgänger- und Fahrradverkehr, die öffentlichen Verkehrsmittel und nachhaltiger Wirtschaftsverkehr müssen Vorrang genießen.
- Eine Stadt, in der das Auto zwar ein Verkehrsmittel unter vielen ist, aber nicht mehr eine dominante Rolle spielt, ist lebenswerter, umweltfreundlicher und schafft neue Flächen für Wohnraum und Erholung.
- Deutschland ist ein Land mit über 40 Millionen Pkw, gleichzeitig aber auch ein Land mit 80 Millionen Fahrrädern und Fußgängern. Die Kommunen sollten das berücksichtigen und die Bedingungen für den Fußgänger-, den Rad- und den öffentlichen Nahverkehr verbessern.
Das BMUB hält fünf Maßnahmen zum Erreichen der Ziele für nötig: Förderung des Radverkehrs, Förderung der E-Mobilität, Rückbau autogerechte Stadt, Weniger Tempo und Saubere Luft.
Förderung des Radverkehrs
Zur Förderung des Radverkehrs heißt es, dass dieser eine besonders wichtige Rolle spiele. Mehr Radverkehr mache unsere Städte lebenswerter. Erstmals soll ab dem kommenden Jahr der Radverkehr in größerem Umfang aus der Nationalen Klimaschutzinitiative gefördert werden. Und da wird es dann auch ein bisschen konkreter: das BMUB will eine Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur durch die Ergänzung vorhandener Radwegenetze (Lückenschluss durch Radwege, Fahrradstraßen, Radschnellwege oder Radfahr- und Schutzstreifen) und die Umgestaltung von Knotenpunkten fördern.
LED-Beleuchtung für neu errichtete Radwege
Und: LED-Beleuchtung der neu errichteten Radwege soll ebenfalls gefördert werden?! Das steht tatsächlich in dem Programm eines deutschen Bundesministeriums!
Den Fahrradanteil am Alltagsverkehr will das BMUB auch steigern. Und zwar mit diesen Maßnahmen:
- Radverkehrsanlagen in Form von Radfahrstreifen, Schutzstreifen, Fahrradstraßen oder baulich angelegten Radwegen, sofern diese als Lückenschlüsse ein bestehendes Radverkehrsnetz ergänzen,
- Radschnellwege, die zu einer Erhöhung des Radverkehrsanteils bei mittleren Distanzen (größer als 5 km) führen,
- die Umgestaltung bestehender Radverkehrsanlagen, um sie an ein erhöhtes Radverkehrsaufkommen anzupassen,
- die Umgestaltung von Knotenpunkten mit vorbildlicher Radverkehrsführung und Signalisierung zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und des Verkehrsflusses des Radverkehrs
Rückbau autogerechte Stadt
Um diese Fehler zu beheben, will das BMUB ein Programm vorbereiten, „das Städte und Gemeinden hilft, Flächen für mehr Wohnungsbau und mehr Lebensqualität in der kompakten Stadt zurück zu gewinnen“.
Weniger Tempo
Auch die Erkenntnis, dass ein geringeres Tempo des motorisierten Verkehrs positive Folgen für Luftqualität und Lärm hat, scheint sich beim BMUB durchgesetzt zu haben: „Wir unterstützen die Forderung der Verkehrsministerkonferenz, es den Kommunen leichter zu machen, „Tempo 30-Zonen“ einzurichten.“ Dabei sollte nicht flächendeckend Tempo 30 das Ziel sein, sondern die Möglichkeit, Tempo 30 situationsabhängig anzuordnen.
Mehr Tempo 30 = mehr Lebensqualität
Das hört sich doch soweit alles erstaunlich gut an. Was das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur nicht hinbekommt, will jetzt das BMUB schaffen?! Was wohl Alexander Dobrindt und das BMVI dazu sagen? Kompetenzgerangel? Oder ist man froh, dass man sich weiter auf das Auto konzentrieren kann?
Das ganze Programm „Neues Zusammenleben in der Stadt“ kann man hier lesen.
5 Antworten auf „Neues Zusammenleben in der Stadt“
Gemessen an dem, was wir sonst gewohnt sind, klingt das glatt nach einem April-Scherz. Gut, dass wir November haben.
Deine Fragen im letzten Absatz dürften die entscheidenden sein. Tatsächlich muss man sich fragen, ob die Ideen vom “richtigen“ Bundesministerium kommen. Ich kann nur hoffen, dass auch im Verkehrsministerium ein Umdenken stattfindet.
Das alte Spiel:
Good cop – bad cop. ?
Ist doch sehr praktisch. Bevor ein relevanter Teil der WählerInnen womöglich beschliesst die autozentrierte Verkehrspolitik der GroKo unakzeptabel zu finden wird gesplittet: böses Verkehrsministerium und gutes Umweltministerium.
Eins für die Industrie und die „Freie Fahrt für freie Bürger“ Zielgruppe, und eins für das WählerInnenpotential der Naturliebenden, ‚Linken‘, Ökos, Radfahrenden, Klimaschützer, etc.
So können sich dann alle gut vertreten fühlen im alternativlosen Brei der simulierten Kontroversen.
Und dass das Umweltministerium sich souverän gegen die Interessen der Deutschen Automobilindustrie durchzusetzen pflegt wissen wir ja ;-)
http://www.der-postillon.com/2015/10/reichstagsgebaude-soll-erweitert-werden.html
Wie viel Macht hat das Umweltministerium in der Regierung? Kann es sich genau so durchsetzen, wie das Umweltamt in der Lokalpolitik? Dort werden auch immer schöne Pläne geschmiedet und nach 5 oder 10 Jahren fragt man sich, was daraus geworden ist.
Trotzdem freue ich mich, dass diese „neue“ Ansichten es in der Bundespolitik geschafft haben. Hoffentlich bekommt das Papier so viel Positivresonanz, dass das Verkehrsministerium aus seinem Tiefschlaf gerissen wird.
Wie verbindlich ist das Papier denn? Hat es wenigstens selbstbindende Wirkung?
Sehr dienlich für die Radverkehrsförderung, wenn Stellplätze für Fahrräder nicht mehr vorgeschrieben wären.