Mit dem folgenden Text werde ich mich wahrscheinlich nicht überall beliebt machen und ich habe auch eine lange Nacht überlegt, ob ich ihn überhaupt veröffentlichen soll. Aber nachdem „Cars10“ am Montag mit dem folgenden Zitat von Max Planck hier im Blog kommentiert hat, habe ich mir gedacht: was Planck sagen darf, darf ich auch. ;-)
Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist. – Max Planck, Wissenschaftliche Selbstbiographie, Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig, 1948
In Ergänzung zur Generationenfrage ist mir am vergangenen Sonntag beim „Heimatabend“ von Kalla Wefel in Osnabrück wieder dasselbe Problem aufgefallen. Der Abend war überschrieben mit „Drehen wir bald alle am Rad? Oder wohin entwickelt sich die Stadt?“. Zentraler Punkt der Podiumsdiskussion war die (dauerhafte) Neumarktsperrung für den motorisierten Individualverkehr.
Erfreulicherweise befürworten mittlerweile fünf von sechs Ratsfraktionen die dauerhafte Sperrung dieser die Innenstadt durchschneidenden, vierspurigen Straße. Nur die CDU beschwört noch immer Schreckensszenarien herauf, obwohl in der provisorischen Sperrungsphase davon so gut wie nichts eingetreten ist. Gestern warnte der Fraktionsvorsitzenden Fritz Brickwedde wieder. Auf seine Inhalte muss ich gar nicht so sehr eingehen. Es war das übliche Potpourri von Erreichbarkeit über Verkehrschaos bis Umsatzeinbußen im Einzelhandel.
Was aber wieder auffiel: sieht man mal von den fünf Jungs der Jungen Union ab, erntete der CDU-Mann mit seinen Ansichten der autogerechten Innenstadt fast ausschließlich Applaus von Männern mit grauen Haaren. Das unterstreicht meine Annahme der Generationenfrage und macht mich bezüglich des demographischen Wandels wieder skeptisch, ob eine Verkwehrswende in unseren Städten möglich ist. Die Deutschen werden immer älter. Mit fortgeschrittenem Alter neigt man dazu, konservativer zu wählen. Wird dann in erster Linie Politik von der älteren Generation für die ältere Generation gemacht?
Wir können unsere Städte nicht für zehn oder fünfzehn Jahre planen. Das muss langfristiger gesehen werden!
Bei der Verkehrs- und Stadtentwicklungspolitik in unseren Städten geht es um Zukunftspolitik. Also – und bitte entschuldigt diese etwas harten Worte – also nicht gerade um Politik für dieses ältere Semester. Das hört sich hart an, ich weiß. Aber wir können unsere Städte nicht für die nächsten zehn oder fünfzehn Jahre planen, nur um einer mit dem Auto eng verbundenen Generation eine Transformation „zu ersparen“. Wir müssen weiter in die Zukunft blicken. Und mit dem Umbau endlich anfangen, der so oder so kommen muss. Je früher, desto besser. Dass deutsche Städte da einen Trend verschlafen haben, steht mittlerweile wohl außer Frage.
Was mich hoffen lässt, sind die vielen (ganz unemotionalen) Rentner auf E-Bikes und die große parteiübergreifende Einigkeit in der Neumarktfrage in Osnabrück. Das sollten die Fraktionen nutzen und weitere mutige Projekte anstoßen. Die Kinder und Enkelkinder dieser Politiker werden es ihnen danken. Und die Radfahrerinnen und Radfahrer von heute sowieso!
15 Antworten auf „Stadtentwicklung ist Zukunftspolitik“
Klar.
Und viele Junge haben auch keine Lust sich zu engagieren oder wählen zu gehen. Da haben die „Alten“ auch die Übermacht.
Ja hallo, dieser Blog wird ja immer besser! Gute Themen die letzten Tage. Da schaut man gerne rein. Weiter so.
Danke.
Hallo Daniel,
ich kann nachvollziehen, dass es dich beschäftigt hat diesen Artikel zu veröffentlichen. Aber manchmal muss man auch die unangenehmen Tatsachen aussprechen. Bei mir ist der Eindruck mittlerweile ähnlich. Wer sitzt in den Stadträten, bei Bürgerinfoabenden,… ? Meist die Generation deutlich über 50.
Das Problem ist, dass diese Generation in der automobilen Euphorie-Zeit aufgewachsen ist und nicht nachvollziehen kann wo das Problem ist. Das Leitmotiv ist immer noch „Freie Fahrt (auf vier Rädern), für freie Bürger!. Klaut mir bloss nicht meinen Parkplatz sonst geht das Abendland unter.
Ich befürchte, dass wir uns noch mindestens die nächsten 10 bis 15 Jahre damit rumschlagen müssen, bevor es in Deutschland eine ähnliche massive Trendwende wie in Kopenhagen geben wird.
Ich bin einer aus dieser älteren Generation, und ich bin weit und breit der Einzige, der ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs ist (keine Fahrprüfung, kein Auto). Du hast mit Deinem Beitrag also völlig Recht. Meine Generation will autofahren und kann nicht verzichten. Das sitzt im Kopf wie ein Virus. Leider!! Das es besser wird, wenn meine Generation ausstirbt, glaube ich aber auch nicht. Die Werbung wird auch der nächsten Generation den Kopf verdrehen.
Deine Beiträge gefallen mir übrigens ausgesprochen gut!! Danke!! Pit
Servus,
mittlerweile schaue ich auch jeden Morgen mit einer Tasse Kaffee dein Blog durch…..:) gefällt mir technisch, politisch top weiter so und danke!
Beste Grüße Sepp
Cool, danke!
Gehöre auch zur älteren Generation, aber ich kann o.g. These nicht ganz zustimmen. Ich bin in meiner Nachbarschaft auch der einzige, der alles mit dem Fahrrad verrichtet und kein Auto besitzt. Allerdings ist mein Durschschnittsnachbar um die 30, hat ein Kind und lebt in einem Haushalt mit 2 Automobilen (typische Neospießer also). Das macht mir viel mehr Sorgen als die alten Säcke….
Im übrigen hat sich die Macht der Autokonzerne z.B. durch die Steuergesetzgebung (Entfernungspauschale) tief in die Stadtplanung eingegraben. Das da wieder rauszuoperieren bedarf schon tiefgreifender Veränderungen, die ich in absehbarer Zeit nicht für möglich halte. Eher wird der Autoverkehr durch für untere Klassen nicht mehr bezahlbare Rohstoffpreise reduziert.
Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.
Planck irrt, wo er den Begriff der „wissenschaftlichen Wahrheit“ gebraucht. Man muss ihm mit Einstein antworten:
„Je mehr eine Kultur begreift, dass ihr aktuelles Weltbild eine Fiktion ist, desto höher ist ihr wissenschaftliches Niveau.“ (Albert Einstein)
Das waren noch Zeiten.
Nicht erst seit heute, siehe den Kampf der römischen Kurie gegen Galilei (musste widerrufen), gegen Giordano Bruni (wurde lebendig verbrannt) u.v.a.m., gilt die Deutungshoheit über „Wissenschaft“ als ein entscheidendes und hart umkämpftes Marketingtool für Geschäfts- oder Gesellschaftsmodelle. Siehe „wissenschaftlicher“ Marxismus oder die „wissenschaftliche“ Schule des Neoliberalismus, s. den „wissenschaftlichen“ Kampf der Tabakindustrie gegen den Nachweis der oft tödlichen gesundheitlichen Folgen des Tabakmissbrauchs, s. die von Öl- und Kohleindustrie finanzierte „wissenschaftliche“ Kampagne der Klimawandel-Leugner, usw.
Wissenschaftlich gesehen gibt es eh keine Wahrheiten, sondern nur Wahrscheinlichkeiten. Hinter einer angeblichen „wissenschaftlichen Wahrheit“ stehen nicht selten handfeste machtpolitische und wirtschaftliche Interessen.
Wichtiger noch als Wahrscheinlichkeiten, es gibt in der Wissenschaft, wie das Bonmot treffend sagt, stets nur den neuesten Stand des Irrtums. Der allerdings bildet die Wirklichkeit besser ab als der alte Stand des Irrtums.
Zum Radverkehr.
Ich beschäftige mich seit über 5 Jahren intensiv und -autodidaktisch – wissenschaftlich mit Radverkehr, incl jeweils 1/2jährigen „Voluntariaten“ beim ADFC HH und anderen (Rad-)Verkehrsorganisationen.
Vor allem bei dem Blick auf den Stand der internationalen radverkehrspolitischen Wissenschaftsadaption fällt das Dogma der deutschen „wissenschaftlich“ gestützen Radverkehrs“wahrheit“ auf.
Es ist inzwischen einmalig in der Welt.
In den Ländern mit einer vergleichbaren Fahrradkultur wie Deutschland ist es längst wissenschaftlicher und radverkehrspolitischer Mainstream, dass zur Entwicklung des Radverkehrs eine geschütze Radinfrastruktur die Vorausseztung bildet.
Inzwischen hat sich diese Sichtweise selbst in den Ländern durchgesetzt, die über keine derartige Fahrradkultur verfügen, die aber den Titel des obigen Beitrags „Stadtentwicklung ist Zukunftspolitik“ verstanden haben.
Auch in diesen, den angelsächsischen Ländern GB und USA, wird auf geschützte Radinfra gesetzt. Obwohl, und das ist das eigentlich bemerkenswerte, in beiden Ländern die Radcommunity als Erfinder und eisenharte Verfechter des „wissenschaftlich“ begründeten Mischverkehrs gelten (VC, „Vehicular Cycling“ in Deutschland bekannt als „Die Fahrbahn ist sicher“).
Aufschlussreich ist der Zeitpunkt der Umorientierung um 180°.
Sowohl in GB, das eher umgesteuert hat („Go Dutch“ schallt es unisono aus nahezu allen Radverbänden) als auch in den USA ergibt sich ein enger zeitlicher Zusammenhang mit dem Bedeutungsrückgang der nationalen Kfz-Industrien.
In den USA ist es erst letztes Jahr gelungen, die Guidelines (Strassenbau) der AASHTO (Organisation der Transportministerien der Bundesstaaten)durch die der NACTO (Guidelines Strassenbau der Städte und Kommunen)zu ersetzen.
Die AASHTO Guidelines galten als einschlägige Vorschrift, sahen aber keine geschützte Radinfra vor. Deshalb sahen sich Städtebauer und Verkeghrsplaner einem hohen Prozessrisiko ausgesetzt, wenn sie trotzdem geschützte Radinfra planten oder bauten. Hohes Prozessrisiko ist in den USA d a s Killerargument.
Den Niedergang der US-amerikanischen Kfz-Industrie, besonders den herben Imageverlust, zu dem die staatlichen Stützungsmassnahmen vor 4 Jahren führten, nutzen die Radcampaigner um US-weit die NACTO alsw verbindlich erklären zu lassen. Dies ist mittlerweile in fast allen Bundesstaaten gelungen.
(Caltrans, Kalifornisches Transportministerium)bei der öffentlichen Bekanntmachung unter dem Jubel der Verkehrsplaner und Radcampaigner:
„The very least we can do is to get out of the way.“
Nun aber auf’s Rad und zur Arbeit!
Das wird ja schon fast philosophisch!
Danke für die Infos aus den USA.
Zwischen „Die Fahrbahn ist sicher“ und „Die Fahrbahn ist sicherer als die meisten deutschen Radwege“ liegen Welten. Wahrscheinlich kann man auch sagen „In Copenhagen sind Radwege sicherer als die Fahrbahn“.
Radwege in Deutschland sind ja meist nur wegen ihrer kuriosen Gestaltung und schlechten Sichtbarkeit unsicherer als die Fahrbahn. Einen 3-4 Meter breiten Radweg im direkten Sicherlich der „normalen“ Fahrbahn wird bestimmt nicht so oft übersehen. Dieser ist bestimmt auch sicherer als das was man hier sonst als Radweg kennt und wahrscheinlich auch sicherer als die Fahrbahn.
Radweg ist nicht gleich Radweg und Fahrbahn ist nicht gleich Fahrbahn!
Es ist also immer die Frage womit man den Vergleich zieht. Ich bin konsequenter Fahrbahn-Radler, aber bei Radwegen wie in Copenhagen würde ich freiwillig, ganz ohne Benutzungspflicht, wechseln.
Auch wenn man in der jüngeren Generation als Alltagsfahrradfahrer kein Exot mehr ist, ich beobachte auch mit Erschrecken den Trend zu diesen Panzern/SUVs/Jeeps, die jetzt immer häufiger hier in Köln (!) mitten in der Stadt herumfahren und parken. Ich halte sie in der Stadt für absolut unpraktisch, es sind Benzinfresser und neben so einem fühlt man sich als Fahrradfahrer nicht sehr wohl – diese Autos werden aber beileibe nicht von alten Herren mit grauen Haaren gefahren, sondern von Leuten zwischen 30 und 50. Insofern stimme ich atze zu.
Klar, ist ein aktuelles Statussymbol…
…aber nicht mehr lange. Der Trend geht eindeutig von den Bling-Bling-Panzern (SUV & Co) zu fahrenden Festungen. Siehe http://www.sueddeutsche.de/auto/zivile-panzerfahrzeuge-wenn-die-angst-mitfaehrt-oder-die-geltungssucht-1.2522110
:-D