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Schutz- und Radfahrstreifen: verordnete Gefahr?

Als ich mir bei der Initiative clevere Städte kürzlich den Beitrag zum Parking Day durchgelesen habe, fielen mir zwei Zitate aus Gerichtsurteilen auf, die sich mit dem Abstand von RadfahrerInnen zu parkenden Autos befassen.

Ich starte mal mit einem Zitat von verkehrslexikon.de zu Schutzstreifen: „Da sich das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO auch an Radfahrer richtet, folgt hieraus eine indirekte Benutzungspflicht. Die Nichtbenutzung ist als Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot eine Ordnungswidrigkeit.“ Radfahrer müssen also auf Schutzstreifen fahren, wenn welche da sind.

Dem gegenüber stehen dann zwei Gerichtsurteile:

„Radfahrer müssen einen ausreichenden Sicherheitsabstand vom rechten Fahrbahnrand und insbesondere von parkenden Kraftfahrzeugen einhalten. Der Abstand muss so bemessen sein, dass den Radfahrer eine sich öffnende Autotür nicht in eine Gefahrensituation bringen kann. (LG Berlin, Az. 24 O 466/95)“

„Ein Radfahrer, der an einem haltenden Kfz vorbeifährt, hat grundsätzlich einen ausreichen den Sicherheitsabstand einzuhalten, weil er – sofern das Kfz nicht erkennbar unbesetzt ist – stets damit rechnen muss, dass die Fahrertür zur Fahrbahn hin geöffnet wird. (OLG Karlsruhe, Az. 10 U 283/77)“

Weiter heißt es dann bei verkehrslexikon.de unter „Seitenabstand“:

„Beim Überholen, beim Vorbeifahren an haltenden und parkenden Fahrzeugen […] müssen jeweils der vorgefundenen Verkehrssituation und den örtlichen Verhältnissen entsprechend unterschiedliche seitliche Sicherheitsabstände eingehalten werden. Insbesondere auch bei Radfahrern ist die Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstandes von äußerster Wichtigkeit. Auch bei verkehrswidrigem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer führt die Verletzung dieses Gebotes in der Regel zu einer Mithaftung des zu dicht Vorbeifahrenden.“

Radfahrerinnen und Radfahrer, die in der „Dooring“-Zone fahren und von einer sich öffnenden Autotür zu Fall gebracht werden, können also mit haftbar gemacht werden. Was bedeutet das eigentlich für die vielen Schutz- und Radfahrstreifen auf unseren Straßen, die entlang von Parkstreifen geführt werden? Sind die dann fahrlässig aufgetragen worden? Kann die Kommune dann auch haftbar gemacht werden, weil sie Radfahrerinnen und Radfahrer zwingt, hier zu fahren, wo sie doch gar nicht den gebotenen Abstand halten können?

Wie gesagt, mir ist das mal so aufgefallen. Sollte man vielleicht mal genauer drüber nachdenken…

Als Beispiel mal der Radfahrstreifen am Blumenhaller Weg in Osnabrück. Der liegt komplett in der "Dooring"-Zone. Ist es also eher ein Abstandsstreifen?
Als Beispiel mal der Radfahrstreifen am Blumenhaller Weg in Osnabrück. Der liegt komplett in der „Dooring“-Zone. Ist es also eher ein Abstandsstreifen?

Besser sieht es da an der Bremer Straße aus. Hier wurde die “Dooring”-Zone bei der Neugestaltung gleich mit eingerechnet.
Besser sieht es da an der Bremer Straße aus. Hier wurde die “Dooring”-Zone bei der Neugestaltung gleich mit eingerechnet.
Fotos: dd

19 Antworten auf „Schutz- und Radfahrstreifen: verordnete Gefahr?“

Radfahrstreifen, wie auf diesen Bildern zu sehen, müssen eine Breite von mindestens 1,85 Meter aufweisen.
Der Sicherheitstrennstreifen zu Parkplätzen muss mindestens 0,5 bis 0,75 Meter breit/schmal sein.
Außerdem müssen sie mit dem Zeichen 237 beschildert sein.
Quelle: ERA 2010

Das auf dem ersten Bild ist ein Witz. Soll das wirklich ein Radfahrstreifen sein? Sieht eher wie ein Seitenstreifen aus.

Jene ERA 2010 ist ja vor 3,4 Jahren in NRW vom Landes-Ministerien *verpflichtend* zur Anwendung vorgeschrieben worden. Heißt: Alles, was an L- oder B-Straßen passiert , *muss* der ERA entsprechen (Kreisen/Kommunen wird dies auch dringend empfohlen.

Aber glaubst du denn, das interessiert irgendwen, gerade vom Landesberieb Straßen NRW? Dieser hat just kürzlich einen Parkstreifen nebst direkt danebenliegenden Schutzstreifen in Mindestmaß *ohne* Trennung neu abmarkiert.

Dass der Autoverkehr möglichst viel Restbreite abbekommt, ist offenbar unumstößlich wichtig.

Leider sind die 1,85m nicht verpflichtend, sondern als Regelbreite vorgesehen. Die Mindestbreite beträgt 1,25m und wird leider viel zu oft bevorzugt.
Beim Abstand ist meines Wissens 0,5m als Mindestmaß verpflichtend – d.h. wenn man auf dem linken Markierungsstreifen fährt, kann man dann ganz knapp ausreichend Abstand zu den parkenden Fahrzeugen halten, sofern diese alle ordentlich geparkt sind. Ansonsten muss man quasi links des Radfahrstreifens fahren, um ausreichend Abstand zu halten – was leider extrem gehäuft Nötigungen (Hupen+extraknappes Überholen) der Autofahrenden nach sich zieht.

@ Thorsten:

Das Verkehrsministerium in NRW ist sehr an Informationen bei Verstößen gegen die ERA 2010 durch den Landesbetrieb Straßenbau interessiert. Wir vom ADFC Aachen hatten kürzlich eine nicht ERA konforme Planung gemeldet und der Landesbetrieb ist nun aufgefordert eine komplette Neuplanung vorzunehmen (der Bau stand unmittelbar bevor). Da die ERA auch in anderen Bundesländern per Erlass verbindlich eingeführt wurde (siehe hier: http://www.adfc.de/verkehr–recht/recht/stvo–co/era/empfehlungen-fuer-radverkehrsanlagen) empfehle ich dies einfach mal beim Ministerium zu melden!

Weitere Infos:
http://www.adfc-nrw.de/kreisverbaende/kv-aachen/adfc-kreisverband-aachen-ev/aktuelles-aus-aachen-und-der-staedteregion/article/sebastianusstrasse-stolberg-ministerium-stoppt-um.html

Meine Erfahrung mit diesen Streifen ist, dass der Seitenabstand der (den Radfahrer) überholenden Fahrzeuge die 1,50 Meter auch praktisch immer unterschreitet. Getreu dem Motto: Da ist ja ein weißer Strich, da kann ich mit meinem LKW/Bus einfach genau mit den rechten Rädern dran lang ballern, der Radfahrer darf diese Linie ja nicht überschreiten. Ich reg mich da regelmäßig auf, da dies vor allem in Bereichen passiert, die 2-spurig sind. Hier http://goo.gl/maps/YMxQF habe ich’s mal ‚ausgemessen‘ — würden die Radfahrer die 1,50 Meter zum parkenden Auto einhalten und die Autofahrer ebenfalls den Abstand einhalten, müsste auch hier (wie eigentlich immer zum sicheren Überholen) die Spur gewechselt werden.

Die Folge des Streifens also: Täglich tausendfaches ‚Beim Überholen ausreichenden Seitenabstand zu einem anderen Verkehrsteilnehmer nicht eingehalten‘. Du hast doch einen guten Draht zur Polizei (für die Unfall-Karte?), willst du nicht mal fragen, ob sie Zahlen haben, wie oft für diese Ordnungswidrigkeit verwarnt wird? Ich habe das Gefühl, dieser Paragraph existiert nur auf dem Papier. An dieser Stelle könnte man jedenfalls jeden Autofahrer der auf der rechten Spur fahrend einen Radfahrer überholt dafür belangen…

Ich mache da die gleichen Erfahrungen wie du.
Es gibt allerdings ein Gutachten der AGFK Baden-Württemberg, welches zum Ergebnis größere Seitenabstände und damit Sicherheitsverbesserung kommt.
http://www.agfk-bw.de/fileadmin/user_upload/Projekte/Modellprojekt_Schutzstreifen/SVK-AGFK-BW_Gutachten-Schutzstreifen_Langfassung_Web.pdf
Mangels Zeit habe ich erst etwas angefangen zu lesen. Vielleicht interessiert es ja den ein oder anderen.

Mein absolutes „Lieblingsbeispiel“ in Sachen Streifen ist immernoch folgendes in einer „fahrradfreundlichen Stadt NRW“:
https://imageshack.com/i/f515122012291j

Danke für den Link, interessante Studie! Mein Beispiel bezog sich auf eine 4-spurige Straße, mit zwei Spuren pro Richtung und sogar baulicher Trennung dazwischen. Ich konnte beim schnellen Überfliegen keine vergleichbare Straße in der Studie entdecken, fraglich ob sich das Ergebnis dort auch bestätigen würde.

@Daniel:
Klar sollte jeder AutofahrerIn bewusst sein, dass man beim Überholen einen ausreichenden Abstand einhalten muss und auch entsprechend fahren. (Folgerichtig müsste sogar beim Überholen von RadfahrerInnen auf einigen Hochbordradwegen die Fahrlinie angepasst werden (also ‚ausgeschert‘) – das macht dann aber wirklich niemand.

Ich denke mal, es ist ähnlich wie in der Studie: Kein Mittelstreifen -> es wird mit mehr Abstand überholt (solange kein Gegenverkehr); Mittelstreifen -> weniger Abstand, weil die FahrerIn sich daran orientieren, auch wenn dieser nicht durchgezogen ist.

Sprich: Ohne markierten Radfahrstreifen/Schutzstreifen würden vielleicht weniger Leute erwarten, dass man sich in die Dooring Zone quetscht?

Interessant ist auch die Bewertung, was unsicher, kritisch, bedingt sicher und sicher ist (4.1.6 – 4.1.7.2). Ob ich an Engstellen lieber jemanden habe, der mich mit 80cm Abstand überholt, oder für 150 Meter mit 3 Metern Abstand _hinter_ mir herfährt, weiß ich eigentlich nicht. ‚Halber Tacho‘-Abstand gilt wohl nur für Kraftfahrzeuge. Das wird wieder witzig im Winter, wenn man permanent auf der Fahrbahn unterwegs ist, und irgendeiner meint bei Neuschnee & 20 km/h reichen 3 Meter Abstand aus.

Manchmal frage ich mich, ob ich nur zu empfindlich bin. Ich meine, man weiß ja, dass man wenn nicht gerade Sturm oder Glatteis ist, man eigentlich doch ziemlich wenig ’schwankt‘. Aber ich denke mir dann immer: Genau der Typ, der dich gerade knapp überholt hat, führt dazu, dass andere Leute auf dem Gehweg radeln, auf den dann wieder die Fußgänger schimpfen, und die Autofahrer gleich mit, und so will ich ihn dann doch ein bisschen erziehen, wenn ich ihn an der nächsten Ampel einhole ;-)

So, jetzt habe ich eh schon viel geschrieben, also noch ein kurzes OT: Meinst du in deinem Blogroll ist noch Platz für http://dresdengegenradler.wordpress.com/ ? Dieser Blog existierte schon eine Weile, und obwohl ich mich für gewöhnlich einigermaßen gut informiert halte, hatte ich nichts davon mit gekriegt ;)

Es reicht ja schon wenn auf engen Radwegen in der Dooring Zone (höre das Wort zum ersten mal) auch noch alle paar Meter ein „tiefergelegter“ Gullideckel ist und man – ausser man will immer in das Loch stürzen – gezwungen ist am linken Rand des sowieso engen Radweges zu fahren.

Ich fahre 2mal täglich jeweils ca. 500m auf einer Hauptverkehrsstraße mit einem solchen Streifen, der natürlich ohne Abstand zu parkenden Fahrzeugen oder dem Straßenrand verläuft. Da ich mit einem Kinderanhänger fahre, benötige ich noch ein bisschen mehr Platz. Das beschert mir täglich wildes Gehupe, unfassbare Überholvorgänge und Beschimpfungen seitens meiner motorisierten Verkehrsteilnehmer_innen. Und das wegen 500m…

@ Thorsten: Die (minimal) größeren Überholabstände kommen dadurch zustande, dass Radfahrer unter Aufgabe nötiger Sicherheitsabstände zum Gehweg und zu parkenden Fahrzeugen noch weiter rechts fahren und so die Straße für die richtigen Verkehrsteilnehmer verbreitern.

Schön, dass hier mal deutlich wird, dass bei „Schutzstreifen“ im Vergleich zum „Hochbordradweg“ auch nicht alles Gold ist, was glänzt.

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