Ich lenke also bin ichIch habe es endlich geschafft, „Ich lenke, also bin ich – Bekenntnisse einer überzeugten Radfahrers“ vom Blog-Kollegen Kai Schächtele zu lesen. Kurzes Vorweg-Fazit: Hätte ich auch schreiben können. Und das ist durchweg positiv zu verstehen. Denn vieles der 38 Kapitel hat wahrscheinlich jeder von uns so oder so ähnlich durchlebt.

Angefangen bei frühester Kindheit erzählt Schächtele hier seinen Werdegang in Sachen Fahrrad. Wie die Stützräder fielen und er gleich mit. Was in seiner Jugend modelltechnisch so angesagt war und wie er es mal mit dem Radsport versucht hat.
Auch zu den alltäglichen Problemen und Diskussionen nimmt er Stellung. Eine Helmpflicht lehnt er ab („Helm oder nicht Helm – das ist hier die Plage“), rote Ampeln sieht er als Empfehlung für Radfahrer, die es nun mal nicht ausstehen können anzuhalten. Für Autofahrer hat er scherzhaftes Mitgefühl, da sie in ihren Blechkisten und im Stau gefangen sind. Auf den Straßen entdeckt er die „Nordic Biker“ und in sich selbst die Vorliebe für Fahrradschlauch-Yoga (ein Kapitel, das ich so nicht in mir wiederentdecke…).

Das Buch ist polemisch und voll von herrlichen Übertreibungen, die der Realität großzügig entlehnt sind. Natürlich trifft der Auto-Slogan „Aus Freude am Fahren“ immer noch öfter zu als Schächteles Vorschlag „Aus Freude am Rumstehen“. Aber eben nicht immer. Und diese immer öfter vorkommenden Ausnahmen werden vor allem in Städten doch irgendwie zur Regel, wenn man sie dahinbrausend vom Sattel aus beobachtet und sich beim Radfahrer das erhabene Gefühl des Lückenprivilegs einstellt.

Auch die Widersprüche hält man locker aus, vor allem weil man sie auch bei sich selbst erkennt. So erkennt der Autor an, dass „es eigentlich kein einziges vernünftiges Argument mehr [gibt], sich der Gefahr auszusetzen“, ohne Fahrradhelm zu fahren. Nur um 14 Zeilen später die eigene Unvernunft preiszugeben: „Ich kann einfach nicht Rad fahren, wenn ich dabei aussehe wie ein rollender Mistkäfer.“

So strahlt das Buch trotz der Dialektik, die in jedem von uns steckt, eine frische Glaubwürdigkeit aus. Natürlich halten wir uns dann und wann für etwas Besseres und das Auto für das schlimmstmögliche Verkehrsmittel. Und trotzdem würden wir morgens um 7 im strömenden Regen wohl doch gerne trocken in der Blechkiste sitzen. Auch hat sich Schächtele schon mal im Auto dabei erwischt, plötzlich alles anders und vor allem die Radfahrer als Feind zu sehen. Zum Glück konnte er dieses Gefühl unterdrücken, bevor es folgenschwer aus ihm herausplatzte. Viel Selbsterkenntnis, viel Ironie. Da lebt einer Fahrrad!
Insofern predigt das Buch zivilen Ungehorsam und ein wenig Fundamentalismus, macht aber gleichzeitig deutlich, dass man durchaus auch inkonsequent sein kann (und zwangsläufig immer wieder ist), ohne großartig an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Am Ende dieser 38 + einem Kapitel setzt so etwas wie Läuterung ein, die man einerseits nicht so recht glauben und andererseits dem Autor auch nicht wünschen möchte. Denn die Spießigkeit ist da nicht mehr fern. ;-)

Einzige Schwachpunkte des Buches: Bei manchen Kapiteln hat man das Gefühl, sie seien erfunden, um das Buch „rund“ zu machen. Und an einigen Stellen wirken mir die vielen blumigen Vergleiche und Metaphern zu sehr konstruiert. Das ist wahrscheinlich gewollt, aber dann und wann ein bisschen anstrengend.

Fazit: Schöne und leichte Unterhaltung für zwischendurch. Wer also in diesem Sommer noch einen Wochenendausflug macht, sollte „Ich lenke, also bin ich“ auf jeden Fall im Gepäck haben!

Ich lenke, also bin ich – Bekenntnisse einer überzeugten Radfahrers
Kai Schächtele
Taschenbuch, 224 Seiten
Juli 2012