Ein Gastbeitrag von @LaSuze7 aus Hannover.

Wer täglich mit dem Rad zur Arbeit und sonst auch wenig bis kein Auto fährt, erlebt einiges im Straßenverkehr, das Autofahrer eher nicht erleben. Das liegt vor allem an der Wahrnehmung des Verkehrs und der Umgebung: Im besten Fall ist es wunderschön, entspannend und glücklich machend, im schlimmsten Fall nervend, lebensbedrohend und wütend machend. Eins ist es aber immer: unmittelbar. Nichts schützt einen Radfahrer auf dem Rad. Wir werden nass, bekommen Sonnenbrand im Sommer, die Frisur, ach naja, egal. Für mich überwiegen aber in Hannover bisher immer die positiven Seiten. Ich bin flexibel und schnell in der Stadtmitte, komme in weniger als 30 Minuten zum Sportplatz und zurück, Einkäufe erledige ich nebenbei. Es gibt die wundervolle Eilenriede, die eigentlich immer toll ist, egal ob im Herbst, Winter, Frühling, Sommer.

Ich will damit nur sagen, dass ich gerne Rad fahre und den öffentlichen Nahverkehr nur im Ausnahmefall nutze. Ein privates Auto habe ich schon seit mehr 14 Jahren nicht mehr. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, weil ich es in der Stadt schlicht nicht brauche. Ab und zu muss ich mal dienstlich oder privat Auto fahren, aber das ist vielleicht ein oder zweimal im Jahr.

Wozu diese lange Einführung? Mir ist es wichtig zu sagen, dass man ohne Auto glücklich sein kann. Ich verdiene genug Geld, um mir eines zu kaufen, ich will aber nicht. Es ist tatsächlich möglich, ohne Auto gut zu leben. Früher hat mich das Mitleid meiner Kollegen und Freunde genervt (Oh je, du Ärmste bei Regen/Frost/Glatteis/Hitze musstest mit dem Rad fahren?), mittlerweile ist es mir egal. Ich fühle mich wohl auf dem Rad und bewege mich damit am liebsten.

Ich bin mir nicht sicher, ob Leute, die ausschließlich Auto fahren, nachempfinden können, was es bedeutet, jeden Tag im Minutentakt auf Rechte im Straßenverkehr verzichten zu müssen.

Was mir am 16. November 2018 auf dem Weg zur Arbeit passierte, ist für mich eine alltägliche Erfahrung. Ich bin mir nicht sicher, ob Leute, die ausschließlich Auto fahren, nachempfinden können, was es bedeutet, jeden Tag im Minutentakt auf Rechte im Straßenverkehr verzichten zu müssen. Selbstverständlich sind es nicht ausschließlich Autofahrer, die mich zum Aufgeben zwingen, aber es ist doch die Mehrheit. Natürlich gibt es auch unachtsame Fußgänger oder andere Radfahrer. Der Unterschied ist, dass das Auto der Stärkere ist. Aber gut, im Verkehr geht es nur gemeinsam, das ist selbstverständlich. Ich erlebe jeden Tag die unterschiedlichsten Situationen, wie vermutlich viele andere Verkehrsteilnehmer auch. Üblicherweise arrangiert man sich und versucht die Situation einfach zu lösen. Ich verzichte auf meine Rechte, mache dem Bus Platz, weiche den rasenden SUVs vor Grundschulen aus. Ich bin nicht lebensmüde.

An diesem Freitag im November jedoch war die Situation in der Kleefelder Straße für mich irgendwie anders. Ich glaube, ein Twitter-User sagte sinngemäß: Wenn man 1.000 Mal ausweicht, ist das 1.001 Mal halt Schluss. Das dürfte die Situation gut beschreiben. Der mir entgegenkommende LKW und sein Fahrer zeigten nicht den Hauch eines Entgegenkommens in einer sehr engen Nebenstraße des Zooviertels: kein Zögern beim Einfahren in die Straße, kein Gesprächsangebot während des Wartens. Obwohl er ganz offensichtlich im Unrecht war – die parkenden Autos waren auf seiner Seite der Straße – standen wir uns lange gegenüber. Die drei Herren im Führerhaus saßen bei laufendem Motor und rauchten eine Zigarette nach der anderen. Ich bedeutete ihnen rückwärts zu fahren und mir Platz zu machen. Irgendwann müssen sie die Polizei gerufen haben, denn nach 40 Minuten tauchte diese mit zwei Beamten auf. Selbstverständlich habe ich mir in der Wartezeit Gedanken darüber gemacht, was ich hier tue. Was mich das an zusätzlichen Überstunden kostet, was an Nerven. Aber ich habe dort nicht nachgeben wollen und bin nicht ausgewichen, wie ich es vorher schon hunderte Male getan habe. Letztendlich wollte ich Hilfe durch die Polizei, die Belehrung des LKW-Fahrers, die Durchsetzung meines Rechts in der Hoffnung, dass der LKW-Fahrer bei der nächsten Begegnung rücksichtsvoller gegenüber Radfahrern ist. Denn zusätzlich zu dem Hindernis auf seiner Seite befanden wir uns ja noch in einer Fahrradstraße, wo Radler Vorrang haben und nicht behindert werden dürfen. Genau darum bat ich auch die Beamten nach ihrem Erscheinen.

„Fahrradstrasse. Er will nicht warten oder ausweichen. Jetzt stehen wir Nase an Nase seit 10 min“

Was dann folgte, hat mich sehr überrascht und maßlos verärgert. Ein Beamter belehrte mich, dass ich absteigen und mein Fahrrad auf dem Gehweg schieben solle, damit der LKW-Fahrer vorbeifahren könne. Meine Einwände zu Hindernis, Recht und Fahrradstraße akzeptierte er nicht bzw. wischte sie beiseite. Im Gegenteil, er redete sich offensichtlich in Rage und ich musste mir einiges anhören, was er besser dem LKW-Fahrer gesagt hätte:

  1. Er könne es nicht fassen, dass ich so 40 Minuten den Verkehr blockieren würde.
  2. Er würde alles tun, damit ich die Kosten des Einsatzes zahlen müsse.
  3. Seine dreijährige Tochter hätte die Situation besser eingeschätzt als ich.

Die Frage, die ich mir hier stelle, ist: Wieso hat der Polizist diese Punkte nicht dem LKW-Fahrer um die Ohren gehauen, wieso war ich schuld, warum muss ich nachgeben? Man kann das beantworten wie man will, nur hat mich die fehlende Unterstützung der Polizei wirklich erschüttert. Letztendlich bedeutet das nicht nur, dass ich kein Recht bekam, es ist auch ein fatales Signal an den LKW-Fahrer, beim nächsten Mal genauso rücksichtslos sein vermeintliches Recht (des Stärkeren) durchzusetzen. Die Polizei wird ihm im Zweifelsfall schon helfen!

Der LKW-Fahrer sagte gegenüber der Polizei sinngemäß: Ich habe viele Radfahrer gesehen als ich in die Straße eingebogen bin. Aber das waren so viele, da hätte ich ewig warten müssen. Also bin ich in die Straße reingefahren.

In meiner Anwesenheit wurde der LKW-Fahrer von den Polizisten weder verwarnt noch belehrt. Das ist nach meiner Meinung das absolut falsche Signal, denn gerade für Fahrradfahrer kann es sogar lebensgefährlich sein. Denn wenn er oder sie sich darauf verlässt, dass der Andere sich auch an die Regeln hält, dann gilt hier nur noch das Recht des Stärkeren. Mit allen fatalen Folgen in der Zukunft.

Es ist nicht verwunderlich, dass wir alle eine zunehmende Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr spüren. Wenn sie aber staatlich legitimiert wird, wird sich die Gesamtsituation für schwache Teilnehmer in Zukunft nicht verbessern.

Es ist nicht verwunderlich, dass wir alle eine zunehmende Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr spüren. Wenn sie aber staatlich legitimiert wird, wird sich die Gesamtsituation für schwache Teilnehmer in Zukunft nicht verbessern. Das gilt insbesondere für die Situation in Fahrradstraßen wie der Kleefelder Straße. Wenn Radfahrer entgegen der StVO dort nicht nur keinen Vorrang haben sondern auch behindert werden dürfen, dann braucht man solche Straßen gar nicht erst einrichten. Sie verfehlen ganz einfach ihren Zweck, denn sie schützen den Radfahrer nicht, sie sind schlichtweg sinnlos.

Dass meine Aktion so ein gewaltiges Echo bei Twitter und später in den Printmedien und im Radio fand, hat mich doch überrascht. Schließlich berichte ich schon länger über meine Erlebnisse im Fahrradalltag, aber hier scheine ich einen Nerv getroffen zu haben. Mich haben die vielen positiven Beiträge zum Thema, die Unterstützungsangebote und klugen Kommentare sehr berührt und ich bin sehr dankbar dafür! Neu war für mich der direkte Kontakt zu Trollen und Fahrradfahrerhassern. Die versuche ich auszublenden, denn eine konstruktive Diskussion scheint mir nur schwer möglich, auf Twitter sogar gänzlich unmöglich. Ich hoffe, mit diesem Blogbeitrag ein paar der Fragen um meine Motivation und den Ablauf der Ereignisse beantwortet zu haben.