Lange konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich mein Rad in die niederländische Fahrradmetropole mitnehmen soll. Denn in der airbnb-Wohnung von Marieke warteten bereits zwei auf uns. Und ich hatte meiner Freundin versprochen, keinen reinen Bike-Trip draus zu machen. Aus abenteuerlichen Gesichtspunkten war die Entscheidung gegen mein Fixie und für die beiden Hollandräder vor Ort dann aber absolut richtig.
Schon auf dem Weg zur Wohnung, aus der Tram beobachtend, kam uns, vor allem meiner Freundin, der Amsterdamer Radverkehr als kleine Herausforderung vor. Regeln waren zunächst nicht ersichtlich. Aber alles war in Bewegung.
Von unserer Vermieterin haben wir dann eine kurze Einführung ins Radfahren bekommen. Allerdings bestand die zum größten Teil aus der Anleitung, wie man ein Fahrrad abschließt. Das muss man mir natürlich nicht erklären… Wichtig seien dann noch Lichter, bei uns in Form von Anstecklichtern, und der Tabu-Bereich Fußgängerzone. Das war’s dann aber auch. Wir sollten einfach „den Anderen“ hinterher fahren.
Alle Klischees über Amsterdam und den Radverkehr scheinen zu stimmen…
Das wollten wir dann Dienstag ausprobieren. Die Räder waren zu unserer Überraschung genauso spartanisch wie die Einführung von Marieke. Die fehlenden Handbremsen waren da die größte Befürchtung. Ein starrer Gang ist doch was anderes als eine Rücktrittbremse. Und wann bin ich überhaupt das letzte Mal mit einer gefahren? Die dazu auch noch sehr indirekt reagiert? Opulent an den beiden alten typischen Hollandrädern waren denn auch nur die Federung des Sattels und der überbreite Lenker, mit dem man sich in engen Kurven blaue Flecke an den Oberschenkeln holt.
Um den Zustand ihrer Fietsen kümmern sich die Amsterdamer augenscheinlich wenig. Hier ist das Fahrrad schon Hauptverkehrsmittel, das einfach nur funktionieren muss. Da sind Rostlauben unterwegs, die bei uns schon lange auf dem Müll liegen würden. Eitelkeiten interessieren hier nicht. Hauptsache es fährt!
Aber zurück auf die Straße. Zu meiner Überraschung gibt es in Amsterdam sehr viele Radwege, obwohl die Wissenschaft doch mittlerweile sagt, dass es auf der Fahrbahn sicherer ist. Was aber deutlich für die Amsterdamer Radwege spricht, ist ihre Durchgängigkeit und das klare Konzept. Man steht so gut wie nie vor der Frage, wo es weitergeht. Das Radwegenetz erklärt sich von selbst, die Radwege sind rötlich und glatt asphaltiert. Dazu gibt es kein Auf und Ab an Querstraßen. Komfortables Fahren ist so garantiert. Und dort wo es keine Radwege gibt und die Radfahrer die Fahrbahn nutzen, wird das Tempo des motorisierten Verkehrs meist durch bauliche Maßnahmen niedrig gehalten. Einspurig natürlich, denn es gibt auch noch eine Tram. Sowieso ist mir in den drei Tagen keine zweispurige Straße aufgefallen. Undenkbar in deutschen Städten.
All das, was einem bei uns negativ auffällt, wurde hier bereits positiv umgesetzt. Radwege sind gleichmäßig, das Tempo des motorisierten Verkehrs niedrig…
Fragezeichen hatten wir denn auch nur an Zebrastreifen. Was genau die Regeln hier besagen, wurde nicht so wirklich klar. Vermutlich haben Fußgänger dort ein Vorrecht. Das aber bringt mich gleich zum nächsten „Gesetz“ des Amsterdamer Verkehrs: wer fährt, der fährt. Und lässt sich von (fast) nichts aufhalten. Denn wenn es das Freezing-Phänomen nicht gibt, muss keiner warten. „Rechts vor links“ wird selten praktiziert. Jede noch so kleine Lücke im Querverkehr wird genutzt, um noch schnell durchzuhuschen. Und das funktioniert. Die Radfahrer scheinen die Wege der anderen vorauszuberechnen und ihren eigenen Weg in die Umwelt einzuplanen. Heraus kommt ein ziemlich effektives Gewimmel, bei dem selten jemand richtig bremsen oder gar anhalten muss.
Amsterdam – hier ist immer Critical Mass…
Und so haben auch wir uns recht schnell im Amsterdamer Radverkehr zurechtgefunden. Irritierend waren dann nur noch die zahlreichen Motorroller auf den Radwegen. Die dürfen da nämlich anscheinend fahren. Sogar ohne Helm. Darüber sollten mal insbesondere die Leute nachdenken, die bei uns in Deutschland ständig nach einer Helmpflicht für Radfahrer rufen.
Förderlich für den Radverkehr ist darüber hinaus wahrscheinlich die bloße Tatsache, dass bereits unheimlich viele Menschen mit dem Rad unterwegs sind. Sie sind immer präsent und nicht mehr zu übersehen. Rechtsabbiegende Autofahrer haben dann oft das Nachsehen, wenn sie eine komplette Grünphase lang von geradeaus fahrenden Radlern aufgehalten werden. Daraus haben offensichtlich schon viele gelernt. Ich habe noch nie eine Großstadt mit so wenig motorisiertem Verkehr gesehen. Und der, der noch da ist, sieht die Sache recht gelassen. Kein Hupen, keine wilden Manöver. Man weiß halt, dass man in einer Fahrradstadt unterwegs ist und selber auch umsteigen könnte.
In Deutschland ärgert sich der Autofahrer im Stau über eine fehlende zweite Spur. In Amsterdam ärgert sich der Autofahrer über sich selbst, weil er nicht das Fahrrad genommen hat.
Einen Nachteil hat die Masse an Fahrrädern allerdings. Es gibt zu wenige Anschließmöglichkeiten. Aber dafür kann man sein Rad recht „liberal“ abstellen. Sie stehen praktisch überall und kaum einer stört sich dran. Es gibt sogar kleine, zu Abstellanlagen umgebaute Wohnungen, Fietsenstalling. Da steht das Rad dann gegen Gebühr auch über Nacht sicher.
Insgesamt bin ich von der Amsterdamer Radverkehrsinfrastruktur schwer begeistert, wie von der ganzen Stadt auch. Die verschiedenen Verkehrsteilnehmer scheinen generell mehr Rücksicht aufeinander zu nehmen. Jetzt kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass wir da noch sehr viel lernen können. Und die Situation in Osnabrück kommt mir jetzt noch schlimmer vor…
Fotos: dd
9 Antworten auf „Mit dem Fiets durch Amsterdam“
Hallo Daniel, als Holländer habe ich schon öfter in meinen Kommentaren darauf hingewiesen, dass es durchaus sehr gute Möglichkeiten gibt, mit separaten Radwegen eine gut funktionierende und sichere Rad-Infrastruktur zu gestalten. Jetzt hast du es selbst festgestellt. Wichtig dabei ist -wie du schon gemerkt hast- die Konsequenz der Umsetzung und die Umsetzung vieler kleinen und großen Details.
Die guten Radwege und die Gestaltung der Kreuzungen sind der Grund dafür, dass sich jeder -ja, z.B. auch meine Mutter mit 77- aufs Rad schwingt. Und wenn mehr Leute aufm Rad unterwegs sind, werden sie vom Autoverkehr respektiert.
Da es in Deutschland leider in den meisten Kommunen keine Bereitschaft gibt, solche Lösungen konsequent unzusetzen (noch abgesehen von der Bereitschaft dafür ausreichend Geld in die Hand zu nehmen) muss man oftmals selbst entscheiden, ob die Straße das kleinere Übel ist als der sogenannte „Radweg“.
Ja, in Amsterdam wirkt es so, als hätte man die Bürger irgendwann vor vollendete Tatsachen gestellt. Und sie haben es hervorragend angenommen und wörtlich das Beste draus gemacht!
Ich war letztes Jahr in den Niederlanden unterwegs, ein Trip von Amsterdam über Groeningen nach Hamburg. Der Kontrast zwischen den beiden Endpunkten könnte nicht größer sein. Wie du schon geschrieben hast ist es eine ganz andere Erfahrung in den Niederlanden mit dem Rad unterwegs zu sein, besonders auch in Amsterdam. Es gibt zwar eine gewisse Eingewöhnungsphase (plötzlich ist man als Radfahrer ja nicht mehr die Ausnahme sondern die Regel) und ein paar Sachen sind auch nicht nur positiv aufgefallen (zum Beispiel die Unsitte, Radwege mit wenn auch flachem Kopfsteinpflaster zu versehen), aber im Großen und Ganzen ist das eine andere Welt.
Im englischsprachigen Raum, insbesondere in England, hat sich die Radbewegung ja die Niederlande als Vorbild auserkoren (Stichwort “Go Dutch”), sehr interessant find ich in dem Zusammenhang den Blog von David Hembrew ( http://www.aviewfromthecyclepath.com/ )
Hi,
danke. Schau ich bei Gelegenheit mal rein!
Schöner Artikel! Zu den Rollern kann ich (obwohl das nur ein Nebenaspekt in Deinem Text war) sagen, dass Roller/Mofas, die auf 25 km/h gedrosselt sind, blau-weiße Versicherungskennzeichen haben und die Radwege benutzen dürfen, ohne Helmpflicht. Roller/Mopeds, die bis zu 45 km/h schaffen, haben schwarz-gelbe Kennzeichen, dürfen nicht auf Radwegen fahren und die Fahrer müssen Helm tragen.
Ah okay. Das ist die Erklärung.
Leider sind die meisten Mofas stark frisiert, so dass die teilweise mit über 50km/h an einem vorbei rasen. Wirklich extrem nervig und gefährlich.
Eine Holländerin hat uns mal erklärt, dass es eigentlich eine Helmpflicht gibt, aber die Holländer bei dem „Brumfietsen“ das erstmal selber entscheiden und dann eventuell einen Helm auftun – was aber nicht die Regel ist ;-9
Und Mofas frisieren ist noch aktuell in Holland (hier ist es über 20 Jahre her ..)
^^