Die Jugend wird ungeduldig. Fridays for Future Osnabrück richtet sich in einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Wolfgang Griesert und fordert sowohl kurz- als auch langfristige Maßnahmen für mehr Sicherheit für Radfahrende. Pop-up-Radwege sollen als Platzhalter für dringend benötigte und dauerhaft sichere Radwege eingerichtet werden.
Sie haben den richtigen Adressaten gewählt. Von Griesert, der das Fahrrad für „oberbürgermeisterberufsalltagsinkompatibel“ hält, kam bisher kaum etwas in Bezug auf moderne Mobilität. Unter ihm wirbt Osnabrück auf der eigenen Webseite weiterhin als autofreundliche Stadt. In Sachen Zukunft, und darum geht es Fridays for Future, wirkt er eher wie eine Bremse. In die Pedale tritt er höchstens mal verbal. Ich bin gespannt auf seine Reaktion.
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Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Griesert,
dem Klimaschutzbericht unserer Stadt ist zu entnehmen, dass sich die CO2-Emissionen des städtischen Verkehrs seit 1990 um 11% erhöht haben. Das eigentliche Ziel, das erreicht werden soll, nämlich eine Reduktion um 40% bis 2030, wirkt vor diesem Hintergrund sehr unrealistisch! Wir brauchen jetzt sofort wirksame Schritte hin zu einer Verkehrswende in dieser Stadt und eine Abkehr von der autofreundlichen Politik der letzten Jahrzehnte. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist es, das Fahrradfahren attraktiver zu machen durch mehr breite und sichere Radwege.
Wer es mit der Verkehrswende wirklich ernst meint, muss mehr tun, als gelegentlich den ökologischen Zeitgeist mit ein wenig unverbindlicher Symbolpolitik zu streicheln. Er muss im Rat konsequente Entscheidungen treffen, die ihm so mancher Autofahrende sicherlich nicht so schnell verzeihen wird. Ob zum Beispiel die Osnabrücker CDU, die zuletzt bisweilen den Eindruck erweckte, grüner sein zu wollen als die Grünen, dazu tatsächlich bereit sein wird? Das muss sich erst noch zeigen. – Jörg Sanders, NOZ Kommentar “Osnabrücker Radler brauchen gute Radwege, keine Pop-up-Bike-Lanes” vom 12.06.2020
Für uns steht fest: Auf lange Sicht müssen gut ausgebaute Radwege her, die auch zwangsläufig Teile des heutigen Verkehrsraums des motorisierten Individualverkehrs belegen werden – Pop-Up-Bikelanes sind somit nicht die Lösung. Sie sind etwas, das jetzt passiert und direkt einen Vorteil für die Menschen bringt. Sie sind Platzhalter, an deren Stelle später etwas Dauerhaftes entstehen kann. Und sie bieten einen Erfahrungsraum, in dem sowohl Auto- als auch Fahrradfahrende an einigen Stellen in der Stadt einen Vorgeschmack auf das bekommen, was sie bald in ganz Osnabrück erwarten könnte. Niemand wird sich von Heute auf Morgen an geänderte Straßenführungen gewöhnen, das ist völlig normal. Doch es muss ein Anfang geschaffen werden!
Auf eine Anfrage von Fridays For Future zur Genehmigung von Pop-Up-Bikelanes als Aktivismusform in Osnabrück kam vonseiten der Stadt folgende Antwort zurück: „nach Rücksprache mit meinem Kollegen lehnen wir die Einrichtung einer Pop-Up-Bikelane aus Gründen der Verkehrssicherheit in der Stadt Osnabrück ab“. Doch was heißt Verkehrssicherheit für die Stadt Osnabrück eigentlich?!
Seit dem Jahr 2000 gab es 30 getötete Radfahrende auf Osnabrücks Straßen, zuletzt im Januar eine 18-Jährige, die auf der Pagenstecher Straße von einem Lastwagen getötet wurde – auch dort nur ein zu schmaler Radweg.
Hätte die Stadt Osnabrück ein tatsächliches Interesse daran, die Sicherheit auf ihren Straßen zu erhöhen, so wäre sie mit uns eine Kooperation zur Installation provisorischer Radwege mit professioneller Unterstützung eingegangen. Damit verliert das einzig vorstellbare Argument – die vermeintliche Unsicherheit von Pop-Up-Bikelanes, die durch engagierte Bürgerinnen und Bürger ohne verkehrsplanerische Ausbildung installiert wurden – seine gesamte Schlagkraft.
Und die Stadt Osnabrück verliert die Glaubwürdigkeit in ihrem Willen, ihrer Verpflichtung laut Grundgesetz, “Das Recht auf Leben und gegen Verletzungen (…) zu schützen”, gerecht zu werden. Stadtbaurat Frank Otte, 2015 in einem NOZ-Interview:
Woher stammen die Diskrepanzen zwischen Autofahrenden und Radfahrenden? Die Stimmung [zwischen Auto- und Radfahrenden] ist teilweise gereizt. Das liegt an der Raumverteilung und am Selbstverständnis der Autofahrenden, die lange bevorzugt wurden. Wir wollen Radfahrenden aber mehr Fläche zur Verfügung stellen. In der weiteren Entwicklung geht es darum, den motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen Raum zu nehmen. Anders geht es nicht. Dabei geht es nicht darum, Autofahrende aus der Stadt zu verdrängen. Aber es gibt viele Autofahrten in der Stadt, die nicht nötig sind und mit dem Rad oder ÖPNV möglich sind. Daran müssen wir arbeiten.
Seitdem hat sich, wie wir wissen, kaum etwas geändert.
Herr Wolfgang Griesert, wir fordern von Ihnen, dass Sie der Stadtverwaltung den Handlungsspielraum geben, die lebensrettenden Vorschläge, die seit Jahren existieren, endlich umzusetzen!
Es ist uns wichtig, dass auch die Osnabrücker Öffentlichkeit von unserem Anliegen erfährt. Daher erlauben wir uns, diesen Brief ebenfalls an die lokale Presse weiterzuleiten.
Freundliche Grüße
Fridays For Future Osnabrück
Foto: Marion Tiemann
5 Antworten auf „Fridays For Future fordert Verkehrswende und Abkehr von autofreundlicher Politik“
OB Griesert wegen Radverkehr anzusprechen ist das selbe wie im Vatikan wegen der gleichgeschlechtlichen Ehe nachzufragen…..
Damit könnten Sie durch aus recht haben!
Doch haben wir nun die Situation,
dass der OB die getöteten relativiert muss und damit für einen Skandal sorgt oder ob es seine Position als OB riskiert, weil er trotz der getöteten nicht handelt.
Er muss etwas unternehmen, sonst wird er eine sehr schwere Zeit mit FFF-OS haben :)
Uwe: ROFL! Trifft es ziemlich genau!
Tja, der Trend scheint nunmal sehr eindeutig zu sein:
– höhere Radwegeanzahl
– höherer ‚Radverkehrsanteil‘
– höhere Autodichte
– höhere Autofahrleistung
Was das ‚Gegenmittel‘ von NOCH mehr Radwegen bewirkt lässt sich beim ‚Vorbild Niederlande‘ ja seit Jahren beobachten:
– noch mehr Radwege
– noch mehr Autos
– noch schlechtere Umweltbilanz
Aber egal:
Hauptache keine ‚Verbotspolitik‘ gegen das Auto! Stattdessen lieber CSU-konform mehr Radwegelchen mit ideologischem (Pseudo-)Fundament von ‚lets go dutch’bauen?
Mit VIEL Glück kann vielleicht zumindest an einigen Stellen das Instrument ‚Bikelane auf der Fahrbahn‘ so eingesetzt werden, dass die Kapazitäten für den MIV tatsächlich sinken, was dann natürlich auch im Sinne von Umwelt- und Klimaschutz wirken kann.
Realistisch allerdings:
dort wo es dem Autoverkehr nicht schadet wird mit großem Tamtam eine ‚protected bikelane‘, ne separierende ‚Veloroute‘, xyz, …, gebaut, die Radentscheide frohlocken, während parallel – wie theoretisch und nach bestehender Empirie nicht anders zu erwarten – der Autoverkehr verstärkt ansteigt, was dann irrsinnigerweise in der ‚Radwegebubble‘ auch noch als erstaunlich befunden wird, wenn es dort beim vorherrschenden ‚Hauptsache Radweg‘ überhaupt noch von Interesse ist.
| eine 18-Jährige, die auf der Pagenstecher Straße von einem
| Lastwagen getötet wurde – auch dort nur ein zu schmaler
| Radweg.
Eine Radfahrer wird auf einem und wegen des Radwegs getötet – also brauchen wir mehr davon. Tolle, zynische Logik.
Und nein, es ist nicht die Breite des Radwegs. Wer das behauptet, hat etwas Grundsätzliches nicht verstanden. Der Pop-Up-Radweg in Berlin, auf dem kürzlich eine Radfahrerin vom LKW zerquetscht wurde, ist 2,70 m breit:
https://www.morgenpost.de/berlin/polizeibericht/article229247390/Radfahrerin-von-Betonmischer-ueberrollt-Mahnwache-am-Donnerstag.html
Weiter unten in dem Artikel sind die anderen bislang sieben tödlichen Radunfälle in Berlin des laufenden Jahres aufgelistet. Machen wir mal den Realitätscheck: wie viele dieser acht Unfälle wären vermutlich nicht passiert, wenn Berlin an jeder Straße einen Radweg hätte?
Ich komme auf … null. Radwege hätten keinen einzigen acht Unfällt vermieden! Ein Radfahrer wurde von einem schleudernden BMW erfaßt, dessen Fahrer in der T30-Straße(!) die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Den hätten ein paar Plastikstäbchen oder ein Bordstein nicht aufgehalten. Zwei weitere Unfälle waren Alleinunfälle. Die anderen fünf Unfälle sind auf und *wegen* Radwegen geschehen. Jedesmal der Klassiker: rechtsabbiegender Kraftfahrer tötet Radfahrer auf dem Radweg. Und für die Schlaumeier, die meinen, man solle sich seinen Vorrang nicht erwzingen und die jungen, männlichen Kampfradler seien selbst schuld und mit etwas aufpassen würde nichts passieren: vier der fünf Opfer waren Frauen, meist ältere Jahrgänge. Das ist nicht gerade eine Gruppe, die man mit schnellen Radfahrern assoziiert.
Der OB hat also völlig recht, wenn er so ein Massaker in seiner Stadt nicht haben will.