Ein Gastbeitrag von Thomas Berger*
Sind Radfahrer Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse? Diesen Eindruck muss man in Deutschland an vielen Stellen haben – nämlich überall dort, wo die zuständigen Straßenverkehrsbehörden das Verkehrszeichen 254 (Verbot für Radfahrer) verwenden.
Im März 2014 fiel mir eine geänderte Beschilderung der Stadt Eschweiler an der Rue de Wattrelos (L 238) auf. In der Folge nahm ich Kontakt mit der Stadt Eschweiler auf und hinterfragte die Beweggründe für die Änderung. Ich hatte mich in der Vergangenheit nämlich schon häufiger bei Touren durch Deutschland darüber geärgert, dass immer häufiger das VZ 254 an Landes- und Bundesstraßen verwendet wird. Zumeist fehlt eine alternative Routenführung gänzlich oder sie besteht häufig aus Wegen minderer Qualität. In vielen Fällen sind diese nicht für alle Fahrradtypen, wie z. B. Rennräder, Tandems, Reiseräder, Lastenräder oder Räder mit Anhänger befahrbar. Die Ausweichrouten sind schmal und weisen eine mangelhafte Oberflächenqualität, unnötige Höhenmetern und weite Umwege auf.
So auch im Fall der Rue de Wattrelos. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der Landesstraße ist auf 70 km/h beschränkt, sie hat relativ breite Fahrspuren und weist einen geradlinigen Verlauf auf. Nach den Daten des Landesbetriebs Straßenbau NRW ergab die Verkehrszählung im Jahr 2010 in diesem Bereich eine durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke (DTV) von 14.741 Kfz mit einem durchschnittlichen Schwerlastanteil von 998 Kfz pro Tag. Diese Zahlen wurden auch bei der Verkehrszählung im Jahr 2015 bestätigt (DTV von 14.826 Kfz). Und trotzdem gilt zwischen der Autobahnauffahrt Eschweiler-West bis zur Alsdorfer Straße in beiden Fahrtrichtungen ein Verbot für Radfahrer.
Begründet wurde die verkehrsrechtliche Anordnung folgendermaßen: „Durch die Änderung/Anpassung zur Optimierung des Lichtsignalprogramms am Knoten L 238 Anschlussstelle A4 Nord/Wardener Straße wird der Radverkehr anstatt entlang der L 238 nun über die Wardener Straße geführt. Hierdurch wird die Grünphase für den Fahrzeugverkehr optimiert“.
Die Begründung war also eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Verkehrsknotens für Kraftfahrzeuge. Sicherheitsbelange für Radfahrer spielten demnach keine Rolle. Radfahrer sollten über eine andere Straße bzw. einen geschotterten Feldweg geleitet werden.
Die Änderung des Lichtsignalprogramms wurde durch ein externes Planungsbüro für die Stadt Eschweiler erarbeitet und in der Unfallkommission unter Beteiligung der Polizei abgestimmt. Im Rahmen der verkehrsrechtlichen Anordnung wurde auch eine Umleitungsroute für Radfahrer geplant, welche jedoch nie realisiert wurde. Bis auf ein einzelnes VZ 442 mit Radfahrsymbol (Umleitung für bestimmte Verkehrsarten) aus Richtung Eschweiler fehlte jegliche Kennzeichnung. Radfahrer mussten also schauen, wo sie bleiben, wenn sie über keine Ortskenntnis verfügten.
Ich wollte diese Einschränkung des Radverkehrs nicht einfach so hinnehmen. Denn gemäß § 45 StVO (9) sind „Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen … nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist.“ Im Folgenden wird dies weiter ausgeführt. Es „dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.“
Zunächst einmal: Radverkehr ist auch fließender Verkehr! Nach einem intensiven aber fruchtlosen Austausch mit der Straßenverkehrsbehörde der Stadt Eschweiler über die Rechtmäßigkeit der Beschilderung entschied ich mich im Juli 2014 dafür, Klage einzureichen. Im April 2018 erging dann das erfreuliche Urteil:
„Die verkehrsrechtliche Anordnung des Verbots für Radfahrer mit den Verkehrszeichen 254 an der Rue de Wattrelos in Eschweiler (L 238) in dem Teilstück zwischen der Kreuzung Wardener Straße/Auffahrt BAB 4 (Knotenpunkt 24) und der Kreuzung Alsdorfer Straße/Auf dem Felde für beide Fahrtrichtungen wird aufgehoben.“
In der ausführlichen Urteilsbegründung wird erläutert, dass die Anordnung des VZ 254 ermessensfehlerhaft erfolgte, da keine ausreichende Abwägung erfolgte. Insbesondere wurde nicht geprüft:
- ob die angeordnete Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet ist,
- ob kein milderes gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht,
- und ob die Beklagte die betroffenen bzw. widerstreitenden Interessen der verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern unter Berücksichtigung der relevanten örtlichen Gegebenheiten gegeneinander abgewogen und die Konfliktlage für die betroffenen Verkehrsteilnehmer zumutbar aufgelöst hat.
Insbesondere die fehlende alternative Routenführung für die vom Verbot betroffenen Verkehrsteilnehmer wurde gerügt.
Nachdem die Revisionsfrist im Mai 2018 abgelaufen war, ging ich davon aus, dass die Stadt Eschweiler das Urteil akzeptiert und zeitnah das VZ 254 demontiert. Doch trotz einer schriftlichen Anfrage im Juni 2018 war die Stadt nicht gewillt das Verkehrsschild abzunehmen. Erst nachdem mit anwaltlicher Hilfe eine Vollstreckungsandrohung an die Stadt geschickt wurde, erfolgte die Demontage des Schildes Mitte September 2018.
Fazit: Recht haben und Recht bekommen ist insbesondere im Straßenverkehr eine langwierige und nervenaufreibende Sache. Es hat insgesamt fünf Jahre von der Aufstellung des VZ 254 durch die Stadt Eschweiler bis zur Demontage des rechtswidrig angebrachten Verkehrsschildes im September 2018 gedauert. Hoffentlich werden Straßenverkehrsbehörden zukünftig eher einsehen, dass einseitige Verkehrsverbote gegen Radfahrer hohen Hürden unterworfen sind und das vorliegende Urteil des VG Aachen bei ihrem Entscheidungsprozess berücksichtigen.
Darüber hinaus sollten sich aber auch Kommunen genau überlegen, ob die Fokussierung auf den Autoverkehr noch zeitgemäß ist, ob man den Radverkehr weiterhin durch Verbote einschränken sollte. Ein positiver Ansatz – zum Beispiel der Bau sicherer Infrastruktur – wäre hier der richtige Weg.
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* Der Autor möchte aus beruflichen Gründen anonym bleiben. Sein Name ist mir aber bekannt.
12 Antworten auf „Verbot für Radfahrer – eine kostengünstige Alternative zu sicherer Fahrradinfrastruktur?“
Es steht oben ein Autorname. Ist dieser gefälscht oder ist bei der Anonymisierung etwas falsch gelaufen?
Das ist nicht der echte Name.
Bravo! Herzlichen Dank für die Beharrlichkeit! Tut echt gut, dieses Urteil und seine Begründung zu lesen. Schade natürlich, dass man hier erst mit Androhung rechtlicher Schritte zur tatsächlichen Aufhebung des Verbots kam, aber immerhin…
Es gibt das gleiche Problem mit der leidigen Radwegebenutzungspflicht. Ab 1934 war sie „allgemein“, seit 1998 ist sie es nicht mehr, aber sehr oft wird u.a. mit dem Vz 237 eine Benutzungspflicht angeordnet, die nicht erforderlich ist.
Ich habe bei mir auf dem Arbeitsweg auf einem ganz kurzen Teilstück eine Benutzungspflicht, natürlich genau an einer Bushaltestelle, also mit maximaler Konfliktmöglichkeit zwischen Fahrgästen und Radfahrern. Ergebnis meines Einspruchs: Das Schild wurde dort eigentlich schon vor vier Jahren abgeordnet! Meine Bitte um schnellen Vollzug wurde nun mit ständig wechselnden Ausreden um ein Jahr verzögert. Wenn bis zum 1. April nichts passiert ist, klage ich.
Es müßten sich einfach noch viel mehr Radfahrer hinsetzen und die Geduld und den Fleiß aufbringen, formlose (aber begründete) Einsprüche gegen diese fahrradfeindlichen Anordnungen einzulegen. Und bei Ablehnung oder Vollzugsverzögerung muß man ggf. auch klagen.
Auch von meiner Seite vielen Dank für die Langmut des Autors. Mit solch einer Begründung (Ampelschaltung nicht angepasst) ist hier von Seiten der Stadt Paderborn auch vor ein paar Jahren ein VZ 254 aufgestellt worden, das ein kurzes Teilstück einer ansonsten radwegfreien Einfallstraße Straße völlig unnötig für Radverkehr sperrt. Den Klageweg zu beschreiten wäre hier vllt. auch die letzte Lösung.
Auch von mir vielen Dank dafür, dass du das durchgezogen hast! Bezeichnend und entmutigend ist jedoch, dass dieses Unrecht über 5 Jahre lang Bestand hatte.
Ich muss wegen einer Sperrung mit Z 254 auch seit über einem Jahr unzähligen Leuten auf die Nerven gehen, weil der (wenigstens asphaltierte) Ausweichweg im Winter nicht geräumt und gestreut wird.
Auf dieser Straße sollte man allein bauartbedingt kein Fahrrad fahren dürfen. Durch ihre Aktion leiten sie weniger erfahrene Radfahrer zu dem Schluss diese Strecke wäre eine gute Wahl zum Rad fahren, und bringen sie damit in Lebensgefahr.
Jenen Feldweg würde ich nicht als Straße bezeichnen. Auch wenn es dort eine erhöhte Sturzgefahr (insbesondere für Liegerad- und Rennradfahrer) geben, halte den Begriff „Lebensgefahr“ für übertrieben.
Was ist an dieser Straße bauartbedingt anders als an anderen Bundesstraßen, dass ein Verbot gerechtfertigt wäre?
Je mehr Radfahrer auf Straßen präsent sind, umso mehr rechnen auch Autofahrer mit ihnen und gewöhnen sich an sie. Da, wo Radfahrer verbannt werden, gewöhnen sich Autofahrer an ein angebliches „natürliches Vorrecht“, was erst recht zu Lebensgefahr führt, falls doch mal Radfahrer den Weg kreuzen.
Sie haben Recht Anton, gerade im Winter, wo diese Straße nicht geräumt wird oder bei Regen und Matsch ist diese Strecke nicht zu empfehlen. Auch sind die ganzen Schlaglöcher bauartbedingt Gift für jedes Fahrrad.
Auch bei normalen Wetterverhältnissen müsste ein Rad, welches ohnehin langsamer als ein Auto ist, auf dieser Straße noch langsamer fahren, weil sie nicht asphaltiert ist. Wahrscheinlich ist die Ausweichstrecke auch noch länger.
Derartige Einschränkungen für das ökologische bessere und gesündere Verkehrsmittel sind absurd, das sehe ich genauso. Von Lebensgefahr würde ich, wie mein Vorredner, jedoch auch nicht reden. So schnell kommt man nicht um, wenn man auf einem Feldweg stürzt.
Die Tendenz zur ‚Autobahnisierung‘ unseres ehemals ‚allgemeinen‘ Strassennetzes setzt sich immer mehr durch.
So lobenswert und hilfreich das bürgerschaftliche Engagement im Rahmen solcher juristischer Auseinandersetzungen ist, so bleibt es wohl auf absehbare Zeit ein Kampf gegen Windmühlen.
Immer mehr Bundesstrassen werden gesperrt, bisweilen sogar schon Landstrassen, und nach wie vor werden allerorten bei nahezu jedem Radwegebau Fahrbahnverbote via Benutzungspflicht ausgesprochen.
Die ‚dunkle Seite‘ der neuen Radwege-Bewegung besteht nunmal darin, dass sich immer stärker die Botschaft durchsetzt „Rad braucht Radweg“.
Zusätzlich verstärkt wird das durch die neue Schwerpunktsetzung von ‚more people bike more often‘, wodurch letztlich der kostengünstige Radverkehr als AntiStau Kurzstrecken Add-on in den dicht besiedelten Gebieten den dringend benötigten Bypass für einen weiter wachsenden MIV bilden wird.
Gradmesser für ‚Verkehrswende‘ ist ja auch längst nicht mehr die zwingend notwendige Senkung der Fahrleistung des MIV, sondern stattdessen der Aufwand für die (autogerechte) Ertüchtigung der Alternativen (‚lets go dutch‘ und so weiter).
Dass vor allem der stetig steigende Autoverkehr und die kommenden Abermillionen von autonomen Autos das EXKLUVIVE Benutzungsrecht des teuren Streckennetzes für ihre ‚freie Fahrt‘ brauchen, who cares …
@Anton
ich teile Deine Auffassung ganz und gar nicht, aber sie wird sich sicherlich breit durchsetzen (wenn sie es nicht schon längst hat).
Danke für die Hartnäckigkeit. Bei Aussperrungen von bestimmten Verkehrsarten muss allerdings auch auf die Widmung der Straße geachtet werden! Widmungen sind höherrangiges Straßenrecht, welches grundsätzlich über der Straßenverkehrsordnung steht. Das ist auch in Randnr. 45a der VwV-StVO zu § 45 StVO so festgehalten (wird aber leider auch oft von den Verwaltungsgerichten übersehen):
„Vor der Anordnung von Verkehrsverboten für bestimmte Verkehrsarten durch Verkehrszeichen, (…) ist mit der für das Straßen- und Wegerecht zuständigen Behörde zu klären, ob eine straßenrechtliche Teileinziehung erforderlich ist. Diese ist im Regelfall notwendig, wenn bestimmte Verkehrsarten auf Dauer vollständig oder weitestgehend von dem durch die Widmung der Verkehrsfläche festgelegten verkehrsüblichen Gemeingebrauch ausgeschlossen werden sollen. Durch Verkehrszeichen darf kein Verkehr zugelassen werden, der über den Widmungsinhalt hinausgeht.“
Siehe u.a. auch https://openjur.de/u/479499.html, ab Randnr. 18.
Die dauerhafte Anordnung von Verkehrsverboten ist damit eben gerade keine Ermessensentscheidung, sondern nur rein aufgrund (vorheriger) Teileinziehung der straßenrechtlichen Widmung möglich.