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Fahrradfreundliches Oldenburg

Ich durfte heute an einer kleinen Exkursion in die frisch zertifizierte „fahrradfreundliche Kommune“ Oldenburg teilnehmen. Einen kurzen Abriss bietet die folgende Twitter-Story. Wir haben das Stadtgebiet (in kleinem Rahmen) erfahren und zwei Vorträge der Verkehrsplanung und der Verkehrsleitzentrale bekommen. Das Fazit, warum Oldenburg vergleichsweise fahrradfreundlich ist, vorweg:

  • Das Radfahren hat in Oldenburg einfach Tradition und einen hohen Stellenwert in allen Altersklassen.
  • Eine umfassende Akzeptanz ist vorhanden. Das Fahrrad stellt kein negatives Statussymbol dar.
  • Es herrscht ein gewisser Pragmatismus bei der Verkehrsmittelwahl. Für viele Oldenburgerinnen und Oldenburger ist es einfach logisch, Fahrrad zu fahren.

Das schlägt sich denn auch im Anteil der zurückgelegten Wege nieder: 42,7 Prozent der Wege werden mit dem Fahrrad bestritten (allerdings bei ungefähr gleich hohem MIV-Anteil). Diesen Wert aus 2009 muss man erstmal verteidigen. Damit das klappt, sind Radrouten in Außenbezirke vorgesehen, damit Wege zwischen fünf und acht Kilometern auch bequem mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können.

Schon heute sind alle Einbahnstraßen für den Radverkehr in entgegengesetzter Richtung freigegeben. Und was Oldenburg noch besonders macht, ist das recht umfassende Netz aus abgetrennten Hochbordradwegen. Diese werden in Oldenburg einfach sehr gut angenommen. Schutzstreifen auf der Fahrbahn gibt es kaum. Hinzu kommen kleine Details, wie neuerdings Wärmebildkameras, die Radfahrer an Ampeln erfassen und für längere Grünphasen sorgen können. Unter anderem dafür gab es auch die Zertifizierung als fahrradfreundliche Kommune.

Natürlich ist auch in Oldenburg nicht alles perfekt. Gerade die IHK macht auch hier Stimmung gegen fahrradfreundliche Politik, wenn sie auch nur im Geringsten auf Kosten des Autoverkehrs geht. Und unten gibt es als „Innenansicht“ noch einen Gastbeitrag von den beiden Oldenburgern Roman Eichler und Yannik Heyer, die fordern, den Verkehr vorurteilsfrei zu gestalten. Vor allem aber bei der Akzeptanz des Fahrrads ist Oldenburg anderen Städten und insbesondere Osnabrück weit voraus.




















Verkehr zukunftsfähig gestalten

Oldenburg wächst und hat ein enormes Entwicklungspotential. Daher ist es wichtig, auch den Verkehr vorurteilsfrei zu gestalten. Von Roman Eichler und Yannik Heyer

Verkehr muss fließen. Das gilt nicht nur für die täglichen Fahrten der Berufstätigen, Studierenden oder Schüler*innen, sondern auch für diejenigen, die Oldenburgs Innenstadt aus dem Umland kommend per PKW erreichen wollen. Auch sie sollten eine weitgehend hindernisfreie Fahrt erwarten können.

Die Verkehrssituation in Oldenburg aber ist problematisch: Gerade zu den Spitzenzeiten (Kernzeit morgens und zu Feierabend im Berufsverkehr, besonders außerhalb der sog. ‚Fahrradsaison‘, Samstage, die Adventszeit) nimmt der motorisierte Individualverkehr (MIV) Ausmaße an, die ein flüssiges Durchkommen kaum ermöglichen. Manche dieser Spitzen sind immer wiederkehrend, wie beispielsweise der Berufsverkehr, während andere punktuelle, saisonale Ausreißer darstellen, wie etwa die Adventssamstage. Und die Problematik verschärft sich absehbar noch weiter, denn Oldenburg ist eine attraktive, wachsende Stadt. Mit dem Wachstum von Bevölkerung und Stadt geht auch eine Steigerung der KFZ-Zulassungen einher; etwa 83.000 PKW sind derzeit allein in Oldenburg registriert, was gut 3.500 mehr sind als noch vor drei Jahren. Tendenz steigend.

Man kann die Innenstadt auch anders als mit dem Auto erreichen.

Natürlich steht die ‚Erreichbarkeit der Innenstadt‘ damit nicht grundlegend in Frage. Es geht denjenigen, die mit diesem Punkt argumentieren, dabei vielmehr um eine einfache Erreichbarkeit per eigenem PKW und die Sorge, dass diese zunehmend beeinträchtigt werde. Es wird argumentiert, dass dies wiederum negative Auswirkungen für den Einzelhandel der Innenstadt und damit letztlich auch für die ganze Stadt habe, da eine funktionierende, gut erreichbare Innenstadt ein lebendiger Ort sei, der Arbeits- und Ausbildungsplätze stelle und kulturelles Leben sowie den Austausch der Menschen mit- und untereinander ermögliche. Dabei werden vor allem Tempo 30-Pläne und die Förderung des Radverkehrs als ‚Hindernisse‘ oder ‚Einschränkungen‘ für den MIV gesehen; insgesamt werden aber alle Konzepte der Oldenburger Politik in Bezug auf Luftreinhaltung, Energie- und Klimaschutz, Verminderung der Lärmbelastung sowie zukunftsfähige Mobilitäts- und Verkehrs- bzw. Stadtentwicklung als hinderlich für den PKW-Verkehr gesehen. Als Lösungsansätze werden vor allem die Etablierung von ‚Grünen Wellen‘ und die Schaffung von mehr Parkplätzen (mutmaßlich weniger Parksuchverkehr) genannt.

Das Problem an dieser Perspektive ist die Verwechslung von Autos mit Menschen und Kund*innen. Denn in erster Linie muss die Erreichbarkeit der Innenstadt für Menschen erhalten bleiben oder besser noch: gesteigert werden. Und wenn diese nicht mehr oder zunehmend weniger gut per MIV funktioniert, liegt es auf der Hand, dass eben auch andere Überlegungen angestellt werden müssen. Dabei hilft die alleinige Konzentration auf mehr MIV eben nicht mehr. Im Gegenteil: Die Entgegensetzung von MIV und anderen Verkehren (ÖPNV, Fahrrad) verhindert die vorurteilsfreie Sicht auf Lösungsansätze. Oder anders formuliert: Diese Entgegensetzung verhindert die Sicht darauf, dass beispielsweise gerade die Förderung des Radverkehrs einen gleichermaßen effektiven wie kostengünstigen Lösungsansatz darstellen kann.

Wie eine aktuelle Umfrage der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer (IHK) und dem City-Management Oldenburg (CMO) unter Mitarbeit der Jade Hochschule zur Kund*innenherkunft und Verkehrsmittelwahl für die Oldenburger Innenstadt zeigt, kommen insgesamt zwar 58 % aller befragten Kund*innen mit dem Auto, aber auch jede vierte befragte Person kommt mit dem Rad (23,17 %). Mit Bahn und Bus kommen gerade einmal gute 10 % der Kund*innen in die Geschäfte der Innenstadt, zu Fuß immerhin 7,43 %.

Die Vorstellung, dass viele dieser Menschen in Zukunft lieber den PKW benutzen, müsste doch eigentlich erst recht Angst verursachen.

Konzentriert man sich nun allein auf die Steigerung des MIV und tut dies in Entgegensetzung zur Förderung der anderen Verkehre, schneidet man sich genau von diesen Lösungsansätzen ab: Rund ein Viertel aller Kund*innen fährt schon jetzt mit dem Rad – bezogen auf das Stadtgebiet ist es sogar nahezu jede*r zweite! – und entlastet damit die Fahrbahnen. Um es deutlicher zu machen: Die Vorstellung, dass viele dieser Menschen in Zukunft lieber den PKW benutzen, etwa weil eine zukunftsfähige Radverkehrsförderung wie der Ausbau von Hauptradrouten oder die Schaffung von ausreichend Abstellmöglichkeiten behindert wird, müsste doch eigentlich erst recht Angst verursachen. Was, wenn am Ende alle diese Menschen auch noch mit dem Auto auf den Straßen Oldenburgs unterwegs wären? Dadurch würden sich die Bedingungen für den MIV natürlich drastisch verschlechtern.

Es kommt nun also gerade nicht auf die Entgegensetzung von MIV und anderen Verkehren an. Die Förderung des innerstädtischen und gerade des stadtgrenzenübergreifenden Radverkehrs ist eben keine »ideologiegetriebene Maßlosigkeit« und schon gar nicht eine »Anti-Autopolitik« (wie Herr Röhr in der NWZ kommentiert). Im Gegenteil: Diese Sichtweise kann völlig kontraproduktiv wirken und verhindern, dass dort effektive Lösungen angegangen werden können, wo das größte Entwicklungspotential liegt. Ganz vorurteils- und ideologiefrei müsste anerkannt werden, dass alle Kund*innen, die nicht mit dem PKW fahren, eine enorme Entlastung des MIV darstellen. Diese Kund*innen behindern den (KFZ-)Verkehr nicht, sie entlasten ihn. Und der Anteil wäre noch zu steigern: Die Schaffung von angemessen ausgebauten Radrouten würde gerade den direkt umliegend Wohnenden (Entfernungen > 5 km) eine attraktive Alternative zum PKW bieten. Hier ist ein großes Entwicklungspotential, da gerade einmal 8,7 % der Kund*innen aus den umliegenden Gemeinden mit dem Rad in die Stadt kommen. In Ergänzung dazu zeigen die Zahlen zur Nutzung des ÖPNV, dass auch hier noch deutlich ‚Luft nach oben‘ ist. Auch diese Form der Mobilität muss mehr Anerkennung finden und als eine echte Alternative etabliert werden. Wer weiß, dass er nach der Autobahnabfahrt ein kostengünstiges Parkangebot findet und dann in kürzester Zeit per Bus in die Innenstadt transferiert wird, wird diese für alle entspannend wirkende Variante auch gern nutzen. Gerade, wer von weiter außerhalb kommt und sich nicht gut in Oldenburg auskennt, hat es so einfach und bequem.

Ein weiterer Vorteil dieser Perspektive, die vermeintliche Hindernisse oder Beeinträchtigungen als Lösungspotentiale versteht, wäre, dass das ständig mitlaufende Ausspielen der Lebensqualität und Gesundheit aller Oldenburger Bürger*innen gegen die Steigerung des MIV (und dem mutmaßlich für die Stadt überlebensnotwendigen Umsatz des innenstädtischen Einzelhandels) einfach wegfallen würde. Gesundheit gegen Umsatz?! Allein aus diesen Gründen muss der beschriebene Perspektivwechsel erfolgen.

26 Antworten auf „Fahrradfreundliches Oldenburg“

Und wieder zeigt sich: separierte Radwege sind die Lösung für mehr Radverkehr. Da könnte Osnabrück auch sein – wenn nicht einige Radverkehrsvertreter konsequent dagegen arbeiten würden und der Stadt somit noch Argumente geben, dass es reichen würde n Eimer Farbe auf der Fahrbahn auszuschütten…

Die kamen in dem Fazit (Tradition, Akzeptanz, Pragmatismus) nicht vor. Das sind auch Aspekte, die z. B. für Basel gelten, dass trotz einem sehr dichten ÖPNV-Netz auf meine ich 15 % Radverkehr kommt bei gleichzeitig hohem Fußverkehrsanteil und tatata einem MIV-Anteil von einem Drittel oder so. Und die setzten wenig auf Bordsteinradwege, dafür aber z. B. auf eine hast autofrei City (und nicht nur einer autofreien Fußgängerzone). Der Bau von Radwegen wird wenig verändern, solange die Bevölkerung Radverkehr nicht als gleichberechtigt akzeptiert und das Rad pragmatisch nutzt (in Oldenburg wohl als Substitut für eine schlechten ÖPNV, in Basel als Substitut für das Auto).

Bei uns wurde gerade auf der Trasse eines zukünftigen „Radschnellwegs“ einen Kreuzung umgebaut. Früher hat man sich auf der fahrbahn eingeordnet und ist dann links abgebogen. Jetzt gibt es eine Radwegführung, mit insgesamt 6 Richtungswechseln, davon 2x 90° und einmal 180°, durchzuführen auf einem unübersichtlichen, 1,2m breiten Radweg. Dazu einen Bettelampel. Die Kreuzung lässt sich aus beiden Richtungen jetzt nur noch queren wenn man absteigt oder verbotener weise auf dem Fußweg und ein Stück links auf dem Radweg fährt.
Ist damit die zweite Kreuzung auf der Trasse die im letzten Jahr entsprechend umgestaltet wurde.
Mir ist nicht klar wie man damit den Radverkehr fördert, oder wie man die Mentalität der Planer in weniger als zwei Generationen tiefgreifend ändern kann.

Diie Hochbordradwege in Oldenburg mögen für gemütliches Fahren ja ihren Zweck erfüllen, aber für ein zügiges Vorankommen sind sie nicht geeignet und verdammt schmal sind sie auch.

Ich verstehe das Problem der vehikulär cyclenden einfach nicht: wenn ihr lieber auf der Fahrbahn fahrt, warum tut ihr es nicht einfach? Ein kleines blaues Schild würde mich jetzt nicht davon abhalten und die Autofahrer werden hupen egal obs da steht oder nicht. Oder kontrolliert die Polizei bei euch etwa täglich ob Radfahrer illegal auf der Straße fahren… aber euch muss doch auch klar sein, dass ihr alle anderen potentiellen Radfahren damit ins Auto zwingt…

Das hab ich jetzt nicht so recht verstanden. Wieso genau zwinge ich andere ins Auto, wenn ich auf der Fahrbahn fahre?

Deine Einschätzung bzgl. der BWBP halte ich für irreführend. Du ignorierst vollständig die gravierenden zivilrechtlichen Folgen im Falle eines Unfalls. Da ist (blaues Schild) zumindest eine Teilschuld möglich/wahrscheinlich. Das Ignorieren einer Benutzungspflicht kann also durchaus zum finanziellen Ruin führen, wenns hart auf hart kommt.

Ausserdem ist es nicht jedermanns/fraus Sache permanent Ordnungswidrigkeiten zu begehen, nur um sicher und schnell ans Ziel zu kommen.
Aus diesen und anderen Gründen ist es keineswegs egal, ob da ein blaues Schild steht.
Eine gern übersehene Auswirkung der Aufhebung von Benutzungspflichten ist es übrigens i.d.R., dass LSA umprogrammiert werden müssen, weshalb sich im Anschluss die Reisezeiten für die Autos verschlechtern.
Klar, dass das die Autofahrenden und die „ich fahre auch oft mit dem Rad“-Autofahrenden auf die Palme bringt.
Verkehrspolitisch und Umweltpolitisch ist aber die Entschleunigung des MIV das A und O.
Wenn dann gleichzeitig der Umweltverbund signifikant beschleunigt wird kriegt die Autobranche ein Problem, was es bekanntlich um jeden Preis zu vermeiden gilt.

1. Wenn der beutzungspflichtige Radweg so schlecht ist, dass du auf der Straße fährst, kann ich mir kaum vorstellen, dass dir eine Teilschuld zugesprochen wird. Du kannst ja dann argumentieren, warum der Weg unbenutzbar war. Wenn mich ein Radweg in die dooring zone zwingt und ich dann von einer Autotür erschlagen werde, wird mir ja hoffentlich auch keine Teilschuld gegeben.
2. Welchen Schaden willst du mit deinem Fahrrad am Auto auslösen, der dich in den finanziellen Ruin treibt? Wohl eher in den gesundheitlichen Ruin, aber siehe 3.
3. Unfälle im Mischverkehr?? Sowas gibts?? Ungeheuerlich!

Genau darum geht es ja: Fahrt bitte auf der Straße, wenn ihr möchtet, aber hört auf damit alle anderen auch dazu zwingen zu wollen und Städte für den Bau von Radwegen auch noch zu kritisieren. Denn die Konsequenz ist doch, dass im Gegensatz zu Münster und Oldenburg in Osnabrück, Bochum und sonst wo kein Schwein Rad fährt. Die Stadt Osnabrück hat sich selbst auf ihrer Website übrigens ernsthaft mal für ihre modernen Radverkehrsanlagen gelobt – alle Radfahrer im Sichtfeld und so, yay. Leider auch im Überrollfeld…

Eine Straße wird übrigens nicht automatisch zur 30er Zone, nur weil es keinen Radweg gibt. Das kann man tagtäglich auf der Lotter Straße am eigenen Leib erfahren (im wahrsten Sinne des Wortes). Wie schon jemand anders mal sagte: Ich möchte als Radfahrer nicht der lebende Poller zur Verkehrsberuhigung sein.

Ich bin mir unsicher ob Deine Fragen ernst gemeint sind, oder ob es nur darum geht Kontra gegen einen Kommentar(bzw. Kommentator) zu geben, der nicht rückhaltlos der neuen Protected-Radweg-Doktrin mit fahrradfreien Fahrbahnen folgt.
Ich geh aber mal von ‚ernst gemeint‘ aus:

1. Die Fakten sind Andere. Auch sehr schlechte ben.pfl.Radwege behalteen ihre Benutzungspflicht, sonlange sie befahrbar sind. Gerichte sind da regelmässig der Meinung, dass es die Benutzungspflicht ja nur gibt wegen Gefährdung auf der Fahrbahn, und dass Radf. dann eben notfalls mit angepasster Geschwindigkeit fahren müssen. Auf Kurzstrecken mag das einleuchten, mittlere Distanzen werden damit aber nicht mehr praktikabel.
2.Es geht dabei nicht vorrangig um Schäden am Auto, die durch die (hoffentlich vorhandene) private Haftpflicht gedeckt sind, sondern z.B. um Berufsunfähigkeit, Behinderung, etc. .
Da kommen leicht mal Hunderttausende zusammen.
3.Du hast Recht, in der Tat sind Unfälle im Mischverkehr sehr selten, sie kommen aber vor, auch wenn Du dir nicht vorstellen kannst dass mutmaßliche Mitglieder einer mutmaßlichen „VC-Sekte“ dies für möglich halten können.
Mich würd ja interessieren, ob Du irgendwo eine Quelle hast, wo dies abgestritten worden ist, oder ob Du das einfach mal so als ‚fake-statement‘ Menschen unterschiebst, bei denen Du mangelnde Begeisterung für separierte Radwege diagnostizierst?

„Genau darum geht es ja: Fahrt bitte auf der Straße, wenn ihr möchtet, aber hört auf damit alle anderen auch dazu zwingen zu wollen und Städte für den Bau von Radwegen auch noch zu kritisieren.“

Sorry, aber da wirds wirklich etwas bizarr: ich plädiere für duale Infrastruktur mit Wahlfreiheit, und Du kommst jetzt mit allen Ernstes mit „auf die Fahrbahn zwingen“?
Falls Du mal 10 sec. drüber nachdenkst dürfte Dir doch wohl klar sein, welche Regelung hier wen zwingt.

Kleine Ergänzung:
Sehr lesenswert ist m.E. die Replik von Heiner Monheim:
http://www.urbanophil.net/urbane-mobilitat/zur-aktuellen-debatte-in-der-fahrradszene-und-speziell-beim-adfc-ueber-die-entwicklung-von-radverkehrsanlagen/#respond
Ein kluges Plädoyer für das Weiterverfolgen eines „sowohl als auch“ bei der Rad-Infrastruktur, statt populistisch in den „entweder oder“ Chor der von den SeparatistInnen geforderten dogmatischen Festlegung auf separierte Radwege mit Fahrbahnverbot nach NL-Vorbild einzustimmen.

Nachteil: bei CSU, AfD, ADFC, IHK und Co. macht man sich mit der Forderung nach Aufhebung der Fahrbahnverbote keine Freunde.
Wenn man aber auf Zustimmung ausgerechnet dieser Interessengruppen schielt, dann kann man/frau jegliche umweltorientierte Radverkehrspolitik gleich ganz bleiben lassen.
(Der hier von Monheim vorgeschlagene Kompromiß der ‚Fakultativlösung‘ entspricht weitgehend den Überlegungen der StVO-Novellierung von 97 und ist bei Alrutz u.a. gleichbedeutend unter dem Begriff ‚Duale Infrastruktur‘ zu finden.)

Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen – Oldenburg ist als fahrradfreundliche Kommune zertifizert und u.a. deshalb sicher als ‚Vorreiter‘ in Sachen Radverkehr zu bezeichnen. Der hohe Radverkehrsanteil am modal split sollte dies auch rechtfertigen. Trotzdem werden in der Stadt nur 1,82€ pro Kopf in den Radverkehr investiert. Der Nationale Radverkehrsplan 2020 beziffert den betrieblichen Unterhalt allein mit 3€ pro Kopf bei einer Vorreiter-Stadt, zumindest aber mit 1,10€. Und es ist übrigens 2017, nicht 1987, nur um das nochmal klar zu stellen.

Sicher, in Oldenburg wird viel Rad gefahren und Radfahrende werden hier viel besser wahrgenommen und erfahren mehr Akzeptanz als anderswo. Das weiß ich selbst gut, weil ich nur Wahl-Oldenburger bin und aus meiner Heimatstadt gänzlich andere Verhältnisse kenne. Es mag hier Jammern auf vergleichsweise hohem Niveau sein. Aber trotzdem: Was hier passiert, ist ein Witz. Es gibt zu wenig Investitionen, die entsprechenden Stellen in der Verwaltung sind überlastet und sollten aufgestockt werden. Bei Neuschaffung von Infrastruktur wird sich auch entlang von Hauptverkehrsachsen gerade mal an den gesetzlichen Mindestmaßen orientiert, anstatt an Empfehlungen für ein hohes Radverkehrsaufkommen. Es gibt Benutzungspflichten noch und nöcher, die einer rechtlichen Überprüfung nicht stand halten würden. Damit man mal ein bisschen rote Markierung auf die Straße kommt, muss erst ein Radfahrer von einem abbiegenden LKW überfahren und getötet werden. Undundund… das ließe sich noch fortsetzen, aber ich bin es leid.
Ganz ehrlich: Oldenburg mag fahrradfreundlich sein. Das ist aber vielmehr ein Verdienst der Menschen, die hier leben und die sich hier bewegen als ein Verdienst von einem Zusammenspiel von Politik und Verwaltung. Die typischen, vereinzelten Ausnahmen, die herausstechen und einen Silberstreifen an den Horizont malen, natürlich ausgenommen. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse vom Fahrradklimatest. Ich gehe aber davon, dass sie das Bild aus 2014 nur schärfer nachzeichnen werden – dass in Oldenburg Rad gefahren wird, weil es flott ist, weil es einfach ist und weil es zum Lebensgefühl dieser Stadt dazu gehört. Allen Umständen und Widrigkeiten zum Trotz.

Danke Yannik. Als Münsteraner: ersetze Oldenburg durch Münster und du hast die exakt gleiche Situation hier. So viel zum Thema „Fahrradhauptstadt“ der Republik. Oldenburg und Münster tun nach außen immer so fahrradfreundlich. In der Realität wird aber häufig trotz und nicht wegen der Infrastruktur Rad gefahren. Man ruht sich scheinbar nicht nur in Münster auf einem leicht bis mittelstark schlechten Status Quo seit Jahrzehnten aus.

Ich (auch Wahl-Oldenbuger) kann Yannik da nur zustimmen. Es gibt hier noch eine Menge zu tun. Außenstehenden zeigt man eben gerne die Vorzeigeprojekte und Konzepte. Daraufhin gibt es dann ein eine Zertifizierung zur fahrradfreundlichen Stadt. Solche Kreuzungen mit rot markierten Überwegungen, wie auf dem Bild, sind hier nicht die Regel, sondern Ausnahmen.
Herrn Stork (ADFC Bundesgeschäftsführer) wunderte sich über die vielen Radfahrenden bei einem Besuch im letzten Jahr und äußerte sich ungefähr so: „Sie haben zwar einen Radverkehrsanteil von 43%, die Infrastruktur gibt das aber gar nicht her.“ Das spiegelt sehr genau das Bild von Oldenburg wider.

Stimmt schon. Bin heute wieder durchgefahren. Es gibt ne Menge schmale Hochbordradwege. Aber die werden angenommen. Da sind ne Menge Radfahrer unterwegs. Das ergibt schon ein schönes Bild.

Passt für mich exakt ins Bild. Hier im Ruhrgebiet ist alles voll mit „Infrastruktur“, wo kein Mensch Rad fährt. Mehr Radwege führen nicht zu mehr Radfahrern. In Münster, Oldenburg, Bremen… wird TROTZ Radwegen Rad gefahren, und weil es eine entsprechende Tradition gibt. Im Ruhrgebiet wird in den kommenden Jahren der RS1 fertig. Der Radfahranteil ist hier aber wesentlich geringer als in allen anderen vergleichbaren Regionen. In Dortmund ist er sogar noch gesunken. Ist aber kein Wunder, wenn man den hiesigen Nahverkehr und die Erreichbarkeit von Zielen mit dem Auto mit den anderen Regionen (Köln/Bonn oder Münster und Umland) vergleicht. Infrastruktur spielt eben keine Rolle, was die Zahl der Radfahrer angeht und wenn man weniger Autos will, muss man das Autofahren erschweren und nicht nur Rad und ÖPNV gegeneinander ausspielen.

In Oldenburg wird aktuell vielleicht trotz Radwegen Rad gefahren. Historisch betrachtet wird heute aber vermutlich so viel Rad gefahren, weil frühzeitig Radwege angelegt wurden. Man ist dann nur mit der Entwicklung nicht nachgekommen, sollte das aber schnellst möglich nachholen, damit nicht auf einmal wieder weniger Menschen Rad fahren.

Nein. Es wurden Radwege angelegt, um dem Autoverkehr Platz zu machen. Mit dem Rad werden Strecken bewältigt, die anderenorts zu Fuß oder mit dem ÖPNV gemacht werden. Wenn es anders wäre, hätte Oldenburg längst nicht fast ausschließlich Plattenradwege.

Und was nützt ein hoher Radverkehrsanteil, wenn dieser nicht vom Auto kommt, sondern von fehlendem oder langsamen und unbequemen Nahverkehr. Hier im Ruhrgebiet ist der Autoverkehranteil ungefähr gleich groß wie in den (Langsamradverkehrs-) Hochburgen. Da wird eben mehr Bus gefahren oder im Nahbereich gelaufen. Die wahre Ökohochburg Deutschlands ist Berlin mit einer privaten Autobesitzquote, die nur noch knapp über 30% liegt.

Daniel hat doch auch gar nicht behauptet, die Radwege seien für eine Förderung des Radverkehrs angelegt worden. Insofern sehe ich Deinen ersten Absatz gar nicht als Gegenrede, sondern als sinnvolle Klarstellung, um Missverständnisse aus dem Wege zu räumen.

Deinen weiteren Gedanken finde ich sehr wichtig – hier in Oldenburg haben wir leider nicht nur den Radverkehrsanteil von knappen 43%, sondern auch einen minimal höheren MIV-Anteil. Lediglich 9% der Wege werden zu Fuß zurückgelegt und, was noch viel schlimmer ist, nichteinmal 5% mit dem Bus.

Hast Recht. Nicht alles hier Gesagte widerspricht sich gegenseitig. Ich wollte nur noch mal klarstellen, dass ein hoher Radverkehrsanteil nichts nützt, wenn dieser nur auf Kosten des ÖPNV erreicht wird oder Fußgehersatz ist und dazu dient, dass die Straße für Autoeinpendler freigehalten wird.

Das Auto verstopft unsere Städte und greift direkt unser aller Gesundheit an. Das Ziel muss sein, einen Großteil des Autoverkehranteils zu vermeiden oder zumindest zu erschweren. Darauf müssen sich endlich alle Interessierten von grüner Seite aus verständigen. Auch dann, wenn sie selber teils das Auto nutzen. Ob das mit viel oder wenig Radverkehr erreicht wird, ist erstmal egal. Dazu kommt aber auch: Eine Straße mit viel weniger Autoverkehr ist immer auch angenehmer fürs Radfahren.

INTERESSANTER KONTRAST
Während sich Radverkehrsblogger ja neuerdings in Bescheidenheit üben und sich über schöne Bilder auf schmalen Hochbordwegen zu freuen beginnen schlägt die Automobil-Front etwas andere Töne an, bzw. tönt nicht, sondern handelt, nachdem analysiert wurde, dass die Auto-Reisezeiten weiter optimiert werden sollen_
http://www.strassenbau.niedersachsen.de/projekte/bundesstrassen/neubau-der-bundesstrae-211-von-westlich-mittelort-bis-brake-78317.html
Zitat:
„Infolge der gemeinsamen Nutzung der Bundesstraße durch den regionalen und überregionalen Verkehr sowie dem Anliegerverkehr entsteht eine hohe Konfliktdichte innerhalb des Streckenabschnittes. In den Knotenpunkten wird der Verkehrsfluss wegen der fehlenden Ausstattung der Straße mit Abbiegefahrstreifen und mit verkehrslenkenden Fahrbahnteilern ebenfalls erheblich beeinträchtigt.“
und weiter:
„Die Leichtigkeit und Sicherheit aller Verkehrsarten, insbesondere des durchgehenden Verkehrs, wird darüber hinaus durch die mangelhafte Trassierung der Bundesstraße beeinträchtigt.“
Ein bewährtes Duo: die Kurzstreckenradler auf schmalen Separationswegen, die sowohl ein schönes Bild abgeben, als auch den für die relevanten Autoreisezeiten hinderlichen Auto-Kurzstreckenverkehr eindämmen zusammen mit dem verstärkten Ausbau von immer schnelleren überregionalen Autoverbindungen.
Und dann noch wundern, warum es immer mehr Autos gibt, die immer längere Strecken zurücklegen ???

Ich frage mich, ob Du da nicht ein wenig übers Ziel hinausschießt. Ich verstehe den zugrundeliegenden Gedanken und kann den auch teilen. Aber bei der B211 handelt es sich um einen Unfallschwerpunkt, was im Rahmen der neuen Streckenführung u.a. durch Kreisverkehre verbessert werden soll. Das unterschlägst Du.
Ich denke, dass Kreisverkehre außerhalb geschlossener Ortschaften das Abbiegen oder den Richtungswechsel für Radfahrende auch einfacher, vielleicht sogar sicherer machen. Allerdings habe ich mich damit noch nie näher beschäftigt und könnte daher nicht sagen, ob das ein bloß subjektives Gefühl ist oder auch objektiv so ist.

Um Unfallschwerpunkte zu entschärfen hält die Verkehrsplanung ein reichhaltiges Werkzeugset bereit.
Allen voran: Temporeduktion mit stationär permanent überwachtem Streckenabschnitt/Streckenabschnitten.
Das ist billig, sehr effektiv und refinanziert sich zusätzlich durch ertappte Raser.

ABER es wird dabei Todsünde Nr.1 begangen: die Autoreisezeit wird erhöht und u.U. die MIV-Kapazität der betreffenden Strecke gesenkt.

In obigem Fall ist die Zielsetzung der ‚Leichtigkeit/Flüssigkeit‘ also der Beschleunigung ja sogar direkt formuliert, weshalb ich etwas länger zitiert habe.

Zu den Kreiverkehren. Das hängt natürlich von den jeweiligen Bedingungen ab, aber generell sind auch Kreisverkehre ein Instrument zur Beschleunigung, da LSA Wartezeiten verringert werden.
I.d.R. wird aber neuerdings der Radverkehr langsam holprig separat aussen herum geführt und zusätzlich noch (AgO) mit Vorfahrtentzug bestraft.
Wenn dann noch einseitige Führung dazukommt muss teilweise über 4 Arme gehoppelt werden nur um geradeaus zu fahren, wobei jeweils gewartet werden muss bis der heilige Autoverkehr eine Lücke lässt (u.U. sogar noch mit holpriger Mitteninsel als Querungs’hilfe‘).
Bei (illegaler) Fahrbahnnutzung hingegen führe sichs da sicher und schnell in einem Rutsch mit Vorfahrt durch.

Solche Konstruktionen führen zu drei Effekten:
– Reisezeit und Komfort für den Autoverkehr wird verbessert
– Reisezeit und Komfort für den Radverkehr wird verschlechtert
– die Fans von separierten Radwegen aus ‚der Mitte der automobilen Gesellschaft‘ applaudieren für die ‚Fahrradfreundliche‘ Maßnahme, welche (O-ton Radentscheid) „auch dem Autoverkehr nutzt“

Da fliessen dann die Lobby-Wünsche von IHK ADAC ADFC u.a. im Endeffekt gemeinsam in eine Richtung:
mehr Autoverkehr!

Danke für die Ausführung zu Kreisverkehren. Ich glaube, ich muss dieses Jahr mal mehr auf Kreisverkehre außerhalb von Ortschaften in der Gegend achten und das dann beurteilen!

Ich bin in Oldenburg aufgewachsen, wohne nun aber seit 15 Jahren in anderen Städten, u.a. Berlin und Freiburg. Ein ganz wesentlicher Punkt,der für mich das Radfahren in Oldenburg angenehmer macht, ist die entspanntere Fahrweise der oldenburger Verkehrsteilnehmer. Zu den Hochbordradwegen kann ich anmerken, dass es in Oldenburg recht wenige straßenbegleitende Parkplätze gibt (zumindest auf meinen Hauptrouten). Dadurch sind Radfahrer immer sichtbar und es gibt keine Dooringzone. Zudem gibt es kaum mehrspurige Fahrbahnen.
Was mir noch in anderen Städten aufgefallen ist: da wird in Grundschulen das Radfahren bis zur Radfahrprüfung verboten. Den Schülern fehlt also die Praxis und die Gewohnheit, was sich auch auf späteres Verhalten auswirkt.
Also mein Fazit: die Oldenburger fahren trotz der Infrastruktur viel Fahrrad, diese ist aber wegen der Randbedingungen deutlich besser als Hochbordradwege in anderen Städten. Das Radfahren ist für mich in Oldenburg so angenehm wie in keiner anderen deutschen Stadt, die ich kenne.

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