Beim Polittalk „Radmobil in der Stadt“ der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen Niedersachsen/Bremen e.V. am Dienstag hatte Osnabrücks Stadtbaurat Frank Otte gefordert, dass man dem Auto in der Stadt Platz wegnehmen müsse, um Verkehrsprobleme nachhaltig lösen zu können. Darüber waren sich auch alle einig. Etwas überraschend sah das auch der CDU-Vertreter so.
In den Sozialen Medien und auf der Website der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) kochten danach natürlich wieder die Emotionen hoch. Eine kleine Osnabrücker Splitterpartei (die eigentlich auch nur eine Wählergemeinschaft mit zwei Mandaten ist), die sich in erster Linie als Anwalt der Autofahrer sieht, spricht dann immer gleich von „Ideologie“ und „verblendet“. Echte Alternativen mit konkreten Lösungsvorschlägen kommen aber natürlich nicht. (Dafür die Behauptung, Autofahrer würden über die KFZ-Steuer die Straßen bezahlen. Unsinn.) Ich habe ernsthaft das Gefühl, dass man das Gesamtsystem Verkehr dort wohl auch nicht so recht durchblickt. Oder eben gar keine Alternativen will. Die sind aber nötig, weil es aktuell ja schon Stau gibt. Ihr seht…
Hier also mal eine kurze und sachliche Antwort, die ich gestern auch als Leserbrief an die NOZ geschickt habe:
Man muss kein Autofeind sein, um mehr Platz für den Radverkehr zu fordern. Wer wirklich auf sein Auto angewiesen ist, sollte das sogar fordern. Nicht nur Osnabrück hat mit Verkehrsproblemen zu kämpfen. Die innerstädtischen Verkehrsflächen kann man heute praktisch nicht mehr erweitern. Also muss man das Pferd von hinten aufzäumen. Die vorhandene Fläche muss intelligent verteilt werden.
Wenn 50 Prozent der Autofahrten kürzer sind als fünf Kilometer, dann sorgen sehr viele Autos für einen Stau, der nicht sein muss. Hier müssen Städte Alternativen bieten – wie gut ausgebaute und sichere Radwegnetze. Merken die Kurzstreckenautofahrer dann, dass es mit dem Fahrrad viel schneller und unkomplizierter geht, weil auch kein Parkplatz gesucht werden muss, werden sie umsteigen. Und dann ist auch wieder genug Platz auf den Straßen für Menschen, die wirklich auf das Auto angewiesen sind.
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Und hier noch ein Kommentar eines Ratsmitglieds der besagten Wählergemeinschaft auf noz.de. Sie wollen kein Raum für den Radverkehr abgeben, auf der Fahrbahn sollen aber auch keine Radfahrer fahren. Nicht gerade lösungsorientiert…
Ratsmitglied. #KopfaufTisch pic.twitter.com/wOJKMlzreA
— Daniel (@SecretCoAuthor) 1. Dezember 2016
9 Antworten auf „Man muss kein Autofeind sein, um mehr Platz für den Radverkehr zu fordern“
Word!
Vielleicht liest der Herr Dr. Lübbe ja auch hier mit.
Ich habe noch nie vorher so viel Geld in Osnabrück ausgegeben wie in den letzten 3 Jahren, seit ich mit dem Rad in die Stadt fahre. Denn Osnabrück war in den letzten 20 Jahren immer nur eine prima Stadt, um mit dem Auto durchzufahren. Das hat diese ‚autogerechte‘ Stadt also ausgezeichnet.
Und, Herr Dr. Lübbe, ich gehöre nicht zu den jungen sportlichen Typen, sondern bald zur Generation silberblond, habe auch einen akademischen Titel und mache alles gerne effizient.
Schließe mich an: mein Mann und ich verweilen definitiv länger in der Stadt, und geben dort auch Geld im Einzelhandel und in der Gastronomie aus, wenn wir mit Rad dort sind. Gleichzeitig besuchen wir im Frühjahr, Sommer und Herbst tatsächlich öfter die City, WEIL wir mit dem Rad hinkommen. Auch wir sind Generation Silberblond, Landkreisbewohner (gehören also zu den 50000 Einpendlern) und verteufeln keineswegs das Auto.
Und das Argument zur Neumarktsperrung ist ja wohl lächerlich. Momentan ist NICHT gesperrt, aber der gute Herr Dr Lübbe mag doch wohl nicht behaupten, dass der Verkehr dort jetzt ‚fließt‘.
Dabei ergibt es so viel Sinn, von der Autozentrierten Sichtweise wegzukommen. Schön bringt das auch ein schon älterer Artikel von Copenhagenize auf den Punkt:
http://www.copenhagenize.com/2014/04/the-new-question-for-21st-century-cities.html
Ohje! Worin hat der gute Herr promoviert, in Schwachsinnverbreiterei?
„ „Wer wirklich auf sein Auto angewiesen ist, sollte das sogar fordern. (…)
Merken die Kurzstreckenautofahrer dann, dass es mit dem Fahrrad viel schneller und unkomplizierter geht, weil auch kein Parkplatz gesucht werden muss, werden sie umsteigen. Und dann ist auch wieder genug Platz auf den Straßen für Menschen, die wirklich auf das Auto angewiesen sind.“
Ja, sehr richtige Analyse!
Nur eine Schußfolgerung finde ich unlogisch/widersprüchlich:
das Kriterium dafür, wer dann von der freigeräumten MIV-Kapazität der veränderten Infrastruktur profitiert ist m.E. nicht vorrangig
„wer wirklich auf das Auto angewiesen“ ist, sondern – das folgt auch recht logisch aus dem Vorgehenden:
‚wer längere Strecken fährt‘.
Der modal-split Verlagerung hin zum Rad auf der Kurzstrecke steht dann also (Reisezeitbudget!) eine Steigerung bei den längeren Strecken gegenüber.
Noch wichtiger:
gleichzeitig weitet sich – durch den Anti congestion Effekt – der MIV-Erreichbarkeitsradius ins Umland aus.
Das erklärt auch den Tatbestand, dass in den Separationsländern regelmässig zu beobachten ist, wie in den Kernbereichen zwar der Kurzstrecken-Radverkehr zunimmt, aber gleiczeitig die Gesamtkilometerleistung des MIV zunimmt.
Das passt nicht ins 21.Jhd.
Die Öko-Bilanz ist da mindestens zwiespältig, wenn nicht negativ. Zusätzlich wird ja durch die attraktivierten längeren Autostrecken der neu entflammte Trend zur Suburbanisierung weiter verstärkt, was wiederum in eine öklologische Abwärtsspirale autogerechter Raumplanung führt.
Was Colville-Andersen und Co. gern verschweigen: auch z.B. in DK steht dem steigenden Rad-kurzstreckenverkehr eine beständig steigende Auto-Verkehrsleistung gegenüber.
Oh mann, du findest aber auch echt immer Gegenargumente. Das heißt, wenn man hier in Osnabrück die Leute aufs Rad bekommt, würden täglich Münchener und Stuttgarter zum Einkaufen nach Osnabrück kommen, weil sie hier nicht im Stau stehen? Oder Münsteraner setzen sich eine halbe Stunde ins Auto, statt 10 Minuten in die eigene Stadt? Sehr unwahrscheinlich…
Es geht doch nicht um „Gegenargumente“ in irgendwelchen Argumentationsduelle, sondern einfach darum die notwendige umweltverträgliche Transformation des Verkehrssektors FAKTENBASIERT in Angriff zu nehmen.
Der gegenwärtig virulente Separationsglaube vertuscht m.E. in immer größerem Umfang seine inneren Widersprüche.
Ungequem z.B. die oft (zu Recht) gescholtenen GB, die fast keine RVA gebaut haben, aber von 1995 – 2015 einen RÜCKGANG der MIV Verkehrsleistung verzeichnen konnten (minus 5,3%), während die Separationländer NL und DK Steigerungen zu beklagen haben.
Wie ist das zu erklären?
„IRGENDWIE“ die Leute aufs Rad kriegen getreu des neuen Bundes-ADFC-Motto „more people bike more often“ (Vorbild USA?) hat doch erstmal nicht das geringste mit einer umweltgerechten Verkehrswendezu tun.
Es kommt drauf an WIE und UNTER WELCHEN BEDINGUNGEN der Radverkehr in einen ausgeweiteten Umweltverbund eingebunden werden kann.
Populistische „Hauptsache Radweg“ – Propaganda ist da m.E. völlig fehl am Platz, auch wenn es schön bequem im neuen ‚mainstream‘ liegt und so schön ‚anschlußfähig‘ für Grün, SPD, CDU/CSU, ADAC, IHK, die Springer-Presse usw. ist.
In den USA biken „more people more often“. Ja.
Und?
3,5% Steigerung beim Autoverkehr 2015.
Gerade „abweichende“ Fakten sind es doch, die die Diskussion weiterbringen, und die notwendige Korrekturen für die ‚Theoriebildung‘ bringen. Ein stinknormales Vorgehen in allen wissehschaftlichen Disziplinen sozusagen.
Widersprüche sind doch erklärungsbedürftig, oder sind jetzt unbequeme Fakten „Nörgelei“, immer wenn sie nicht in die neue Radweg-Religion passen?
Ich bin ja gar nicht gegen Radwegbau (war ich auch noch nie) aber zur Zeit wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der gegenwärtige „Rad runter von der Fahrbahn“ Roll-back leitet eine neue Phase von autogerechter Raumstruktur ein.
Sie dir mal die Situation im benachbarten Münster an: die auswärtigen Autoverkehre mit langen Strecken (ca. 10-30 KM) überwiegen mittlerweile die innerstädtischen Verkehrsleistungen, und das nur auf Stadtgebiet gerechnet. Die Gesamtverkehrsleistung steigt deutlich an. Auch und vor allem der flächensparsame separierte Kurzstrecken-Radverkehr ermöglichte erst diese Entwicklung.
Da mit München und Stuttgart zu polemisieren ist möglich, ändert aber nichts an den Fakten, sondern verstärkt nur die Grundhaltung:
„Fakten? Mir doch egal!“
Ich lasse meine Thesen GERN (!) mit faktenbasierter (!) Argumentation widerlegen.
Übereinstimmung scheint ja darin zu bestehen, dass der flächensparsame separierte Radverkehr für die Verbesserung von Autoreisezeiten von Nutzen ist. Das ist ja auch empirisch für die ‚protected bikelanes‘ in den USA gut belegt und auch in Simulationsprogrammen bestätigt.
Verbesserte Reisezeiten bedeuten aber immer auch Ausweitung des Erreichbarkeitsradius. Auch das ist empirisch SEHR gut belegt.
Wo bitte ist da der Fehler in meiner Argumentation?
Wenn der Erreichbarkeitsradius für den Autoverkehr erweitert wird resultieren daraus längere Strecken pro Weg (Reisezeitkonstanz!).
Falsch?
Fakt ist, dass sich viele Menschen nicht trauen, auf der Fahrbahn zwischen Autos zu fahren. Das höre ich regelmäßig in Gesprächen. Mir ist ja an „mehr Radverkehr“ gelegen, nicht an „mehr Radwege“. Da sind Radwege eben nur Mittel zum Zweck. Um den bereits vorhandenen Stau zu „bekämpfen“, muss man aber an die 50 Prozent der Wege ran, die kürzer sind als 5 KM und bisher trotzdem mit dem Auto gefahren werden. Wenn man dafür Verkehrsraum umwidmet, also einladende Radwege baut, bringt man Menschen aufs Fahrrad. Wenn das den Autoverkehr für die beschleunigt, die wirklich aufs Auto angewiesen sind, ist das doch ok und auch das Ziel: Stauvermeidung. Das mag zwar kurzfristig den Erreichbarkeitsradius der Stadt erweitern. Wenn die freigewordenen Kapazitäten auf der Straße dann aber wieder eingenommen werden und es wieder zum Stau kommt, werden es sich die „Neuen“, von weiter weg aber auch schnell wieder überlegen, ob sie nicht in eine für sie nähere Stadt fahren.