Bei Derby Cycle in Cloppenburg hat sich am Wochenende alles ums E-Bike gedreht. Bei der Händlermesse konnte ich mir einen kleinen Eindruck verschaffen, was demnächst auf den Markt kommt. Eigentlich sind E-Bikes nicht so mein Ding. Aber eigentlich darf ich das auch bald gar nicht mehr sagen. Dass die unterstützten Räder ziemlich Spaß machen können, habe ich schon im vergangenen Jahr in Südtirol gemerkt. Mit 20 km/h den Berg hoch, ohne aus dem Sattel zu gehen, hat schon was.
Und als Christian und ich am Samstag zur E-Bike-Testfahrt aufgebrochen sind, hat es keine 100 Meter gedauert, bis wir ein Grinsen im Gesicht hatten. Bei beiden hat ein Kalkhoff Integrale dafür gesorgt. Bei Christian mischte sich zunächst noch ein ungläubiges Staunen in das Grinsen. Er hatte sich gleich die S-Version geschnappt, die einem kräftig Unterstützung bis 45 km/h gibt.
Über das „normale“ E-Bike-Fahren hatte ich bereits hier geschrieben, als ich 2015 eins gewonnen hatte. Beim Kalkhoff Integrale 10 hat mir das stufenlose Zurückfahren der Unterstützung von 25 bis 27 km/h ganz gut gefallen. Da gibt es kein abruptes Ende. Wobei man sich schon fragen muss, warum die EU vorschreibt, E-Bikes bei 25 km/h (plus 10 Prozent Toleranz) und S-Pedelecs bei 45 km/h zu drosseln. Schließlich haben wir in der Regel Geschwindigkeitsbegrenzungen von 30 und 50 km/h. Hier wird meiner Meinung nach ein künstliches „Verkehrshindernis“ erzeugt und verhindert, dass E-Bikes auch am Tempolimit im Verkehr mitschwimmen können.
Auf dem Fahrrad sind 40 km/h schon was anderes als 20 km/h…
Ein wirklich neues Gefühl von Radfahren gab es mit dem Integrale S 11. Bis 40 km/h schiebt einen das Teil wirklich nach vorne. Für die restlichen 5 km/h, für die es Unterstützung gibt, muss man dann auch schon selber gut was tun. Ich wollte die Beschleunigung eigentlich filmen. Aber abgesehen davon, dass das Handy am Lenker ja eigentlich tabu ist, kommt man hier auch in Geschwindigkeitsbereiche, in denen es einfach keine gute Idee ist, damit rumzuspielen. 40 ist schon was anderes als 20. Darum schreibt der Gesetzgeber auch eine Helmpflicht für S-Pedelecs vor. Und nicht nur das. Ein Bremslicht hat das Integrale S 11 auch. 2017 kommen voraussichtlich noch Abblendlicht, Fernlicht und Hupe dazu. So sehen es Pläne der EU vor. Man kann sich schon fragen, ob das nicht vielleicht ein bisschen übertrieben ist. Auf der anderen Seite zeigt es, dass das Fahrrad immer ernster genommen wird. Dafür sorgt auch die eigens von Kalkhoff in Zusammenarbeit mit Naviki entwickelte Navigations-App, die Smartphone und Bordcomputer verbindet. Eine Smartphonehalterung wird dadurch überflüssig. Der Akku hält bei Ultra-Unterstützung laut Hersteller 80, im Eco-Modus rund 200 Kilometer.
Bei Derby Cycle werden inzwischen 74 E-Bike-Modelle (39 Kalkhoff-Modelle, 35 Raleigh-Modelle) gebaut. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Daher haben wir uns auf sehr wenige konzentriert. Bemerkenswert war neben dem Integrale auf jeden Fall das Kalkhoff Sahel Compact. Eigentlich ist es nur ein kleiner, viel zu teurer Stadtflitzer, den niemand braucht. Andererseits ist es aber ein kleiner, teurer Stadtflitzer, zu dem man auch nicht nein sagen würde. Auch hier gibt es bis 25 km/h volle Unterstützung. Und bei der kleinen Bereifung und der aufrechten Sitzposition macht das richtig Spaß! Wenn da nur der Preis nicht wäre…
Das erfolgreichste (sicher nicht das schönste) Modell von Kalkhoff ist übrigens das Agattu. 30.000 Stück werden davon im Jahr produziert. Ich sag mal, das ist das typische „Rentner-Modell“. Recht tiefer Einstieg, Federgabel. Eine reine Vernunftentscheidung. (Das mit der Federgabel ist auch so ein Ding. Wer braucht an so einem Fahrrad eine Federgabel? Wenn ihr mich fragt, ist die völlig überflüssig und obendrein auch einfach hässlich. Das sehen aber extrem viele Radfahrer und -käufer anders. Zum Glück kann man die Räder aber auch mit „normaler“ Gabel ordern.)
Nach Testfahrt und Messerundgang konnten wir uns noch die Produktion und das „Testlabor“ anschauen. (Kann nach Voranmeldung übrigens jeder.) Ein sehr interessanter Einblick. Eine Produktionslinie schraubt in 2:10 Minuten ein fertiges Fahrrad zusammen, das sofort versandfertig verpackt wird. Bei einem E-Bike dauert es 4:35 Minuten, da Akku und Motor noch getestet werden. Das ist schon recht beeindruckend. Und immerhin ist Derby Cycle Deutschlands größter Fahrradproduzent mit rund 750 Arbeitsplätzen in Cloppenburg. Die erwirtschaften einen Umsatz von über 250 Millionen Euro im Jahr und machen Derby Cycle so zum Marktführer in Deutschland. Zu dem Unternehmen gehören die Marken Focus, Kalkhoff, Raleigh, Univega und Rixe. Dass noch in Deutschland produziert wird, hat man dem E-Bike-Boom zu verdanken. Würde dieser Markt nicht wachsen, könnte man die Arbeitsplätze für die „normalen“ Fahrräder nicht am Standort halten. So werden aktuell über 500.000 Fahrräder im Jahr produziert, davon über 100.000 E-Bikes.
So ein Fahrradrahmen muss ganz schön was aushalten. #DerbyCycle pic.twitter.com/XAc0lPQCM3
— Daniel (@SecretCoAuthor) 6. August 2016
Warum sollten sich gut verdienende Städter weiter ins Auto setzen, wenn sie auf dem E-Bike richtig Zeit sparen können?
Mit urbanen Rädern wie eben dem Sahel oder auch dem Durban, das auch noch mal eine Testfahrt wert ist, soll jetzt die Altersgruppe der 30 bis 40-Jährigen erschlossen werden. Ob die wirklich bereit sind für ein E-Bike, wird sich zeigen. Beim Integrale versucht Kalkhoff daher auch über das Design zu kommen. Die Rahmengeometrie setzt trotz massivem Unterrohr (nimmt Akku und alle Züge auf) sportliche Akzente. Und wieso sollten sich gut verdienende Städter und Vorortbewohner auch weiter ins Auto setzen, wenn sie auf dem E-Bike richtig Zeit sparen können? Auf dem Weg zum Fahrradland werden E-Bikes sicher eine entscheidende Rolle spielen.
Bilder: dd
9 Antworten auf „E-Biken bei Derby Cycle“
Ich finde gut, dass du das Thema aus der Sparte ‚geriatrische Hilfsmittel‘ holst. Ich bin auch schon verschiedene E-bikes probegefahren und das macht echt Laune. Auch das S-Pedelec von Riese&Müller mit Riemenantrieb und stufenloser Automatiknabe. Das macht echt Laune. Leider ließ die Teststrecke keine Höchstgeschwindigkeit zu. Würde ich in einer Stadt wie Stuttgart mit vielen Steigungen leben, hätte ich bestimmt schon eines.
Kann mich da nur anschließen!
„…Bremslicht hat das Integrale S 11 auch. 2017 kommen voraussichtlich noch Abblendlicht, Fernlicht und Hupe dazu. So sehen es Pläne der EU vor. Man kann sich schon fragen, ob das nicht vielleicht ein bisschen übertrieben ist. Auf der anderen Seite zeigt es, dass das Fahrrad immer ernster genommen wird…“
Von „Fahrrad“ kann ja dann wohl keine Rede mehr sein. Vielmehr handelt es sich um ein typisches Moped, mit dem einzigen Unterschied, dass es von einem Elektromotor statt mit einem Verbrennungsmotor angetrieben wird. Die Energie wird nicht vor Ort aus Treibstoff erzeugt, der übrigens eine wesentliche höhere Energieausbeute hat, sondern verlustreicher und aufwendiger in Kraftwerken, auch Gas, Kohle- oder Atomkraftwerken. Wird gern vergessen. Strom kommt ja aus der Steckdose.
Wenn das hier eine „Fahrradseite“ bleiben soll, keine „Mobilitätsseite“ werden soll, sollte man schon ganz klar differenzieren.
Spaß und Lust sind zwar nette Motivatoren, auf’s Rad zu steigen, aber sicher nicht das Hauptkriterium bei der Beurteilung neuer technischer Entwicklungen. Da entscheiden eher Marketingstrategen als umweltbewusste Entwickler. Außerdem: Wenn alles, was individuell Spaß und Lust macht, sinnvoll und erlaubt wäre, zum Beispiel E-Longboards, Monowheels …
Ich fahre mit 67 nach wie vor fast jeden Weg mit dem muskelgetriebenen Rad, auch die 14 Kilometer zum Nebenjob. Einzige Erleichterung: Ich gönne mir seit einigen Jahren ein Rennrad für solche Strecken. Auf Reisen, gerade 1018 km hinter mir, kommt nach wie vor das schwere Wanderer-Reiserad zum Einsatz, mit Gepäck, Ersatzteilen und Werkzeug.
Das einzige, was mich ernsthaft stört, sind übermässige Regenfälle, Gewitter und Hitze. Dagegen hilft aber auch kein Pedelec, E-Bike, S-Pedelec etc. Alles andere lässt sich trainieren.
Hört sich alles gut an und ich hoffe, dass das auch so weitergeht. Aber ich lese nur „ich, ich, ich“. Neben dir gibt es aber auch noch über 80 Millionen Menschen, die das vielleicht anders sehen. Und an die sollte doch auch gedacht werden.
Übrigens: ohne selber zu treten, läuft auch beim E-Bike gar nichts. Insofern wird das klassische Erkennungsmerkmal eines Fahrrades weiter erfüllt.
Bei insgesamt 2.000.000 Agattu und jährlicher Produktion von 30.000 Stück gibt es das schon recht lang für ein e-bike. 66 Jahre wenn ich mich nicht verrechnet habe. Oder wie sind die richtigen Zahlen?
Ah sorry, da habe ich die Zahlen durcheinandergewürfelt. 30.000 Agattu im Jahr stimmt. Auf deutschen Straßen sind aber aktuell insgesamt 2 Millionen E-Bikes unterwegs.
Mich nervt diese Gralshueterei der reinen Pedal-Lehre mittlerweile. Auch, weil ich nach 25.000 km auf dem S-Pedelec sicher bin, dass das viel mehr ein Fahrrad ist als eine Mofa.
Aber darum geht es gar nicht. Warum soll nicht jeder gluecklich werden nach seiner Fasson? Da sind so viele Mobilitaetsanforderungen, dass es nicht das allein seligmachende Verkehrsmittel geben kann. Das differenziert sich nach den Anforderungen, und das ist auch gut so. Nie gab es so eine reichhaltige Palette an Fahrraedern. Ob mit oder ohne Motor, ist dabei unerheblich.
Das Argument mit dem Strommix ist relativ, wenn man die Effizienz der Fortbewegung betrachtet. Jeder Kilometer, der mit dem Ebike statt mit dem Auto zurueckgelegt wird, hilft allein wegen des Unterschieds des bewegten Gewichts der CO2-Bilanz. Ganz gleich, ob der Strom dafuer im Braunkohlekraftwerk oder auf der heimischen Photovoltaik erzeugt wurde.
Deutlich wird dieser Effizienzunterschied bei den Stromkosten, mit denen ein Ebike einmal rund um die Welt bewegt werden kann, diese liegen bei ungefaehr 100 Euro fuer 40.000km. Mit dem Auto kommt man dabei gerade mal laengs durch Deutschland.
Aber nur mit einem sehr sparsamen Auto! ;)
Volle und uneingeschränkte Zustimmung, Matthias! Sehr guter Kommentar!