Ein Gastbeitrag von Carsten Mischke
Aller Anfang ist schwer. Nicht nur das Schreiben dieses Textes, sondern auch die ersten Minuten einer Fahrradtour, wenn man denn aufbricht. In die Pedalen treten, eine Umdrehung der Kurbeln nach der anderen absolvieren, sich die Hügel und Berge im Wiegeschritt (mit einem Lächeln im Gesicht) hinauf wuchten – für die meisten Mitlesenden eine Kleinigkeit.
Für einen großen Teil unserer Bevölkerung jedoch oft kaum vorstellbar. Geschätzt jeder fünfte leidet einmal in seinem Leben an einer Depression, etwa vier Millionen Bürgerinnen und Bürger regelmäßig. Das sind dann Tage, an denen außerhalb der Wohnung die Unsicherheit lauert, man eigentlich nicht das Bett verlassen möchte und viele genau dies oft nicht schaffen. Es sind die negativen Gedanken, das mangelnde Interesse, geringes Selbstwertgefühl und der fehlende Antrieb, den jeder Mensch irgendwie kennt und auch mal hat, bei Betroffenen von Depressionen aber vielfach stärker ausgeprägt sind und oft bis zur Lähmung des Alltags führen können. Viele Menschen wissen dies nicht, denken, dass Erkrankte faul sind oder sich einfach nur zusammenreißen müssen und dann wird das schon wieder.
Gegen diese falschen Vorurteile und andere Wissenslücken möchte die MUT-Tour diesen Sommer aufmerksam machen. Sie startet am 4. Juni in Heidelberg und endet 7300 Kilometer später mit einer gemeinsamen Sternfahrt am 3. September in Bremen. Vier Teams aus Betroffenen und „Normalen“ werden auf mehreren Tandems, aber auch in Kajaks und auf Eseln durch Deutschland fahren/rudern/reiten und in über 70 Städten zu gemeinsamen Tagestouren aufrufen. Die MUT-Tour-Teams können den Menschen auf der Straße und hoffentlich zahlreichen Mitradlerinnen und Mitradlern ihren unverkrampften Umgang mit der Krankheit vorleben und damit Ängste und Vorurteile abbauen. Unterstützt werden sie durch ADFC-Gruppen vor Ort und vielen ehrenamtlichen Helfern. Hier eine interaktive Karte zu allen Aktionen.
Die MUT-Tour sieht sich als Mutmacher, frei über eine Erkrankung zu reden, die mehr Tote fordert als der Straßenverkehr und häufiger zur vorzeitigen Berentung führt als Rückenleiden. Das Fahrrad ist dabei ein wunderwirkendes Hilfsmittel, das einerseits Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern herstellt und außerdem zeigen kann, dass man mit einer kleinen Umdrehung der Pedale aus eigener Kraft vorwärts kommen kann. Als positive Nebenwirkung schüttet der Körper durch die sportliche Betätigung an der frischen Luft Dopamin aus. Und dieses Glückshormon lässt den nächsten Berg kleiner erscheinen als er eigentlich ist.
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Carsten Mischke, 37 Jahre, täglicher und ganzjähriger Liegeradfahrer, den das Radfahren wahrscheinlich vor einigen (Stimmungs-)Tiefen des Lebens bewahrt hat, wohnt und arbeitet in Belgien und plant von dort aus, mit den Rad nach Bremen zur Sternfahrt zu fahren. Für seine Mutter und alle anderen die seit Jahrzehnten an Depressionen leiden.