Im Rahmen der Berlin Bicycle Week und kurz vor der offiziellen Eröffnung der Berliner Fahrradschau haben sich am vergangenen Freitag ca. 30 Radfahrerinnen und Radfahrer aus ganz Deutschland zu einem Critical Mass Bar Camp getroffen, das Heinrich Strößenreuther (Initiative clevere Städte) und ich initiiert hatten. Aus Berlin, Hamburg, Oldenburg, Stuttgart, Freiburg, Reutlingen, Aachen, Wien und sogar Krakau (jemanden vergessen?) sind CMler angereist, haben diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht. Ich selbst bin ohne große Erwartungen in das Bar Camp gegangen und wollte einfach mal hören, wie die CM in anderen Städten aufgezogen wird, wo es welche Erfolge oder Probleme gibt und wer die Leute sind, mit denen man online hin und wieder in Kontakt ist.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde gab es erst mal drei Impulsreferate. Jelte aus Oldenburg hat mir die Oldenburger Critical Mass ziemlich schmackhaft gemacht. Insbesondere die Tatsache, dass es dort oft eine Aftermass gibt, bei der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach der Critical Mass noch irgendwo treffen und austauschen, hat mich überzeugt, demnächst mal in Oldenburg mitzufahren.
Kevin vom Urbanist Magazin hat die Critical Mass in seinem Vortrag theoretischer beleuchtet und Fragen zu ihrer Idee, dem Engagement Einzelner und dem Zusammenhalt innerhalb der Gruppe gestellt.
Und Klemens aus Polen hat den großen Erfolg der Krakauer Critical Mass vorgestellt. Dort konnte man so großen Einfluss auf die Politik nehmen, dass die monatliche CM jetzt im März zum letzten Mal stattfindet. Sie wird als „politisches Instrument“ nicht mehr gebraucht und wird in Zukunft nur noch vier Mal im Jahr an einem Samstagnachmittag als Event für die ganze Familie unterwegs sein.
Nach diesen Kurzreferaten ging es in vier kleinen Gruppen um verschiedene Aspekte der Critical Mass. Wie kann man sie wachsen lassen? Wie bekommt man mehr Medienresonanz? Was sind die Vor- und Nachteile von angemeldeten CMs, wie es sie in Stuttgart gibt? Gibt es einen Minimalkonsens, unter dem alle deutschen Critical Masses fahren können? Wie kann man die oft noch recht geschlossene Gruppe der CM mit der Gesamtbevölkerung einer Stadt in Kontakt treten lassen? Und wo liegt die Grenze zwischen politischer Protestform und Party auf zwei Rädern?
Günther aus Reutlingen berichtet vom Ordnungsamtschef, dem die Critical Mass gefällt und der sagt, dass Reutlingen sowas ein Mal im Monat einfach aushalten muss.
Viele Fragen, auf die es nur zum Teil Antworten gab, die wiederum regional oft unterschiedlich ausfielen. Aber klare Antworten waren hier zumindest für mich gar nicht entscheidend. Mir ging es in erster Linie um Inspirationen und den Austausch mit Gleichgesinnten. Und insgesamt hat es den Teilnehmern wohl ziemlich gut gefallen. Denn das nächste Treffen wurde schon vereinbart. Im September will man sich in Hamburg wiedersehen und über neue Entwicklungen und Erfahrungen austauschen.
PS: Bettina hat für die taz einen Artikel zum Thema geschrieben – Und wohin fahren wir jetzt?
4 Antworten auf „Critical Mass Bar Camp Berlin“
Ich habe bezüglich „meiner“ CM mittlerweile etwas gemischte Gefühle. Klar macht es immer noch Spaß, im Verbund durch die Stadt zu fahren und klar sind da ganz viele tolle Leute dabei. Kürzlich durfte ich z.B. ein bestimmt 2k€ teures Liege-Trike probefahren. Einfach so.
Ich beobachte aber auch seit einiger Zeit eine wachsende elitäre Clique, die offenbar mit dem Initiator gut kann, die da mit teuren Fixies teilweise in eigens bedruckten Trikots aufläuft und sich ganz offen über Alltagsradler lustig macht. Da fallen dann Begriffe wie „Baumarktrad“ und ähnliches. Ja, ok, mein Rad war eine Vernunftsentscheidung. Ich brauchte was, um auf die Arbeit zu kommen und meine Einkäufe zu erledigen. Es mag bessere, leichtere und vor allem teurere Komponenten geben. Aber mein Rad läuft. Es steht Sommer wie Winter nachts draußen, muss bei jedem Wetter seinen Dienst verrichten. Es mag scheiße aussehen, aber es ist technisch i.O. Es ist im Gegensatz zu den angesprochenen Fixies sogar durchaus alltagstauglich mit seinen Schutzblechen, dem Nabendynamo und der Beleuchtung.
Aus diesem Grund werde ich zwar weiter mitfahren, an Aftermass-Events aber eher nicht teilnehmen. Eigentlich fände ich sowas schön. Die CM ist für mich keine rein politische Veranstaltung. Aber wenn man plötzlich aufgrund der Wahl des Rades nicht mehr „hip“ genug ist, verzichte ich lieber.
Sorry fürs Auskotzen. Ich mag die CM. Ich finde sie wichtig. Aber es ist wie bei vielen Bewegungen: Es fehlt der Bezug zur breiten Masse. Es ist/wird etwas für eine Elite.
Haters gonna hate… Da würde ich mir keinen großen Kopf machen. Wenn die Aftermass dann allerdings „exklusiv“ wird, ist das natürlich schade. Wie wäre es, wenn du selber eine machst? Mit all den Alltagsradlern, die mit der CM etwas verändern und nicht nur Spaß haben wollen?
Ich würde da nicht zu viel drauf geben. Je mehr Alltagsradler dabei sind, desto kleiner wird die selbsternannte Elite. Radfahrer sind eine zutiefst inhomogene Masse, die CM sollte sowohl für Alltags- als auch Schönwetterradler, Familien, alte Leute, Fixie-Hipster und meinetwegen ADFCler attraktiv sein.
Lieber Alltagsradler,
ich bin vor vier Monaten ganz alleine zu meiner ersten critical mass gegangen und danach auch zur After mass. Ich kannte niemanden und habe mich einfach dazu gesetzt. Das hat natürlich Überwindung gekostet, aber ich habe immer lustige Abende gehabt. Dass das Fahrrad Hauptthema ist, liegt wohl in der Natur der Sache. Somit habe auch ich Lob und Tadel für mein uncooles Alltagsrad eingesteckt und auch selber mit Alltagsradlern über Fixies gelästert. Von diesen menschlichen Gehabe (vermutlich bei Autobesitzern abgeschaut) sollte man sich nicht abschrecken lassen. Bei einem Kaltgetränk stellt man dann meistens fest, dass die Fahrräder zwar so vielfältig sind, wie ihre Besitzer, aber alle Radler aus dem selben Grundgedanken dabei sind.