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Wie Werbung den Sittenverfall auf unseren Straßen befördert

Ich hatte mir im Oktober bereits Gedanken über Auto-Werbung gemacht, die hin und wieder schwer zu verstehen, oft über das Maß geschönt und meiner Meinung nach manchmal sogar gefährlich ist. Schon damals war eine Anzeige von Porsche dabei, in der der Panamera mit „Leistungssport. Erlebt man live am intensivsten.“ vorgestellt wurde. Das finde ich für ein Auto, das für den „normalen“ Straßengebrauch angeboten wird, mindestens unverantwortlich und vielleicht schon gefährlich. Denn wer „Leistungssport“ kauft, wird sicher auch mal Leistungssport betreiben wollen. Dafür sind öffentliche Straßen aber nicht gedacht.

Nun gibt es eine neue Anzeige von Porsche. Der Cayenne wird mit „Extremsport für Teamplayer.“ beworben und ich frage mich, wo das enden soll. Erst Autofahren als Leistungssport, jetzt schon als Extremsport. Und „Teamplayer“ ist wohl eine Referenz an Familien. Man soll mit dem 550-PS-starken Cayenne Turbo, Frau und Kindern also extrem werden? Was dabei letztlich rauskommt, ist extrem. Es sind illegale Autorennen, bei denen sowohl Beteiligte als auch Unbeteiligte verletzt werden oder sterben.

Aber hat das etwas mit der Werbung zu tun? Ich habe den Verkehrspsychologen Prof. Wolfgang Fastenmeier von der Psychologischen Hochschule Berlin gefragt, was Werbung will und welche Auswirkungen sie haben kann: „Das Auto ist nicht nur Transportmittel, sondern es bedient auch instrumentelle Motive, so genannte Extra-Motive wie z.B. Sportlichkeit als Anreizsituation. Wie kaum ein anderes Objekt bietet das Auto die Chance, Individualität und Autonomie nach außen zu vermitteln und daraus soziale Wertschätzung zu erfahren – oder sich dies zumindest einzubilden. In der Geschwindigkeit kann die Leistungsfähigkeit des Autos am unmittelbarsten erlebt werden ohne dass darüber reflektiert würde, ob das vorsichtig oder unvorsichtig ist. Wer mit mehr als 250 km/h über die Autobahn brettert, wird u.U. auch Thrill (Angstlustgefühle) provozieren bis zur Grenze der Kontrollierbarkeit.“



Und welche Auswirkungen kann solche Werbung haben? Fastenmeier: „Werbung wie bei Porsche bedient solche Motive, Gefühle und kann dazu beitragen, dass sich Sicherheitseinstellungen verschlechtern – noch über das übliche Maß hinaus, denn im Straßenverkehr werden „schlechte“ Verhaltensweisen insofern gelernt als sie in der Regel folgenlos bleiben – eben kein Unfall, keine Sanktion.“

Im Straßenverkehr werden „schlechte“ Verhaltensweisen insofern gelernt als sie in der Regel folgenlos bleiben – eben kein Unfall, keine Sanktion.

Natürlich nehmen Autobauer diese Einstellungen von Automachos auf und bedienen sie bewusst. Es ist ja verkaufsfördernd. Wer hat das stärkste, das schnellste Auto? Auf der anderen Seite ist natürlich auch jeder selbst dafür verantwortlich, wie er sein Auto fährt. Aber, so Fastenmeier, die meist jungen Männer, die illegale Autorennen fahren, „sind impulsiv, aggressiv, sozial auffällig bei einem gleichzeitig gering ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein“. Sie definieren und profilieren sich also über ihr Auto und ihre aggressive Fahrweise. Wenn die Werbung ihnen nun auch noch vorgaukelt, sie würden Leistungs- und gar Extremsport betreiben, sehen sie sich bestätigt in ihrem grenzwertigen und oft grenz- weil geschwindigkeitsüberschreitenden Verhalten. Es schaukelt sich da etwas hoch und mag zwar oft gut gehen und folgenlos bleiben, wie Fastenmeier sagt. Aber eben nicht immer. Und wenn dann ein Mensch durch einen Raser zu Schaden kommt, sehe ich Autobauer, die so werben wie Porsche, in der Mitverantwortung.

8 Antworten auf „Wie Werbung den Sittenverfall auf unseren Straßen befördert“

Wenn ich solche völlig übermotorisierten Autos sehe, dann kann ich mich eines Gedankens nie erwehren: „Nichts im Hirn und nichts in der Hose, aber wenigstens das Auto ist groß und stark“.
Wie armselig muss man denn sein, um ein dickes Auto zu benötigen, damit man etwas Selbstbewusstsein bekommt? Haben die keine anderen Qualitäten, auf denen sich aufbauen läßt?

Immerhin gibt es bei den Gerichten, die über Raser urteilen so langsam ein Umdenken: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/karlsruhe-bundesgerichtshof-hebt-bewaehrungsstrafen-fuer-raser-auf-a-1156199.html
Da kommt ein am Rennen unbeteiligter Mensch ums Leben, und die Täter, die das zu verantworten haben, kommen zunächst mit einer Bewährungsstrafe davon. Das ist doch der nächste Schlag ins Gesicht der Angehörigen, die einen ihrer Lieben verloren haben.

Es geht ja um zweierlei,

die Fahrzeuge unterscheiden sich technisch nicht groß (die Zulieferer sind ja identisch), als muss ich mit Design und „Emotion“ und dickem Marketingbudget arbeiten.

Sitten hat es im Verkehr selten bis nie gegeben. Die Zeitungen der Zwischenkriegszeit sind voll davon. Es gibt Gesetze – nur dass deren Befolgung nach dem sog. „Opportunitätsprinzip“ erfolgt, vulgo: Nix passiert, kein Problem. An diesem Punkt erfolgt bislang keinerlei Umdenken, denn das würde etwas kosten.

Im Grunde könnte man die Gesetze auch streichen, wenn die Verstöße ohnehin nicht geahndet werden. Ist aber vielleicht wie bei der Steuerhinterziehung: Jeder macht es, keiner findet es so richtig gut.

Spontan teile ich die Gefühle und Sorgen des Autors. Wenn ich das Thema aber etwas auf mich wirken lasse, bemerke ich jedoch, dass eben dieses Marketing, was mich bei PKWs stark abstößt, mich bei Fahrrädern bestens anspricht. Auch ein Rennrad wird in allererster Linie im Straßenverkehr gefahren. Es gibt ja nicht wenig Autofahrer, die Radfahrer insbesondere die sportlicheren für das Verkehrsrisiko Nr. 1 halten.

Dabei bleibt uns allenfalls das Argument, dass wir uns mit unserem Verhalten eher selbst in Gefahr bringen als andere, aber das verfängt doch irgendwie auch nicht so richtig. Niemand hat das Recht andere in Unfallgefahr zu bringen auch dann nicht, wenn er selbst möglicherweise den größten Schaden davon tragen könnte.

Ich vermute, dass es da ähnlich funktioniert. Warum sollten sich denn sonst Leute für auf Leistung ausgerichtete Wochenendtouren im Sommer ein Carbon-Rad in die Garage stellen, z. B.?

Richtet sich die hier thematisierte Werbung nicht weniger an die im letzten Absatz genannte Zielgruppe, als die Familienväter, die sich für überdurchschnittliche Fahrer halten, sich als Leistungsträger der Nation halten und daraus das Recht herleiten, Rennen gegen sich selber zu fahren? Eben die Millieus, in den Freizeit (z. B. Sport) auch nur auf der Überholspur funktioniert? Welcher der am Ende des Artikels angesprochene Raser liest schon Print-Zeitungen?

Auto- und Fahrradwerbung kann man nicht vergleichen, so wie Auto und Fahrrad grundsätzlich verschieden sind: Beim Auto stehen die paar Restbewegungen des menschlichen Körpers (Fußwippen für Beschleunigen/Bremsen/Kuppeln, Hände zum Lenken/Schalten/Blinken/Hupen etc.) nur indirekt im Zusammenhang mit der Geschwindigkeit u.ä. – bei autonomen Fahrzeugen werden sie gar nicht mehr benötigt werden. Beim Fahrrad ist der menschliche Körper zentrales Moment des Antriebs, das Fahrradgewicht entscheidet über die Effizienz: Mit einem 7kg-Carbonrad schafft der gleiche Fahrer einfach andere Geschwindigkeiten als mit einem doppelt oder dreimal so schweren Trumm, bzw. er muss sich bei weitem nicht so sehr anstrengen, um die gleiche Geschwindigkeit zu fahren. Diesen Umstand kann man sportlich auswerten (Rennen mit dem Rennrad bestreiten), man kann ihn aber auch einfach dazu nutzen, mit weniger Krafteinsatz die gleiche Leistung zu bringen, die andere mit ihren schweren Rädern bringen. Und – wie schon anderswo bemerkt: Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ich mit 15 kg oder 1500 kg Fahrzeug unterwegs bin, und welche Rolle ich in dem ganzen Mensch-Maschine-Komplex innehabe – selbst beim Motorunterstützten Pedelec spielt die Kraft und Ausdauer des Fahrers die entscheidende Rolle, beim Auto gar keine.

Problematisch ist bei dieser Autowerbung, dass das waffenähnliche Geschoss (dass Autos wie Waffen genutzt werden können, haben mittlerweile auch deutsche Gerichte bestätigt) mit eigentlich harmlosen Tätigkeiten wie Leistungs- oder Extremsport in Verbindung gebracht wird. Beim Fahrrad wird die Wahl nach physikalischen Aspekten getroffen (plus Ästhetik), beim Auto nach psychologischen (plus Ästhetik). Ausnahmen gibt es, sie bestätigen auch hier die Regel: Wer einen Porsche kauft, oder einen SUV, oder sonst ein überdimensioniertes Trumm, tut dies nicht aus der Überzeugung, das Optimum an Effizienz zu erreichen, sondern das Maximum an Repräsentanz …

Ich sehe es allerdings so, dass man deutlich mehr „gefährliche Masse“ in den Straßenverkehr bringt wenn man mit einem 3t schwerem SUV durch die Innenstadt mit 110 Sachen brettert.
Allein die physikalische Wirkung dieses gefährt runter zu bremsen bei einem Aufprall…
Also ein Rennradfahrer der mit vielleicht 45 Sachen in eine Menschenmenge fährt, wäre mir lieber als der SUV mit bis zu 3,5t und 110 KM/H.

Ein Idiot bleibt ein Idiot, egal ob am Lenker eines Autos, oder eines Rades. Das hat nichts mit irgendwelchen Werbungen zu tun.

Ich glaub ja auch nicht das es lila Kühe gibt, obwohl man sie seit Jahren in der Werbung sieht.

Unsinnige Autos lassen sich (fast) ausschließlich über Emotionen bzw. das Heraufbeschwören derselbigen verkaufen.
Kein normaler Mensch braucht einen 550PS starken Pkw, um seine Familie oder die Einkäufe durch die Gegend zu gondeln.
Die ganz wenigen Leute, die dringend einen Anhänger mit Pferden, Yacht o.ä. ziehen müssen, kommen auch mit deutlich kleineren Motoren aus (eigene Erfahrung). Ein moderner Bus des ÖPNV kommt mit 300-400PS aus und bringt dabei deutlich mehr Menschen von A nach B.

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