Wenn es um autofahrerfreundliche Infrastruktur geht, rührt der lokale Handel, meist vertreten durch die jeweilige IHK und/oder Einzelhandelsverbände, die Werbetrommel am heftigsten. Oft werden dabei Untergangsszenarien ganzer Städte an die Wand gemalt. Immer mit der Begründung, dass ohne Autofahrer reihenweise Geschäfte dicht machen können. Der Autofahrer gilt im Handel als der kaufkräftige Kunde, der den Laden am Laufen hält.
Fördert man nun den Radverkehr – und das auch noch auf Kosten des motorisierten Individualverkehrs – indem man Parkplätze zurückbaut, Fahrspuren zugunsten von Radwegen reduziert oder hier und da auch mal eine Straße sperrt (siehe Neumarkt in Osnabrück), schrillen die Alarmglocken der Einzelhändler. Dass die oben genannten Befürchtungen keineswegs eintreffen, zeigt in erster Linie die Vergangenheit. Tausende Fußgängerzonen sind in Deutschland entstanden, ohne dass auch nur eine Stadt ausgestorben ist.
Nein, Radfahrer sind nicht arbeits- und mittellos…
Dass Radfahrer aber eben nicht die Kunden mit dem kleinen Portemonnaie sind, zeigt die kleine Zusammenfassung „Shopping by bike: Best friend of your city centre“ der European Cyclists‘ Federation (ECF). Zwar geben Autofahrer pro Einkauf mehr aus. Dafür kommen Radfahrer aber öfter in die Geschäfte und geben pro Woche insgesamt mehr Geld aus als Autofahrer. Und sind treuere Kunden, da sie Ihre Einkäufe lokal tätigen.
Darüber hinaus unterschätzt der Handel den Anteil an Radfahrern unter den Kunden regelmäßig. Laut ECF rechnet der Handel mit 6 Prozent Radfahrern und 41 Prozent Autofahrern. In Wirklichkeit sind aber fast doppelt so viele Radfahrer unter den Kunden (10 Prozent) und nur gut die Hälfte an Autofahrern (22 Prozent).
Auch wird immer mit der Erreichbarkeit der Innenstädte argumentiert. Aber auch hier liegt der Handel komplett falsch. Er geht davon aus, dass nur 12 Prozent der Kunden im Umkreis von 800 Metern leben. In Wirklichkeit sind es in den untersuchten Städten aber 42 Prozent! Das zeigt deutlich, dass ein enorm großer Prozentsatz locker mit dem Fahrrad kommen kann und das zum Teil eben auch schon tut. Vor dem Hintergrund, dass EU-weit 27 Milliarden Euro mehr in die Kassen des Einzelhandels fließen könnten, wenn der Radverkehrsanteil verdoppelt würde, sollte bei diese Zahlen doch langsam mal ein Umdenken einsetzen.
Das Fazit der ECF lautet:
Changing cities to suit bicycles, not cars, will not reduce business, as many local retailers fear. In fact, the additional revenue and business brought in by cyclists will more than offset the lost revenue from car drivers.
Fahrradfreundliche Städte sind keine Bedrohung. Auch nicht für den Einzelhandel. Das Gegenteil ist der Fall. Das ist alles nicht neu. Aber in die Köpfe der Industrie- und Handelskammern dringt es nicht vor. Sie bleiben stur und protegieren den motorisierten Individualverkehr.
Grafik via ecf.com
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Noch ein kleiner Exkurs nach Osnabrück: der Einzelhandel wird durch eine dauerhafte Neumarktsperrung nicht leiden. Er tut es ja auch momentan nicht. Kein Geschäft musste neumarktsperrungsbedingt schließen. Ist das Einkaufszentrum erst mal gebaut, wird der Rest der Innenstadt von einem verkehrsberuhigten Neumarkt ohne MIV sogar profitieren. Der Weg „rüber“ wäre schnell gemacht. Eine Straße, die das Center von der Innenstadt abschneidet wird hemmend wirken. Denn jeder weiß, dass es in so einem Standard-Einkaufscenter alles gibt, was der Kunde braucht. Und da er sogar mit dem Auto in das centereigene Parkhaus fahren kann, braucht es gute Gründe, ihn darüber hinaus überhaupt noch in die Innenstadt zu locken. Mit einem belebten und attraktiven Neumarkt ist das allemal einfacher, als mit einer „Stadtautobahn“, die der Neumarkt bisher war.
Dem Handels- und Dienstleistungsverband Osnabrück-Emsland e.V. sei noch mal gesagt, dass die Erreichbarkeit der Innenstadt durch die Neumarktsperrung definitiv nicht gefährdet wäre. Lediglich das direkte „Durchfahren“ wäre nicht mehr möglich. Was für die Geschäfte doch eigentlich gut ist. Was bringen die Autofahrer, die nur durchfahren? Außer Lärm und Abgasen?
Im Übrigen hat die IHK selbst schon einige Vorschläge gemacht (Seite 11), die eine Öffnung des Neumarktes überflüssig machen würden. Warum also nicht konsequent auf die Zukunft setzen, Osnabrück lebenswerter und den Neumarkt erlebbar machen? Dann halten sie die Kunden auch länger in der Stadt auf und können noch viel mehr Geld ausgeben…
Warum will die @IHK_OS_EL_GB den Neumarkt für Autos wieder öffnen, wenn sie die Alternativen kennt und auch fordert? pic.twitter.com/SPtnZC5ilS
— Daniel (@SecretCoAuthor) 5. Februar 2016
14 Antworten auf „Auch Radfahrer haben Geld“
Ja, ab heute Nachmittag wird der Neumarkt mit je einer Spur wieder für Autofahrer freigegeben :-(
Tja, passt gut auf euch auf. Kommt nicht unter die Räder. Ich bin froh, dass ich jetzt erstmal vier Wochen weg bin und das Drama mal ausblenden kann…
Wer radelt, zahlt weniger für Sprit und kann damit mehr Geld für andere Sachen ausgeben – schlecht für Tankstellen, aber gut für den Einzelhandel.
Wobei man ja bei den derzeitigen Spritpreisen ja durchaus noch alternativ aufs Auto setzen könnte! Aehm aber das Rad kann doch mehr :-)
Bei mir ist das so. Als ich noch ein Auto besaß bin ich mit 50 km/h am lokalen Einzelhandel vorbei gerauscht. Seitdem ich diesen Klotz am Bein los und hauptsächlich per Rad unterwegs bin, nehme ich meine Umwelt viel besser war. Es kommt regelmäßig vor, dass ich so in die Gelegenheit komme ein neues Geschäft oder ein neues Restaurant zu entdecken.
DIE Einzelhandelsstraße in Hamburg ist die Mönckebergstraße. Heute ist diese nur noch für Busse und Taxen freigegeben. Es ist unvorstellbar, dass diese noch bis Anfang der 1980er Jahre vierspurig ausgebaut war.
Aus meiner Sicht wäre die nächste Ecke, die eine dringende Umgestaltung nötig hätte, der Jungfernstieg. Es ist unverständlich, weshalb dieser schöne Fleck in der Stadtmitte durch eine vierspurige Staße zerschnitten werden muss. Zudem gibt es in dieser „Prachtstraße“ kaum nennenswerte Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.
Ein Auto kostet im Monat rund 500€, ein Fahrrad vielleicht 50€.
Die Differenz landet bei mir eben nicht bei internationalen Konzernen, sondern bei den Mitarbeitern der lokalen Geschäfte und Gastronomie.
50 Louisdors im Monat für ein Rad?
Das muss dann wohl eine Luxusmaschine sein.
Lass mal überlegen:
Habe 2001 ein Rad für 700 Märker (!) gekauft (Lassen wir hier mal die Umrechnung). Seitdem:
2x Komplettwechsel aller Zahnräder, Kette, Tretlager
300
Schlauch, Mantel, Schaltkabel, sonstige Verschleißteile – großzügig gerechnet
200
Noch irgendwas vergessen:
200
sind 1400 in 15 Jahren.
Da komme ich auf knapp 8 Eumel im Monat – großzügig gerechnet, wohlgemerkt.
50 EUR / Monat beinhaltet wohl auch die Kosten für den „Treibstoff“ in Form von Kohlehydraten. :)
Autofahren ist eben zunehmend ein Unterschichtenproblem.
Man sollte H4 erhöhen, damit die Autofahrer mehr einkaufen können. Dann rentieren sich auch die teuren innerstädtischen Kfz-Parkplätze wieder etwas mehr.
Danke für den Hinweis!
Klar, Radfahrer brauchen auch weniger Geld. Wenn man mal schaut was ein Auto im Monat für Kosten verursacht. Sprit, Verschleißteile, Reparaturen, Versicherung, …
[…] Positive Effekte für den lokalen Einzelhandel: http://itstartedwithafight.de/2016/02/17/auch-radfahrer-haben-geld/ […]
[…] Auch Radfahrer haben Geld […]
Na endlich. Nicht dass ich das nicht seit gut 15 Jahren bei jedem Kontakt mit ECF und ADFC erwähnen würde. In Regensburg wurde das vor über 15 Jahren untersucht und von BMW veröffentlicht: Radfahrer bringen gut 10% mehr Einnahmen für den Einzelhandel. Ausserdem ist offensichtlich dass sie lokal kaufen, nicht auf der „Grünen Wiese“. Irgendwohin muß ja das Geld gehen, das nicht in in Auto und Benzin fließt.