Ich hatte kürzlich schon mal etwas zum Überholabstand geschrieben, als mit ein Taxifahrer doch ein bisschen zu nahe gekommen war. In der Straßenverkehrsordnung ist die Abstandfrage leider nur schwammig geregelt:
StVO §5 Abs. 4: (…) Beim Überholen muss ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere zu den zu Fuß Gehenden und zu den Rad Fahrenden, eingehalten werden. (…)
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat nun in ihrer Anfrage „Fahrradfreundliche Reform der Straßenverkehrs-Ordnung“ unter anderem gefragt, welche Gründe nach Auffassung der Bundesregierung für bzw. gegen die Festlegung eines Mindestabstands für das Überholen von Radfahrerinnen und Radfahrern durch Pkw sprechen. Und inwieweit ein in der StVO festgelegter Mindestabstand für Pkw beim Überholen von Radfahrenden und Fußgängerinnen und Fußgängern (z. B. 1,5 m bei bis zu 50 km/h, sonst 2 m) die allgemeine Verkehrssicherheit erhöhen könnte?
Ausreden für solch konkrete Zahlen hat die Bundesregierung genug:
Bei der StVO handelt es sich um eine abstrakt-generelle Regelung, die – wie jede Rechtsnorm – nicht unmittelbar jeden Einzelfall regeln kann, sondern Maßstäbe zur Entscheidung des Einzelfalles zur Verfügung stellt.
Die Festlegung eines generellen Mindestabstands würde dem Einzelfall nicht gerecht, der u. a. von Geschwindigkeit und Kfz-Typ (aerodynamische Effekte, insbesondere unterschiedliche Sogwirkung) sowie Topographie der Infrastruktur (Schwanken des Radfahrers bei ansteigendem Streckenverlauf) oder der Art des Straßenbelages (z. B. Kopfsteinpflaster) abhängig wäre. Diesem Umstand trägt der unbestimmte Rechtsbegriff „ausreichender Seitenabstand“ in § 5 Absatz 4 Satz 2 StVO Rechnung.
Klar, die StVO ist eine abstrakt-generelle Regelung. Auf der Straße erlebe ich aber täglich ziemlich konkrete Situationen. Da hilft mir ein abstraktes Regelwerk oft nicht weiter. Da bräuchte es mal einige Konkretisierungen. Warum kann man die 1,5 Meter, die Gerichte bereits ins Spiel gebracht haben, nicht generell als Mindestabstand festlegen? Das wäre doch schon mal ein guter Maßstab, der in jeder Situation hilfreich wäre. Nicht immer ausreichend und nicht immer leicht zu überprüfen, aber in vielen Situationen schon mal hilfreich für den Radfahrer.
Ich wüsste auch nicht, warum ein sehr langsames Auto ohne „Sogwirkung“ unbedingt mit weniger Abstand überholen müsste. Für das allgemeine Sicherheitsgefühl im Straßenverkehr wäre ein Mindestabstand von 1,5 Metern doch eigentlich nur positiv. Und Kraftfahrer hätten endlich einen Richtwert, der bereits bei der Führerscheinprüfung gepaukt werden kann – statt die (gestrichelten) Linien bei Schutz- und Radfahrstreifen. „Ausreichend Abstand“ kann nämlich sehr subjektiv definiert werden. Ich zum Beispiel möchte mit so viel Abstand überholt werden, dass ich bei meiner Fahrt als Radfahrer nicht beeinträchtigt werde. Das ist in der Stadt bei 1,5 Meter schon ganz gut gegeben. Der eine oder andere Autofahrer argumentiert aber vielleicht, dass es schon ausreicht, wenn der Radfahrer nach dem Überholvorgang noch auf dem Fahrrad sitzt. Wäre mir in der einen oder anderen Situation zu wenig.
Als konkretes Beispiel fällt mir da auch ein Spediteur aus Osnabrück ein, der mich drauf festgenagelt hat, dass kein Mindestabstand in der StVO steht – auch nicht die 1,5 Meter, die von Gerichten nachträglich, wenn der Unfall schon passiert ist, ins Spiel gebracht wurden. Diesem Mann wäre sehr geholfen, wenn er einen Mindestabstand vorgeschrieben bekommt. Und den Radfahrern, die von seinen LKW überholt werden, noch viel mehr!
18 Antworten auf „Mindestabstand beim Überholen von Radfahrern“
Ist denn bekannt, ob es jemals irgendwo in Deutschland überhaupt Versuche gab, den Abstand zu kontrollieren? Hier in Dresden werden wenn „für die Sicherheit der Radfahrer kontrolliert wird“ eher Rahmennummern überprüft, oder was Radfahrer sonst so falsch machen. Solange es erst interessiert, wenn es zu einem Unfall kam, halte ich selbst das Festlegen in der StVO für ziemlich witzlos :-( Da bleibt dann nur die Pöbelei an der nächsten Ampel.
Klar, unter die Lupe genommen wird es immer erst dann, wenn es schon zu spät ist.
Am 22.04.2015 hat die Polizei in HH bei einer Verkehrskontrolle mit der Fahrradstaffel unter anderem den Sicherheitsabstand überholdender KFZ kontrolliert. Das ist auch in der entsprechenden Pressemiteilung zu lesen.
http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/6337/3003350
Meines Wissens nach, finden solche Kontrollen schon seit einiger Zeit statt.
Wenn ich mich nicht irre, dann hat es in HH im Juni 2013 erste Versuche gegeben. Hier ein Eintrag von hamburgize:
http://www.hamburgize.blogspot.de/2013/06/polizeieinsatz-altere-autofahrer.html
Ob die Polizei in HH spezielle Technik einsetzt, oder die Abstände einschätzt und nur die wirklich gefährlichen und eindeutigen Überholvorgänge bearbeitet entieht sich allerdings meiner Kenntnis.
MfG
Gregor
Wie schon an anderer Stelle erwähnt handhabe ich die Kontrolle des Überholabstandes recht pragmatisch: Wenn es mir während der Fahrt möglich ist, auf das Dach des überholenden Fahrzeugs zu Klopfen ohne von meiner Fahrspur abzuweichen, so ist das als Signal an den Überholenden zu verstehen, dass ich den Abstand als zu gering empfinde.
Das heißt natürlich nicht, dass ich mich nicht über eine konkrete Abstandregelung freuen würde!
Also, ein egal welcher Sicherheitsabstand – das geht doch gar nicht: Das Auto kommt dann doch gar nicht mehr vorbei am Radfahrer. Zumindest in den wenigsten Situationen. Deshalb müsste das Auto ja hinter dem Rad herfahren. Damit wäre es ja total langsam unterwegs. Ein Sicherheitsabstand käme dann de facto einer Zwangs-Entschleunigung gleich. Dann könnte man ja gleich 30er-Limit überall machen. Also, wer soll das bitte durchsetzen?
Gute Ideen, die du da bringst!
ja, finde ich auch. Tempo 30 in der Stadt sollte kommen, dann fahren die meisten Autofahrer wenigstens nicht viel mehr als 50. Nur muss man das den **** [Anm. Blogbetreiber: Hier muss ich nun doch mal zensieren. Bitte sachlich bleiben. Seid ihr doch sonst auch immer.] der Autoindustriellen (im Volksmund auch Politiker genannt) begreiflich machen. Es gibt ja schon genug Studien über die Sinnhaftigkeit eines generellen T30 in bewohnten Gebieten.
Bis dahin, als Radfahrer immer schön einen Sicherheitsabstand nach rechts, so dass man im Falle einer gefährlichen Situation genügend Spielraum hat. Aber wem sag ich das in diesem Forum….
Wieso? Ist doch sachlich. Habe doch gar nicht das A*-Wort benutzt. Die ‚unsachliche‘ Umschreibung der Haupttätigkeit dieser Figuren habe ich überigens dem reichen und inspirierten Wortschatz des hochverehrten Satirikers Georg Schramm entnommen.
Der Industrieproktologe
(mein Name ist Programm)
;-)
Ja genau darum geht: wenn nicht ausreichend Platz ist um sicher (deswegen heißt es _Sicher_heitsabstand) zu überholen, dann muss das Auto hinterherfahren. Ansonsten gefährdet es den Radfahrer.
Das Problem ist doch, dass die Rechtsprechung zwar gewisse Leitplanken gesetzt hat für künftige Urteile, aber das Gesetz eben der Polizei wenig Handhabe gibt, Unterschreitungen des Abstands zu sanktionieren. Was fehlt, sind klare Regeln auch für Bußgelder und den Punktekatalog für unter 50, 100, 150 cm innerorts bzw auch mehr an Steigungen oder Geschwindigkeiten jenseits von 50 km/h. Bislang wird oftmals ohne eine Schaden nicht einmal eine Nötigungsanzeige aufgenommen. Schließlich überholen ja auch RTW und die Polizei oft mit deutlich weniger als anderthalb Metern Abstand.
Ein Problem ist halt auch die Schuldfrage. Wenn dann doch was passiert, obwohl der Überholende den korrekten Abstand eingehalten hat, wird es dann doch irgendwie doof. Ich meinte diese Begründung in einem Schweizer Gerichtsurteil gelesen zu haben, aber ist schon ein paar Jahre her.
Ein anderer Punkt, warum sich der Gesetzgeber um einen klar definierten Mindestabstand drückt: Wenn die 1.5m ausdrücklich vorgeschrieben wären, dann könnte man nicht mehr weiter gefährliche, schmale Schutzstreifen einrichten, bei denen Autofahrer auf der Spur daneben nicht ohne Spurwechsel den vorgeschriebenen Abstand einhalten können.
Habe gehört dass in USA vereinzelt sogar Polizeiräder mit Abstandsradar ausgerüstet sind. Bei unterschreitung von 3 Foot (~1. meter) gibt es Strafzettel. Sollte man hier auch machen. Am besten mit „Zivil“-Fahrradcops
Ja, die Meldung ging kürzlich mal rum. Ein Berliner Schüler hat ein ähnliches System entwickelt und ist damit gerade unterwegs…
Mir erzählte ein Tourguide in Spanien, dass den Fahrschülern beigebracht wird, das ein Radfahrer wie ein Auto behandelt werden muss. Da heißt, dass das Überholen nur auf der anderen Fahrpur passieren kann. Und so entspannt fährt es sich auch Fahrrad in Spanien und deckt sich gut mit 1,5m Abstand.
Hört sich gut an!
Lassen Sie mal ein Autofahrer schätzen wieviel 1,50 mtr. sind oder fragen Sie mal ein Fahrzeugführer wie breit sein Wagen ist – Sie werden feststellen, dass sich nahezu jeder maßlos verschätzt!
Ich finde die Argumentation der BundesReg verblüffend ausweichend, um es vorsichtig zu formulieren. Mit mehr Misstrauen könnte man auch sagen, es handele sich um eine klassische Strohpuppen-Argumentation:
Selbstverständlich ist es äußerst sinnvoll, einen unbestimmten Rechtsbegriff wie „ausreichend“ zu verwenden, um soweit wie möglich jeder konkreten Situation abstrakt Herr zu werden. Man darf dabei nicht vergessen: Das ist keine Einbahnstraße. Ich darf mich an den ganzen – wie immer – hauptsächlich im Weg stehenden Blechkolonnen auf einem mir gnädigerweise rechts zwischen Auto und Bordstein über gelassen Stückchen Stadt vorbeiquetschen, weil in diesem Fall ein Abstand von wenigen Zentimetern zwischen mir (langsam) und dem Auto (stehend) durchaus noch „angemessen“ ist. Ärgerlich für mich, weil ich kaum vorwärts komme. Aber nicht verboten, so dass ich gar nicht vorwärts käme.
Es ist auch nicht falsch, die konkrete Ausgestaltung an konkreten Lebensituationen denen zu überlassen, deren Aufgabe die Bewertung konkreter Lebensituationen ist, nämlich den Gerichten. Als guter Gesetzgeber macht man das alles schon so.
Gegen die abstrakte Regelung ist also nichts zu sagen. Sie ist nötig und sinnvoll. Genau das aber ist gar nicht die Frage (deswegen „Strohpuppe“).
Es spricht nämlich nichts dagegen, diese abstrakte Regelung um konkrete Fallbeispiele zu ergänzen. Auch dies ist tägliche Übung unserer Gesetzgebung und der Bundesregierung ganz sicher nicht unbekannt.
Das kann z.B. so aussehen (mal aus der holen Hand geschüttelt):
Das einfachste von der Welt.
Und das dann vielleicht noch kontrollieren. Wenigstens selten. Und es wäre sehr, sehr viel erreicht.