Einen sehr guten Auszug aus dem Buch Auf dem Rad von Bettina Hartz möchte ich euch nicht vorenhalten. Im gleichen Zug kann ich dieses Buch übers Rad fahren denen empfehlen, die gerne über persönliche Abenteuer und Anekdoten lesen. Es geht Bettina Hartz mehr um ein Lebensgefühl, als um das Fahrrad als Mittel zur Fortbewegung.
Aber jetzt zu meinem Lieblingsteil. Man muss kein Kampfradler sein, um die folgenden Situationen zu 100 Prozent nachvollziehen zu können!
Der Radfahrer als Anarchist
Keineswegs setzt sich der Radfahrer aus Hochmut oder Aggressivität über Regeln hinweg, sein Rebellentum erwächst vielmehr aus der beständig geschulten Fähigkeit, sich den Gegebenheiten anzupassen, weshalb er die Regeln und Vorschriften nicht nach dem Buchstaben auslegt, sondern nach der je vorgefundenen Situation.
Denn der Radfahrer ist tief durchdrungen von der Erfahrung, im Straßenverkehr im Zweifelsfall den Kürzeren zu ziehen. Er weiß, dass er auf die höhere Autorität des Rechts, der Vorschrift in Gestalt von Ampeln, Verkehrsschildern, nicht blind vertrauen darf, wie oft hat er erlebt, dass ihm die Vorfahrt genommen wurde, ein Autofahrer über den Radweg hinweg rechts abbog, der ohnehin viel zu schmale Streifen, der für ihn am Rand der Straße reserviert ist, mit parkenden Wagen, Baustellenzäunen, Dixi-Klos, die ihm die Sicht nehmen, verstellt ist.
Wollte er sich auf seine Rechte verlassen, läge er wenigstens einmal in der Woche auf oder unter einem Auto. Und so ist er gezwungenermaßen geschult darin, mit offenen Sinnen unterwegs zu sein und die möglichen Fehler der anderen immer mitzudenken, was umgekehrt bedeutet, das Recht für sich in Anspruch zu nehmen, die Regeln und Vorschriften großzügig auszulegen und die sich bietenden Gelegenheiten zum Ausweichen und Durchschlüpfen zu nutzen.
Nach einer gewissen Zeit, die er im Dschungel des Großstadtverkehrs unterwegs ist, bildet der Radfahrer so seine eigenen, aus Erfahrung und Gewohnheit gewonnenen Regeln heraus – die oftmals geltendem Recht widersprechen, aber weit praxistauglicher sind.
Warum soll man nachts um zwei an einer gähnend leeren Kreuzung stehen bleiben und warten, nur weil die Ampel rot zeigt? Warum soll man wegen einer Entfernung von zwei, drei Querstraßen zwei Mal die Straßenseite wechseln, nur um sich nicht in die dem Verkehr gegenläufige Richtung zu bewegen? Warum soll man sich Hunderte Meter auf Kopfsteinpflaster durchschütteln lassen, wenn doch der Gehweg so schöne ebene Platten hat und breit und kaum begangen ist? Warum den durch Wurzeln holprigen, von Rissen durchzogenen, mit Glassplittern übersäten und von Hunden und Kinderwagen bedrängten Radweg benutzen, wenn die Straße daneben plan und leer ist? Warum soll man noch an der Kreuzung bremsen, wenn doch die Straße schon frei ist, die Fußgänger bereits Grün haben und es nur noch Sekunden dauern kann, bis auch die Ampel für Rad- und Autofahrer den Weg frei gibt?
Die pragmatische Antwort des Radfahrers lautet: Ich halte mich nicht stur an das Gesetz, ich schaue mich um, reagiere auf die Situation, und wenn es möglich ist, fahre ich.
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Auf dem Rad – Eine Frage der Haltung
Bettina Hartz
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
208 Seiten
DVA Sachbuch
April 2012
Eine Antwort auf „Der Radfahrer als Anarchist“
[…] Bremen: Bettina Hartz, freie Journalistin und Autorin aus Berlin, bekannt durch ihr Buch Auf dem Rad – Eine Frage der Haltung sowie unzählige Online-Publikationen zum Thema Fahrrad, Verkehr und Critical Mass, wird in einem […]