Radfahren ist gesund. Eigentlich. Ich fahre jeden Morgen ganz sportlich mit dem Rad zur Arbeit. Doch der Weg dahin kommt mir eher sehr ungesund vor. Denn ich werde von diversen Hindernissen körperlich bedroht. Ich komme mir vor wie in einem Jump ’n’ Run-Spiel.

Am Startpunkt ist mein Adrenalinspiegel schon am Anschlag. Ich bin auf alles vorbereitet, die Sinne sind geschärft. Los geht’s. Nach ein paar hundert Metern nimmt mir der erste schon die Vorfahrt. Kein Ding. Damit habe ich gerechnet, ich bleibe einfach stehen. Punkt für mich.

Weiter geht’s. Die Müllabfuhr blockiert vor mir den Radweg. Jetzt ist schnelles Reaktionsvermögen gefragt – ein Blick nach hinten, keiner kommt, ausscheren und Müllwagen überholen. Geschafft. Dann weiter vorbei an parkenden Autos auf der rechten Seite, fahrenden auf der linken. Jederzeit bereit, dass von rechts eine Tür aufgeht und mich erfasst. Ich scanne mit meinem Blick jedes Auto, an dem ich vorbeifahre. Sitzt da jemand drin? Sind eventuell noch Scheinwerfer an? In meinem morgendlichen Spiel fehlt mir leider die Jump-Taste, sonst würde ich die einfach drücken und darüber springen.

1,5 Meter Abstand? Davon haben offenbar die wenigsten gehört.

Von links kommen mir die Gegner ziemlich nah – 1,5 Meter Abstand? Davon haben offenbar die wenigsten gehört. Also heißt es für mich: Weiter auf der schmalen Spur namens Radweg bleiben und bloß keinen Zentimeter vom Kurs abweichen. Dann kommt ein weiterer Spieler ins Game – ein Bus. Die Haltestelle und der Radweg kreuzen sich und ich werde an dieser Stelle des Spiels besonders herausgefordert. Der Versuch mich in den fließenden Verkehr einzufädeln, scheitert regelmäßig, denn da bin ich unerwünscht. Linke Hand raus, Blick nach hinten und die erste große Lücke nutzen, dann klappts. Vorbei am Bus. Puh geschafft.

Der Schweiß steht mir auf der Stirn – nicht wegen der Anstrengung – viel mehr, weil das Spiel mir einiges abverlangt. Bei der Arbeit angekommen bin ich froh, dass ich wieder einmal mit all meinen sieben Leben im Ziel gelandet bin. Die erste große Challenge des Tages ist somit geschafft. Schade, dass die eigentlich gesunde Fahrt mit dem Fahrrad ein tägliches Survival-Spiel ist.

Next Level: Die Strecke im Herbst und Winter – Dunkelheit, Laub, Nässe. Und dann wartet da ja noch mein Endgegner auf mich – der LKW. Auf dieses Spiel lasse ich mich aber nicht ein. Mein Game Over wäre vorprogrammiert.

Diese Glosse von Kathrin Pohlmann erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe von sportlich unterwegs.

Foto: dd