Ich habe keine Ahnung, wie die Situation für Radfahrende im Kreis Rendsburg-Eckernförde ist, soweit schon mal vorab. Wenn es aber um die Verkehrswende geht, kommt mit ziemlicher Sicherheit ziemlich zügig der Hinweis auf ländliche Regionen, wo das mit der Verkehrswende alles nicht so einfach ist. Dabei sagt auch niemand, dass es alles ganz einfach ist. Natürlich ist es nicht einfach, jahrzehntealte Strukturen aufzubrechen. Das sollte aber kein Totschlagargument sein.

Warum der Kreis Rendsburg-Eckernförde? Weil mich Markus Busche angeschrieben hat, der gerne Teil der Verkehrswende auf dem Land wäre, ob der Bedingungen für Radfahrende im Kreis Rendsburg-Eckernförde aber ziemlich frustriert ist. In einem Gastbeitrag schildert er, warum die Verkehrswende auf dem Land scheitern muss, wenn alles bleibt wie es ist. Und dass man natürlich auf ein Auto angewiesen ist, wenn die Umstände kaum etwas anderes zulassen. Seine Erfahrungen stehen für die Situation in vielen, wenn nicht den meisten ländlichen Regionen Deutschlands.

Nicht Hannibals Radwege

Ein polemischer offener Brief

Lieber Kreis Rendsburg-Eckernförde. Ich war heute wieder mal mit dem Fahrrad in eurer Gegend unterwegs und muss mich nach Jahrzehnten demütiger Erduldung jetzt echt mal auskotzen. Der karthagische Feldherr trieb seine Elefanten über die Alpen – allein eure Radwege hätten ihn aufhalten können!

Wenn ich euer Gebiet befahre, sei es in Richtung Norden oder Westen, wird mir schon wenige Meter hinter dem urbanen Ortsende-Schild klar: Radfahrende Leute wie ich sind bei euch einfach nicht erwünscht. Meine 40 km Route hat mich heute ungefähr zur Hälfte durch euren Zuständigkeitsbereich geführt. Bis auf wenige hundert – vermutlich versehentlich bei anderen Bautätigkeiten mitrenovierter – Leuchtturmradwegmeter  vergingen wirklich keine 10 Meter ohne übelste Wurzelaufbrüche und Winter- schäden, deren Wirkung ich noch jetzt, Stunden später, im Genitalbereich und den Handgelenken verspüre. Drei Mal waren sie sogar trotz angepasster Fahrweise ausgeprägt genug, um meine Satteltasche vom Gepäckträger abheben zu lassen.

Der allgemeine Zustand eurer Radwege ist unbeschreiblich mies! Und die Tatsache, dass man meist lediglich durch einen Meter Grünstreifen vom Lärm und der Gewalt mit voller Geschwindigkeit über die Landstraße bretternder P- und LKW getrennt ist, möchte ich gar nicht so sehr betonen. Es wird halt erstmal eine Auto-Straße geplant, und wenn dann noch etwas Platz und Geld übrig ist, kommt vielleicht auch noch ein mickriger Radweg dazu. Wir können uns glücklich schätzen und “damals” wurde halt so geplant!

Dabei könnte Radfahren bei euch so schön sein, denn ihr verwaltet ein landschaftliches Juwel. Leider bekommt man davon als Radfahrender wenig mit. Mit stur nach unten gerichtetem Blick auf der Suche nach einer Möglichkeit, dem nächsten Fahrbahnschaden auszuweichen, bleibt leider kaum Zeit, die Landschaft zu genießen. Würde man euren – mit Vorliebe übergroße allradgetriebene Autos fahrenden –  Bürger:innen auch nur 100 Meter Autofahrbahn in einem solchen Zustand zumuten, würde sich vermutlich schnell eine radikale Protestbewegung gründen.

Aber ich kann gut verstehen, warum das so ist. Ihr müsst mir das gar nicht erklären. Traditionell strukturschwach, ländliche Prägung, da können wir uns den Luxus guter Fahrradinfrastruktur nicht leisten, nutzt ja auch sowieso kaum jemand. Auffällig nur, dass selbst das abgelegenste Dorf mit perfekt gepflegten Asphaltfbahnen für eure monströsen Audi-Schätzchen angebunden ist. Immerhin, solche Strecken haben meist keinen separaten Radweg, man kann sie auch als Radfahrender genießen, wenn man nicht gerade von einem überholenden Auto geschnitten wird.

Wenn ihr jetzt denkt, „Der Markus hat aber ganz schön Wut angestaut, wo kommt die nur her?“ – ganz einfach: Ich habe fast 15 Jahre in einem Dorf in der Nähe Kiels gelebt. Schon damals, vor mehr als 20 Jahren, war die Situation haargenau so wie jetzt. Es hat sich Null geändert. Am Beispiel digitaler Infrastruktur: Ich musste damals um einen ISDN-Anschluss kämpfen, irgendwann (sehr sehr spät!) gab es dann sagenhafte 2 Mbit/s DSL und heutzutage habt ihr es immerhin schon geschafft, das Dorf mit berauschenden 16 zu versorgen (die aber nur selten zur Verfügung stehen). Handynetz gibt es dort bis heute nur in GPRS-Qualität. “Das ist doch toll, wozu sollte man noch mehr brauchen?”, lautete schon damals eine weit verbreitete Argumentation der Gemeindevertretung.

Mit stur nach unten gerichtetem Blick auf der Suche nach einer Möglichkeit, dem nächsten Fahrbahnschaden auszuweichen, bleibt leider kaum Zeit, die Landschaft zu genießen

Dieses Beispiel betraf “nur” die Entwicklung der digitalen Infrastruktur – betreffend der Radwege hat sich in der ganzen Zeit noch viel weniger verändert. Apropos, habt ihr mal versucht, “Homeschooling” mit einer derart miesen Internetverbindung zu machen? Fragt einfach mal eine:n Schüler:in, der/die das erleben durfte ertragen musste.

All das steht für mich symbolisch für euer politisches und verwalterisches Totalversagen beim Thema Infrastruktur in den letzten > 20 Jahren. Der Busfahrplan in „meinem“ Dorf hat sich in der Zeit übrigens auch nicht geändert, was maßgeblich dazu beiträgt, dass dort jeder Haushalt für jedes erwachsene Mitglied mindestens ein Auto vor der Tür stehen hat. Eure sagenhafte kreisweite Quote von mehr als einem zugelassenen Fahrzeug pro Einwohner:in (!) belegt, dass das nicht nur hier so ist, und macht ehemals beschauliche Straßendörfer zu Abstellflächen für aneinandergereihte tonnenschwere Blechkisten.

Von den sieben (!) Bussen, die über den Tag verstreut im Dorf halten, fahren sechs nur ins drei Kilometer entfernte Nachbardorf und einer nur an Schultagen. Wie toll die Anschlüsse im Nachbardorf sind, und wie die Chancen stehen, nach Unterrichtsende an einer weiterführenden Schule (z.B. im nahen Kiel) noch mit dem ÖPNV nach Hause zu kommen, weiß ich von meinen Töchtern, die regelmäßig mit dem Auto abgeholt werden mussten und heilfroh waren, als sie irgendwann endlich ihr eigenes hatten. Von den 50 Minuten Reisezeit für die vielleicht 15 Kilometer lange Strecke möchte ich erst gar nicht reden.

Ich würde euch gern mal wie in einem Bewerbungsgespräch fragen: Wo seht ihr euch in zehn Jahren? Habt ihr überhaupt irgendwelche Pläne? Wie wollt ihr die 500 Kilometer Kreisstraße, deren Bau, Pflege und Erhaltung euch von den Bürger:innen anvertraut wurde, auf ein für Radfahrer auch nur halbwegs erträgliches Niveau bringen? Wie denkt ihr Verkehrswende? Mangelt es euch an Geldmitteln, Personal, Computern oder Internetanschluss? Oder Phantasie? Kann man euch irgendwie helfen? Habt ihr schon mitbekommen, dass sich diese Welt auch auf dem Dorf ändern muss, wenn wir sie noch retten wollen?