Jetzt haben wir es schwarz auf weiß. Wie der Spiegel berichtet (und andere Medien bereits zitieren), missachten Radfahrer (angeblich) häufiger rote Ampeln als Autofahrer. Das ergibt zumindest die Untersuchung an einer (!) Kreuzung in Braunschweig. Für viele Autofahrer dürfte das der Erlaubnis gleichkommen, Radfahrer in Zukunft einfach über den Haufen zu fahren. So könnte man zumindest die abertausenden Untendrunterkommentare in Onlinemedien rund um dieses Thema deuten. Nach dem Motto ‚Selbst schuld, diese Radfahrer. Halten sich doch eh nicht an Verkehrsregeln‘.

Aber zurück zum Ernst der Sache. Natürlich ist es nicht richtig, bei Rot über eine Ampel zu fahren. Das sei deutlich vorweggesagt. Aus diesem Fehlverhalten zu schließen, dass sich Radfahrer oft selbst gefährden, wie die Überschriften nun behaupten, ist aber auch nicht ganz korrekt. Und verschleiert die wahren Probleme hinter den steigenden Unfallzahlen mit Radfahrenden. Wenn man schon hinschauen will, dann muss man es auch etwas genauer tun (und nicht unbedingt nur an einer Kreuzung). Fahren Radfahrer über Rot, gefährden sie sich selbst. Ja, theoretisch. Praktisch gesehen missachten Radfahrer ein Rotlicht aber in der Regel sehr bewusst, sichern sich mit Blicken nach rechts und links ab. Schließlich wären sie selbst die Leidtragenden eines möglichen Zusammenstoßes mit einem Auto. Das macht den Verstoß in keiner Weise besser. Zu Unfällen kommt es in diesen Situationen aber vergleichsweise selten.

Im Gegenteil: Radfahrer sind sehr viel gefährdeter, wenn sie bei Grün fahren. Klingt paradox, ist bei der auf das Auto ausgelegten Infrastruktur in Deutschland, die bisher kaum Platz für den Radverkehr lässt, aber leider so. Hier entstehen nämlich die allzu bekannten und folgenschweren Abbiegeunfälle – bei denen fast immer ein Auto- (zu 75 Prozent) oder LKW-Fahrer (zu 80 Prozent) schuld ist. Gründe dafür gibt es viele – Ablenkung durch das Smartphone, Unterlassen des Schulterblicks, Alkohol am Steuer. Und eben die schlechte Radverkehrsinfrastruktur, die Konflikte zuweilen provoziert.




Damit ist es immer noch nicht richtig, Verkehrsregeln zu missachten. Tut das bitte nicht! Und diese kleine Einschätzung hier liefert auch keine Entschuldigung für das Missachten einer roten Ampel. Pauschal zu sagen, dass sich Radfahrer oft selbst gefährden, vermittelt aber ein falsches Bild der Realität. Und verhindert im schlimmsten Fall, dass die richtigen Schlüsse aus den steigenden Unfallzahlen gezogen werden. „Wenn man den Verkehr als Ganzes anschaut und nicht nur eine Ampelkreuzung, begehen den Löwenanteil der Fehler die Menschen in Autos“, sagt ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork dazu und rückt damit die Verkehrsteilnehmer ins Licht, von denen die größte Gefahr ausgeht. Führe ab sofort kein einziger Radfahrer mehr bei Rot, hätte das auf die Unfallzahlen wahrscheinlich kaum Auswirkungen.

Bevor jetzt also wieder das große Radfahrer-Bashing losgeht, könnte man sich auch mal Gedanken darüber machen, dass (neben unaufmerksamen Autofahrern) die mangelhafte Infrastruktur (und von der strukturellen Benachteiligung zum Beispiel durch Bettelampeln ist hier noch gar keine Rede) vermutlich der viel größere Risikofaktor ist als Radfahrer, die über Rot fahren. Burkhard Stork: „Essenziell für die Sicherheit des Radverkehrs ist aber vor allem der Ausbau der Fahrradinfrastruktur – das fehlt bisher total. Sichere, breite Radwege, geschützte Kreuzungen und fahrradoptimierte Ampelanlagen gibt es in Deutschland bisher so gut wie nirgendwo.“

Und zur Sicherheit auch noch mal am Schluss: Fahrt nicht über rot! Und jetzt ‚Feuer frei‘ liebe Untendrunterkommentatoren…