Offener Brief des Vorstandsvorsitzenden der AGFK-BW, Michael Obert, an Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel, anlässlich des Kommunalgipfels Luftreinhaltung am 4. September 2017.
 

Foto: Marcus Gloger/AGFK-BW

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

ich wende mich als Vorsitzender des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg e.V. (AGFK-BW) an Sie. Der AGFK-BW gehören mittlerweile über 65 Kommunen und Landkreise an, darunter alle Großstädte in Baden-Württemberg. Rund 60% der Bevölkerung des Bundeslandes leben in einer Mitgliedskommune der AGFK-BW. Das kommunale Netzwerk kann mittlerweile auf gut sieben Jahre erfolgreiche Arbeit „Fürs Rad. Vor Ort.“ zurückblicken und ist eine wichtige Partnerin des Landes Baden-Württemberg bei der Schaffung einer neuen Radkultur im Land.

Mit sehr großem Interesse haben die AGFK-BW und ihre Mitgliedskommunen den Kommunalgipfel Luftreinhaltung am 4. September im Kanzleramt verfolgt, Vertreterinnen und Vertreter aus einigen Mitgliedskommunen waren sogar vor Ort. Sie erlauben mir, im Nachgang dazu Stellung zu nehmen und die Position der AGFK-BW kurz auszuführen.

Aus meiner Sicht sind Verbote meist ein unzureichendes Mittel, um Ziele zu erreichen. Im Falle der Luftreinhaltung in Kommunen kann man mit Fahrverboten für Dieselfahrzeuge wahrscheinlich kurzfristige Erfolge erzielen, aber mittelfristig erfolgt möglicherweise eine Verlagerung auf Benzinfahrzeuge und langfristig werden dann die angestrebten Klimaschutzziele nicht erreicht.

Es ist vielmehr notwendig, gute, leistungsfähige und möglichst in allen Effizienz- und Komfortmerkmalen konkurrenzfähige Alternativen zum Kfz-Verkehr anzubieten. Beim Kommunalgipfel Luftreinhaltung wurden hier erfreulicherweise Fördermittel für den öffentlichen Verkehr in Aussicht gestellt. In der Verlautbarung der Bundesregierung kommt mir das Thema Radverkehrsförderung jedoch zu kurz.

Es ist notwendig, gute, leistungsfähige und möglichst in allen Effizienz- und Komfortmerkmalen konkurrenzfähige Alternativen zum Kfz-Verkehr anzubieten.

Immer noch finden 45% aller Pkw-Fahrten auf einer Distanz von weniger als fünf Kilometer statt (Mobilitätspanel Deutschland 2015). Das ist ein Entfernungsbereich, in dem das Fahrrad insbesondere in der Stadt das schnellste Verkehrsmittel ist, wenn man die Von-Haus-zu-Haus-Reisezeit zu Grunde legt, denn es entfällt die Parkplatzsuche mit dem Pkw oder der Fußweg zur Haltestelle der öffentlichen Verkehrsmittel. Ich bin überzeugt, dass die Hälfte der Pkw-Kurzstreckenfahrten umweltfreundlich verlagert werden könnten, insbesondere auf das Fahrrad, sofern entsprechend attraktive Rahmenbedingungen und damit Anreize für die Bevölkerung vorhanden sind. Vor allem auf den genannten Kurzstreckenfahrten werden überproportional viele Schadstoffe ausgestoßen. Hier sehe ich einen Ansatz, mittel- und langfristig durch konsequente Radverkehrsförderung einen dauerhaften Beitrag zur Luftreinhaltung in Städten zu leisten.

Im urbanen Raum lässt sich der Entfernungsbereich, in dem es sich zeitlich lohnt, vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen, etwa durch den Bau von Radschnellverbindungen leicht auf zehn Kilometer erhöhen. Hier wäre ein stärkeres finanzielles Engagement des Bundes sehr wünschenswert.




Mit dem Nationalen Radverkehrsplan (NRVP) und seiner Fortschreibung von 2012 mit Horizont 2020 haben Sie mit Ihrer Regierung bereits ein sehr geeignetes Mittel geschaffen, diese Ziele zu erreichen. Im NRVP sind zahlreiche Handlungsfelder und auch konkrete Maßnahmen beschrieben, wie man den Radverkehr im weiteren Sinne fördern kann. Hierzu gehören etwa eine bessere Verknüpfung mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ein angemessenes Angebot an Fahrradstationen und Bike&Ride-Anlagen und Abstellanlagen nach Stand der Technik an wichtigen Zielpuntken des Radverkehrs. Nur muss der NRVP auch mit den notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen, nicht nur auf kommunaler oder Landes-, sondern auch auf Bundesebene, ausgestattet werden.

Daher möchte ich mich bei Ihnen dafür einsetzen, dass ein Anteil von 250 Mio. Euro des neu geschaffenen Mobilitätsfonds ausdrücklich für die Förderung der Radverkehrsinfrastruktur im weiteren Sinne in den betroffenen Kommunen vorgesehen wird.

Bitte teilen Sie mir die Anschrift der für die Vergabe zuständigen neu geschaffenen Koordinierungsstelle mit, damit die innerhalb der AGFK-BW betroffenen Kommunen zeitnah ihre Förderanträge stellen können. In vielen Kommunen liegen bereits fertige Planungen vor, die nur aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt werden können.

Das Beispiel der Stadt Karlsruhe zeigt, dass Radverkehrsförderung, wenn man sie konsequent umsetzt, einen wesentlichen Beitrag zur Luftreinhaltung in Städten leisten kann. Hier ist es gelingen, den Radverkehrsanteil an allen Wegen innerhalb von zehn Jahren (2002 bis 2012) von 16 % auf 25 % zu steigen und dies erwiesenermaßen zu Lasten des Kfz-Verkehrs, dessen Anteil am Modal Split im gleichen Zeitraum von 44 % auf 35 % gesunken ist (Pkw-Fahrer und Mitfahrer). Seitdem sind auch die in der Karlsruher Innenstadt gemessenen Stickstoffdioxid-Belastungen rückläufig. Im Jahr 2000 lag der Messwert noch bei 60 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, 2016 wurde erstmals der Grenzwert von 40 Mikrogramm unterschritten.

Nicht nur die AGFK-BW und ihre Mitgliedskommunen würden sich über eine konsequente Förderung des Radverkehrs freuen, sondern alle Menschen, insbesondere Bewohnerinnen und Bewohner von Innenstädten, die in den Genuss sauberer Luft kommen würden.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Obert
Bürgermeister und Vorstandsvorsitzender der AGFK-BW e.V.