Ich durfte heute an einer kleinen Exkursion in die frisch zertifizierte „fahrradfreundliche Kommune“ Oldenburg teilnehmen. Einen kurzen Abriss bietet die folgende Twitter-Story. Wir haben das Stadtgebiet (in kleinem Rahmen) erfahren und zwei Vorträge der Verkehrsplanung und der Verkehrsleitzentrale bekommen. Das Fazit, warum Oldenburg vergleichsweise fahrradfreundlich ist, vorweg:

  • Das Radfahren hat in Oldenburg einfach Tradition und einen hohen Stellenwert in allen Altersklassen.
  • Eine umfassende Akzeptanz ist vorhanden. Das Fahrrad stellt kein negatives Statussymbol dar.
  • Es herrscht ein gewisser Pragmatismus bei der Verkehrsmittelwahl. Für viele Oldenburgerinnen und Oldenburger ist es einfach logisch, Fahrrad zu fahren.

Das schlägt sich denn auch im Anteil der zurückgelegten Wege nieder: 42,7 Prozent der Wege werden mit dem Fahrrad bestritten (allerdings bei ungefähr gleich hohem MIV-Anteil). Diesen Wert aus 2009 muss man erstmal verteidigen. Damit das klappt, sind Radrouten in Außenbezirke vorgesehen, damit Wege zwischen fünf und acht Kilometern auch bequem mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können.

Schon heute sind alle Einbahnstraßen für den Radverkehr in entgegengesetzter Richtung freigegeben. Und was Oldenburg noch besonders macht, ist das recht umfassende Netz aus abgetrennten Hochbordradwegen. Diese werden in Oldenburg einfach sehr gut angenommen. Schutzstreifen auf der Fahrbahn gibt es kaum. Hinzu kommen kleine Details, wie neuerdings Wärmebildkameras, die Radfahrer an Ampeln erfassen und für längere Grünphasen sorgen können. Unter anderem dafür gab es auch die Zertifizierung als fahrradfreundliche Kommune.

Natürlich ist auch in Oldenburg nicht alles perfekt. Gerade die IHK macht auch hier Stimmung gegen fahrradfreundliche Politik, wenn sie auch nur im Geringsten auf Kosten des Autoverkehrs geht. Und unten gibt es als „Innenansicht“ noch einen Gastbeitrag von den beiden Oldenburgern Roman Eichler und Yannik Heyer, die fordern, den Verkehr vorurteilsfrei zu gestalten. Vor allem aber bei der Akzeptanz des Fahrrads ist Oldenburg anderen Städten und insbesondere Osnabrück weit voraus.




















Verkehr zukunftsfähig gestalten

Oldenburg wächst und hat ein enormes Entwicklungspotential. Daher ist es wichtig, auch den Verkehr vorurteilsfrei zu gestalten. Von Roman Eichler und Yannik Heyer

Verkehr muss fließen. Das gilt nicht nur für die täglichen Fahrten der Berufstätigen, Studierenden oder Schüler*innen, sondern auch für diejenigen, die Oldenburgs Innenstadt aus dem Umland kommend per PKW erreichen wollen. Auch sie sollten eine weitgehend hindernisfreie Fahrt erwarten können.

Die Verkehrssituation in Oldenburg aber ist problematisch: Gerade zu den Spitzenzeiten (Kernzeit morgens und zu Feierabend im Berufsverkehr, besonders außerhalb der sog. ‚Fahrradsaison‘, Samstage, die Adventszeit) nimmt der motorisierte Individualverkehr (MIV) Ausmaße an, die ein flüssiges Durchkommen kaum ermöglichen. Manche dieser Spitzen sind immer wiederkehrend, wie beispielsweise der Berufsverkehr, während andere punktuelle, saisonale Ausreißer darstellen, wie etwa die Adventssamstage. Und die Problematik verschärft sich absehbar noch weiter, denn Oldenburg ist eine attraktive, wachsende Stadt. Mit dem Wachstum von Bevölkerung und Stadt geht auch eine Steigerung der KFZ-Zulassungen einher; etwa 83.000 PKW sind derzeit allein in Oldenburg registriert, was gut 3.500 mehr sind als noch vor drei Jahren. Tendenz steigend.

Man kann die Innenstadt auch anders als mit dem Auto erreichen.

Natürlich steht die ‚Erreichbarkeit der Innenstadt‘ damit nicht grundlegend in Frage. Es geht denjenigen, die mit diesem Punkt argumentieren, dabei vielmehr um eine einfache Erreichbarkeit per eigenem PKW und die Sorge, dass diese zunehmend beeinträchtigt werde. Es wird argumentiert, dass dies wiederum negative Auswirkungen für den Einzelhandel der Innenstadt und damit letztlich auch für die ganze Stadt habe, da eine funktionierende, gut erreichbare Innenstadt ein lebendiger Ort sei, der Arbeits- und Ausbildungsplätze stelle und kulturelles Leben sowie den Austausch der Menschen mit- und untereinander ermögliche. Dabei werden vor allem Tempo 30-Pläne und die Förderung des Radverkehrs als ‚Hindernisse‘ oder ‚Einschränkungen‘ für den MIV gesehen; insgesamt werden aber alle Konzepte der Oldenburger Politik in Bezug auf Luftreinhaltung, Energie- und Klimaschutz, Verminderung der Lärmbelastung sowie zukunftsfähige Mobilitäts- und Verkehrs- bzw. Stadtentwicklung als hinderlich für den PKW-Verkehr gesehen. Als Lösungsansätze werden vor allem die Etablierung von ‚Grünen Wellen‘ und die Schaffung von mehr Parkplätzen (mutmaßlich weniger Parksuchverkehr) genannt.

Das Problem an dieser Perspektive ist die Verwechslung von Autos mit Menschen und Kund*innen. Denn in erster Linie muss die Erreichbarkeit der Innenstadt für Menschen erhalten bleiben oder besser noch: gesteigert werden. Und wenn diese nicht mehr oder zunehmend weniger gut per MIV funktioniert, liegt es auf der Hand, dass eben auch andere Überlegungen angestellt werden müssen. Dabei hilft die alleinige Konzentration auf mehr MIV eben nicht mehr. Im Gegenteil: Die Entgegensetzung von MIV und anderen Verkehren (ÖPNV, Fahrrad) verhindert die vorurteilsfreie Sicht auf Lösungsansätze. Oder anders formuliert: Diese Entgegensetzung verhindert die Sicht darauf, dass beispielsweise gerade die Förderung des Radverkehrs einen gleichermaßen effektiven wie kostengünstigen Lösungsansatz darstellen kann.

Wie eine aktuelle Umfrage der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer (IHK) und dem City-Management Oldenburg (CMO) unter Mitarbeit der Jade Hochschule zur Kund*innenherkunft und Verkehrsmittelwahl für die Oldenburger Innenstadt zeigt, kommen insgesamt zwar 58 % aller befragten Kund*innen mit dem Auto, aber auch jede vierte befragte Person kommt mit dem Rad (23,17 %). Mit Bahn und Bus kommen gerade einmal gute 10 % der Kund*innen in die Geschäfte der Innenstadt, zu Fuß immerhin 7,43 %.

Die Vorstellung, dass viele dieser Menschen in Zukunft lieber den PKW benutzen, müsste doch eigentlich erst recht Angst verursachen.

Konzentriert man sich nun allein auf die Steigerung des MIV und tut dies in Entgegensetzung zur Förderung der anderen Verkehre, schneidet man sich genau von diesen Lösungsansätzen ab: Rund ein Viertel aller Kund*innen fährt schon jetzt mit dem Rad – bezogen auf das Stadtgebiet ist es sogar nahezu jede*r zweite! – und entlastet damit die Fahrbahnen. Um es deutlicher zu machen: Die Vorstellung, dass viele dieser Menschen in Zukunft lieber den PKW benutzen, etwa weil eine zukunftsfähige Radverkehrsförderung wie der Ausbau von Hauptradrouten oder die Schaffung von ausreichend Abstellmöglichkeiten behindert wird, müsste doch eigentlich erst recht Angst verursachen. Was, wenn am Ende alle diese Menschen auch noch mit dem Auto auf den Straßen Oldenburgs unterwegs wären? Dadurch würden sich die Bedingungen für den MIV natürlich drastisch verschlechtern.

Es kommt nun also gerade nicht auf die Entgegensetzung von MIV und anderen Verkehren an. Die Förderung des innerstädtischen und gerade des stadtgrenzenübergreifenden Radverkehrs ist eben keine »ideologiegetriebene Maßlosigkeit« und schon gar nicht eine »Anti-Autopolitik« (wie Herr Röhr in der NWZ kommentiert). Im Gegenteil: Diese Sichtweise kann völlig kontraproduktiv wirken und verhindern, dass dort effektive Lösungen angegangen werden können, wo das größte Entwicklungspotential liegt. Ganz vorurteils- und ideologiefrei müsste anerkannt werden, dass alle Kund*innen, die nicht mit dem PKW fahren, eine enorme Entlastung des MIV darstellen. Diese Kund*innen behindern den (KFZ-)Verkehr nicht, sie entlasten ihn. Und der Anteil wäre noch zu steigern: Die Schaffung von angemessen ausgebauten Radrouten würde gerade den direkt umliegend Wohnenden (Entfernungen > 5 km) eine attraktive Alternative zum PKW bieten. Hier ist ein großes Entwicklungspotential, da gerade einmal 8,7 % der Kund*innen aus den umliegenden Gemeinden mit dem Rad in die Stadt kommen. In Ergänzung dazu zeigen die Zahlen zur Nutzung des ÖPNV, dass auch hier noch deutlich ‚Luft nach oben‘ ist. Auch diese Form der Mobilität muss mehr Anerkennung finden und als eine echte Alternative etabliert werden. Wer weiß, dass er nach der Autobahnabfahrt ein kostengünstiges Parkangebot findet und dann in kürzester Zeit per Bus in die Innenstadt transferiert wird, wird diese für alle entspannend wirkende Variante auch gern nutzen. Gerade, wer von weiter außerhalb kommt und sich nicht gut in Oldenburg auskennt, hat es so einfach und bequem.

Ein weiterer Vorteil dieser Perspektive, die vermeintliche Hindernisse oder Beeinträchtigungen als Lösungspotentiale versteht, wäre, dass das ständig mitlaufende Ausspielen der Lebensqualität und Gesundheit aller Oldenburger Bürger*innen gegen die Steigerung des MIV (und dem mutmaßlich für die Stadt überlebensnotwendigen Umsatz des innenstädtischen Einzelhandels) einfach wegfallen würde. Gesundheit gegen Umsatz?! Allein aus diesen Gründen muss der beschriebene Perspektivwechsel erfolgen.